Das erste Capitel.

Vollkommene Reu, und Leyd eines Edelmanns.

[823] Im Lehr-Buch der Heil. Vätter, von göttlicher Vorsichtigkeit, num. 3. wird folgende Geschicht eingeführt.


Unter anderen Brüdern (welche sich dem geistlichen Leben, und dem Gehorsam St. Antonii des Abbten ergeben haben) war einer Paulus der Einfältige benamset. Sein Einfalt war ein liechtes viel sehendes Aug seiner Seelen, daß er in Menschen die gut, oder üble Beschaffenheiten gesehen. Einsmahls befand er sich bey der Kirchen-Pforten sitzend in der Betrachtung, mit was für einer Meynung die Leut in die Kirchen eingehen. Er sahe nicht wenig mit hellscheinendem Angesicht in Begleitung ihrer Engel, einen aber abscheulich, in Begleitung zweyer Teufel hinein gehen: dieser aber angefeßlet, und sein Schutz-Engel folget ihm nach, anzusehen, als ob er betrübt, gleich einem Morgen-Stern mitten des Nebels wäre. In Ansehen dessen, fieng Paulus an bitterlich zu weinen, schlug sich selbsten auf die Brust, jammeret, und klaget, gleichwie Jeremias der Prophet die gequälte Stadt Jerusalem beklaget hat, also beweinet er [823] jenen Sünder. Was ist die Ursach solches Wolckenbruchs deiner Augen? was hat die Einfalt deines Hertzens betrübet, die Heiterkeit deines Gemüths verfinsteret? fragten nicht wenig den Bruder Paulum: gehe ein, sprachen sie, in den Tempel, frolocke im Lob des HErrn: stehet es doch geschrieben, nichts wird den Gerechten betrüben, geschehe ihme, was immer woll. Er aber verharret vor der Kirchen-Porten, und seines Weinens war kein End bis zur Vollendung des GOttes-Diensts. Demnach beobachtet er die aus der Kirch gehende, absonderlich den, welcher seines Weinens die alleinige Ursach gewesen. Er erblicket ihn gar bald gäntzlich verändert, Schneeweiß, und glantzend: nun gieng ihm der Heil. Schutz-Engel mit fröhlicher Heiterkeit zu Seiten: entgegen traureten beyde Teufel, und folgeten von weitem.


O unaussprechlicher Abgrund, der Gütig- und Barmhertzigkeit GOttes! ruffet Paulus. Sein Weinen verkehret sich ins Lachen, sein Betrübnuß in innerliche, und äusserliche Freud. Er stellet sich auf einen höhern Staffel, ruffet das Volck, sprechend: Kommet, und sehet die Werck des HErrn: GOtt will, daß alle selig werden: kommet, und sehet, wie mächtig er ist die Sünden zu vergeben. Das Volck lauffet von allen Seiten zu, Paulus erzählet, was er wunderlich gesehen: beredet auch denjenigen, daß er GOtt die Ehr gebe, und offenbarte den Zustand seiner seltsamen Veränderung. Damit aber die Barmhertzigkeit GOttes, welche über alle göttliche Werck hoch erhoben ist, noch weiter erhöhet wurde, bekennet dieser, daß er ein grosser Sünder, sich viel Zeit ärger als ein Schwein im Koth vieler Sünden umgewältzet, tief hinein gesuncken seye: heut aber mit den Worten des Propheten Isaias, welche in der Kirch von der Priesterschaft abgelesen worden, innerlich beweget, ja verwundet, sich gegen GOtt bekehret, GOttes Gütigkeit reumüthig angebettet, und angeruffen habe mit Vertrauen, in Abstraffung seiner Sünden, und Verbesserung seines Lebens die verlohrne göttliche Gnad wiederum zu finden. Die Wort des Propheten waren diese: Waschet euch, reiniget euch, thut eure böse Gedancken hinweg von meinen Augen: höret auf Böses zu thun. Wann dann eure Sünd so roth wären wie Scharlachen, so sollen sie doch weiß werden wie Schnee, und wann sie auch rosenfarb wären, sollen sie doch weiß werden, wie Wolle. Isai. 1. v. 16.

Dieser Ausspruch, sprach er, hat mich aus einem Sünder einen Büsser gemacht. Es schmertzet mich über alles, daß ich wider GOtt, und seine Gebott gesündiget: wasmassen das Wasser beym Feuer siedend aufwallet, also ergieng es mit meinem Hertz, und Seele. Eimnahl für allemahl sagte ich nun ab aller meiner Boßheit, mit steiffem Vorsatz, nächstens ohne Verschub [824] meine Sünden bey dem geordneten Beichtvatter abzulegen. Das war mein kräftiges Vornehmen, mit welchem ich aus der Kirch gleich jetzt gegangen. In Anhören dessen, preisete das anwesende Volck den HErrn, dessen Barmhertzigkeit vom Geschlecht zu Geschlecht über die Sünder, welche Buß thun, ausgegossen.

Dieser Sünder konte im Eingang der Kirchen wohl sagen: Die Band der Sünden haben mich umgeben; Psalm. 118. v. 61. herausgehend aber, du hast meine Bande zerrissen, O HErr! Lob-Opfer will ich dir opferen. Psalm. 117. v. 15.

Die vollkommene Reumüthigkeit ist über alle alchimische Gold-Kunst: Kraft dieser wird aus einem Höllen-Brand ein liechter Stern des Himmels. Dann, was kan trostreicher seyn einem Sünder, welcher annoch Frist hat Buß zu thun, als die sichere Verheissung GOttes, quâcunque horâ ingemuerit peccator, omnium iniquitatum ejus, non recordabor amplius: Wann der Gottlose Buß thut, und sich bekehret von allen seinen Sünden: Ich will nicht gedencken an alle seine Missethat. Solt ich ein Wohlgefallen haben am Tod des Gottlosen? spricht GOtt der HErr durch Ezechielem am 18. v. 21. und nicht vielmehr daran, daß er sich bekehre, und lebe?

Quelle:
Wenz, Dominicus: Lehrreiches Exempelbuch [...] ein nutzlicher Zeitvertreib als ein Haus- und Les- Buch. Augsburg 1757, S. 823-825.
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