XX.

[31] Die Sache mag auch unerhört seyn. Ich hätte bald gesagt sie mag einer halben Fabel ähnlich seyn. Ich besinne mich auff ein Exempel / welches im lustigen Redner zum Grunde einer Leichen Sermon gelegt wird. Den da sagt Cardanus in seinem Buche de vita propriâ, es wäre jhm sein Sohn gestorben; darüber hätte er sich dergestalt alterirt, daß er weder bey Tische / noch im Bette / ja so gar nicht in seiner Studierstube vor Angst zu bleiben gewust. Endlich hätte er im Traume eine Stimme gehöret / er solte nur den Smaragd vom Finger ziehen / und unter die Zunge nehmen / damit würde Ihm das Hertzeleid auff[31] einmahl vergehen. Solches wäre mit gutem Fortgange practiciret worden / also daß er auch nicht die geringste Bewegūg empfundē; doch wen er bey dem Essen / wegē der Speise / und auf der Catheder wegen des Discurses, den Ring als ein Hindernüs aus dem Munde genommen / so wäre der alte Schmertz wieder so hefftig dagewesen / biß der Ring unter der Zunge gelegen hätte. Der Mann schreibt es von sich selber / und wo er kein Testimonium mit bringt / daß er in der Zauberey etwas versirt gewesen / so weiß ich nicht ob ich es glauben sol: Indessen giebt es der Rede eine Anmuth / und bey den Zuhörern eine ungemeine Attention.

Quelle:
Christian Weise: Kurtzer Bericht vom politischen Näscher, Leipzig 1680, S. 31-32.
Lizenz:
Kategorien: