LXV.

[95] Nun sol ein Mensch billig erzittern / wen er an die Rechenschafft vor dem Göttlichen Richter-Stuhl gedencket. Doch halte ich davor / daß allhier nicht die Fehler der Menschlichen Schwachheit / sondern vielmehr die unnützen Worte aus eigenwilliger und vorsetzlicher Boßheit verstanden werden. Den wo wolte auch der beste Prediger seine Sermon legitimiren, wen selbige vor der strengen Gerechtigkeit GOttes examiniret würde? Ist es möglich daß ein gebrechlicher Mensch so einen Eifer / so einen Ernst /[95] und so eine Heiligkeit / der Erbsünde zu trotze bey sich empfinden kan / darbey er sich / wie etwan die Qvacker pralen / ohne Sünde wissen möchte? Gewiß ein jedweder / in welchen Stande er lebet / wen er seine Künste am besten anbracht hat / so ist er nicht einmahl wehrt ein unnützer Knecht zu heissen: weil dieser Titul auff die jenigen zielet / die alles gethan haben / was jhnen befohlen ist; sondern er wird sich auch zum Uberfluß so vieler unnützer Worte schuldig geben müssen / darbey er zu nichts als zur Göttlichen Barmhertzigkeit seine Zuflucht nehmen könte.

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Christian Weise: Kurtzer Bericht vom politischen Näscher, Leipzig 1680, S. 95-96.
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