Das neunzehende Capitel.

Andere Ursachen werden beygefüget zu diesem Ziel und End.

[990] Diese General-Beicht ist zum vierten sehr tauglich die wahre Demuth zu erlangen, diese Demuth ist der allersicherste Weeg alles Tugend-Wandels, seelig zu werden. Es beliebe auch dieses mit einer Gleichnuß zu vernehmen.

Gesetzt ein Jäger begibt sich in ein Wald, ein Wildprät zu erjagen, er aber trift nichts anders an als etwann ein junges Häßlein, oder ein Wildtauben, schiesset derohalben dieses nieder, hebet es auf, und leget es in sein Jäger-Taschen. Weilen aber dieser Wald ein Aufenthaltung ist der Strassen-Rauber, und Mörder, wird er auf vier Seiten angezündet. Der Jäger betrachtet das aufsteigende, und allenthalben im Wald überhand nehmende gewaltige Feuer: er sieht wie das geflüglete, und andere Wildprät entfliehet, also das gantze Gebürg völlig in Brand, und flammenden Feuer; da lauffen auf einer Seiten darvon, Füchs, Wölf und Tatz-Bären, auf der andern Seiten Dändel und Reh, Hirschen und Gämbsen: alldorten schwingen sich in freyen Luft Nacht-Eul, Sperber und Adler, alles verlasset diese gepflegte Wald-Wohnung: als dann spricht er, aus lauter Verwunderung, ich hätte je nicht vermeinet, daß in dieser Wildnuß so viel groß und kleines Wildprät wäre zu finden. Ich durchforschte diesen Wald mit meinem Feuer-Rohr, ich konte doch nicht auf die Spur kommen. Nun aber, weil das Feuer auf allen vier Seiten so gewaltig eingerissen, da siehe ich erst, wie viel und vielerley Wildstuck darinnen gewesen.

[990] Dergleichen Beschaffenheit hat es mit der General-Beicht, welche nach dem Ausspruch des königlichen Propheten sicut ignis, qui comburit silvam, & sicut flamma comburens montes, gleich einem Feuer, das den Wald verbrennet, und gleich der Flammen, so das Gebürg entzündet. Wann du deine sondere Beichten gemacht hast, bilde dir ein, du hast allein mit einem gezogenen Feur-Rohr dem Wild nachgesetzt: aber durch die General-Beicht relevantur condensa was in Büschen gestecket, kommet alles herfür, alle wilde Thier deiner wilden Sünden, welche verborgen waren, lassen sich sehen, du findest in dir, was du nicht hättest vermeinet: Löwen und Tatz-Bären, Wölf, und Wildschwein: Zorn und Feindschaften, Fraß und Geylheit, Ungerechtigkeit, Neyd, und Faulkeit kommen herfür, und zeigen was für ein Wildnuß voller bestialischen Unthaten in deinem Hertz und Seel gestecket.


Diese wahre Erkanntnuß seiner selbst, ist die rechte Demuth, durch welche man sich in aller Straf würdig erkennet. Es ist mir bewußt von einem solchen, welcher nachdem er seine General-Beicht aufgeschrieben, einen so grossen Haß seiner selbsten bekommen, und so streng wider sein eigenes Fleisch worden ist, daß er sich in einen Saal verschlossen, mehr dann mit zwey hundert Streichen gegeißlet. Er stelte ihm seine Sünden vor Augen, lesete selbe ab, und redete sich also an: wie billich ist es, was GOtt befihlt, wie unbillich hab ich seinen Befehl unterlassen. Ach! du mein sündiges Hertz, was hast wider das erste Gebott GOttes gethan? da nennet er sich selbsten, und straffet sich, ich hab gesündiget, ich will mich peynigen, ich will meinen verkehrten Willen unter das Joch bringen. Bald darauf lieset er die Sünd, welche er wider das andere Gebott GOttes gethan, redet sich gleichfalls an, verweiset ihm selbsten sein Verbrechen, er nimmet zu Handen die Geisel, und geißlet sich erbärmlich: also thät er ihme nach einem jedwederen Gebott GOttes, alle zehen Gebott durchgehend. Diese sein Erkanntnuß, und Züchtigung seiner selbsten, hat diesen Heil. Antrieb gehabt von der wahren Demuth, dann aus der General-Beicht erschöpfet man die allertieffeste Demuth, indem man sich lernet kennen, und hassen.


Die fünfte Ursach, welche uns generaliter zeitlich zu beichten einrathet, ist der Sieg wider den bösen Feind: Dann nicht bald kan ein so gewaltiger Sieg erhalten werden, wider den ärgsten Feind unserer Seelen den leidigen Teufel, und wider allen seinen Anhang, als in Kraft einer General-Beicht. Höret was Cäsarius beschreibet. Zu Bona, in der Stadt befand sich ein Seelsorger, welcher mit einer Frauen-Person viel Zeit in übler Gemeinschaft lebte, diese war genannt Adelheit: Er aber in verdrüßlichem Zustand seines also beschwerten Gewissens, [991] hat sich einsmahls, aus gerechter Zulassung GOttes, selbsten in seinem Haus erhencket. Das Weib, als sie ihn also todt angesehen, wurde dermassen bestürtzt, daß sie ein andere Weis zu leben auserwählet, die Welt verlassen, in ein geistlichen Stand sich begeben: sie sprach, dieser unglückselige Mensch hat nunmehr sein Urtheil angehöret, wo auch von mir bey göttlichem Gericht ist Meldung geschehen, wehe ihm! dann er ist verdammet: Du aber, O sündhafte Adelheit! gib Achtung, daß du nicht auch verdammet werdest, gleich wie du ein Theil bist gewesen seiner Sünd, möchtest du ein Theil werden seiner Straf. Ein neues bußfertiges Leben sanget sie an in dem Closter zu führen, aber es begegneten ihr viel teuflische Anfechtungen. An einem Tag siehet die Adelheit von einem Fenster gegen dem Closterhof hinab, allwo ein Brunn, darauf der Teufel gesessen, welcher da laurete gewaltthätig in seiner Arglistigkeit diese zu ertroßlen, sie aber, da sie sich von dem Fenster zuruck zoge, fiele sie auf ihren Rucken halb todt zu Boden: auf erhörten starcken Fall, lauffet alles, was im Closter lauffen kont, zu, heben sie von dem Erdboden auf, und tragen sie auf ihren Armen in ihr Zellen, und legen sie in das Beth: allgemach erholet sie sich, und da sie allein war in dem Zimmer oder Zellen, wurde sie gleich wiederum vom Teufel angefochten, und zwar mit zarten und verzuckerten Worten, gantz süß und adelich beredet er sie, sie wolle doch dieses also strenge Leben verlassen, indeme sie nichts thun muß als Fasten, der Armuth, und den Buß-Wercken abwarten: Das, sprach er, dienet zu nichts als zu Abkürtzung des Lebens: sie wolle ihr rathen lassen, und sich wiederum in das weltliche Leben begeben, da wird ihr ein beliebiges Glück zustehen mit einem reichen Mann, welcher gut edel von Geschlecht seyn wird, und sittlich von schönen Geberden, was ihr von dem Leben noch übrig, wird sie mit diesem gantz vergnügt zubringen können mit Fröhlichkeit, in zulässigen Kurtzweilen, welche GOtt denen Menschen zur Unterhaltung hat verliehen: Die Adelheit antwortet ihm, nichts kümmert mich mehr, als daß ich deinem verführerischen Räth so lang und lang hab gefolget, pack dich fort, weiche und trolle weit von mir, mein HErr JEsus Christus wird mich gnädig behüten vor deiner Leibeigenschaft, deinen gleißnerischen Versprechen werde ich nimmermehr glauben: darauf stellet sich der Teufel, als ob er müßte niessen, warf aber einen unflättigen Rotz so starck auf die Mauer, daß er auf das Kleid der Adelheit gesprungen, es war anzusehen die stinckende Matery als ein kohlschwartzes Pech, welches so abscheulich war, daß es niemand konte erdulten. Er aber verschwande aus ihrem Angesicht.


Der höllische Feind höret doch nicht auf noch weiter dieser armen Haut, dieser büssenden Seel, der Adelheit mit unterschiedlichen verstelten Gesichteren zu begegnen: Die fromme [992] geistliche Schwesteren ratheten ihr, sie solle das Weyhwasser wider ihn sprengen, andere, sie soll das heilige Zeichen des Creutzes machen: Beydes versuchte sie, aber der Teufel fliehet geschwind, und kommet geschwind wieder. Ein alte Schwester sprach zu ihr, wann der Teufel zunahet, soll sie mit heller Stimm das Ave Maria sprechen: Adelheit thut dieses, und gleich einem Donnerstreich wurde der Teufel geschlagen, trauet nicht mehr zu dieser umzukehren, sondern abfliehend fluchet er, sprechend, brenne das Feuer derselben auf das Maul, die dir dieses gerathen. Von der Zeit an hinfüro gewafnet mit dem Ave Maria, wiewohlen sie den bösen Feind gesehen, oder gehöret, wann er ihr zugeredet, hat sie ihn nicht mehr geförchtet, und nimmer ein Schröcken, wie vorhero, eingenommen. Einesmahls als sie alle diese Begebenheiten einem geistreichen Mann vertrauet, wurd ihr über alle gute Räth der beste geben: Nemlich, er beredete die Adelheit, sie soll ein General-Beicht, von ihrem gantzen Lebens-Lauf thun, mit hertzlicher Reu und Leid alle ihre Sünd erkennen und bekennen, also wird gewißlich geschehen, daß sie von den höllischen Feindseligkeiten loß, guten Fried, und Ruhe ihres Hertzens wird überkommen. Adelheit folget diesem Rath, und als sie sich zur General-Beicht verfüget, begegnet ihr der höllische Feind, widerspricht ihr dieses ihr Vornehmen, fragend, wo gehest hin Adelheit? sie aber antwortet, und fertiget ihne tapfer ab, sprechend: Ich gehe nun, mich und dich zu Schanden zu machen. Und der göttliche Beystand schützte sie, daß sie ein sehr gute General-Beicht, ohne allen Mangel verrichtet hat. Kraft dieser wurde alle höllische Anfechtung, auf alle Zeit vertrieben, sie aber empfande einen trostreichen Frieden ihres Hertzens, dann derjenige Seegen, den unser HErr JEsus Christus über die Büsserin Magdalena ausgesprochen, ist auch über diese kommen: Vade in pace, Gehe hin, wandle im Frieden.

Die letzte Ursach soll seyn, daß diejenige Person, welche ein General-Beicht verrichtet, hoffen kan, daß sie einen rechten Vorsatz habe, das Leben zu besseren, welches ein grossen Seelen-Trost mitbringet. Solches wird mit nachfolgender Gleichnuß ziemlicher massen bewiesen, in einer Begebenheit, welche sich wahrhaftig zugetragen.

Ein sehr reicher Mann in einer gewissen spanischen Stadt wohnhaft, hatte einen Sohn, welcher ein Spieler in folio, und ein Verspieler aus seines Vatters Beutel ist gewesen, er spielet um das baare, aber nicht mit dem baaren Geld, sondern auf gutes Credit, und verschriebene Schuld-Scheine. Ein üble Sach ist es um das Spielen, wann man nur verliehret: Noch ein unvergleichlich üblere Sach, ist spielen und verliehren, nur auf Credit, und gute Rechnung, wann erstlich mit Schuld-Briefflein das Spiel endet, und kein anders Spiel anfanget, bis daß die vorige Spiel-Schuld mit baarem Geld ist bezahlet: [993] wann nicht gesehen wird, was man verliehret, scheinet der Verlurst nicht so groß, noch so betaurlich: aber in Ansehung der grossen Summa Gelds, achtet man den Verlurst desto mehr, mehr man verlangt das Geld zu gewinnen, und nicht zu verliehren. Der Vatter, weilen er seinen Sohn inniglich geliebet, nahme die Schuld-Scheine an, und bezahlet jetzt zwey, jetzt drey hundert Silber-Cronen, alles das, was der Sohn im Spiel verlohren. Einesmahls traffe diesen Sohn ein theures Unglück, er verspielet nicht nur ein, oder zwey, sondern zwölf tausend Silber-Cronen: als der Vatter das Schuld-Schein lein dieses grossen Verlurst gesehen, gieng ihm ein Stich in das Hertz, wurd darüber sehr unlustig: er mercket, daß der schlechte Spiellust gar zu theur müßte bezahlet werden. Ein mühesame Kunst ist es, ein grosse Summa Gelds gewinnen. Entgegen ist es ein schlechte Kunst, solche verschwenden: Er sprach, mein Sohn hat zwölf tausend Silber-Cronen verspielet, wann wird er ein so grosses Stuck Geld wissen einmahl zu gewinnen? ja ich zweifle, ob er diese Summa Gelds mit eigenen Händen auszählen, und zusammenkan rechnen. So wahr als ich ein ehrlicher Edelmann bin, so werd ich dieses Schuld-Scheinlein also lang nicht bezahlen, also lang mein Sohn selbsten nicht alles dieses verlohrne Geld mit selbst eignen Händen auszählet und verraitet, demnach er es so liederlich hat verspielet. Der Unlust des Vatters, und dieser sein Ausspruch wird dem Sohn gar bald vorgehalten: der Sohn saumet sich nicht, versichert von der vätterlichen Lieb, trauet sich gar wohl vor seinem Herrn Vattern zu erscheinen, der Vatter führet ihm zu Gemüth, wie dies ein grosser Verlurst sey, zwölf tausend Silber-Cronen in wenig Stunden, durch unglückseliges Spielen verliehren; er erkläret ihm, daß er nichts will bezahlen, bevor er, der Sohn, selbsten alles Geld zu Haus mit eignen Händen ausgezählet. Weil aber sein Treu und Ehr in Bezahlung dieser Schuld hanget, nimmet er aus einer Truhen vier und zwantzig mit Geld gefüllte Säck, läret sie aus, und weilen in einem jeden Sack fünf hundert Cronen waren, machet dieses Geld ein grossen Hauffen. Wie der junge Herr, der feine Spieler das Geld, welches er auszählen soll, angesehen, ertattert er darüber, und fraget: wird dann mein Verlust so viel Geld aus dem Haus tragen? Zähl es nur, und du wirst es schon finden, sprach der Vatter: und endlich was wird dir erklecken, mit solchem Verspielen wirst du den Bettelstab, und ich ein Spitaler-Mantel gewinnen. Der Sohn thut die Augen auf, erkennet, wie sein Spielen das eigne und seines Vatters Glück möchte verspielen, er verdammet das Spiel, macht einen steiffen Vorsatz, niemahlen mehr zu spielen; fort Karten und Würffel, spricht er: ich nehme einmahl für allemahl Urlaub von euch, ihr werdet mir seyn ein Greuel, ein Pest, eine giftige Schlangen, die werde ich allezeit [994] fliehen, für meinen Haupt-Feind werde ich das Spiel halten, weilen es mich in so grossen Schaden führet, auch die werde ich für keine Freund halten, die mich zu spielen anreitzen, dann sie verlangen nicht mein Glück, sondern mein Unglück, in deme sie frolocken, wann mich das Unglück getroffen. Was er dißmahlen ausgesprochen, das hat er folgende Zeiten auch gehalten, und nicht nur obenhin das Spielen verredet, sondern seinen Vorsatz niemahlen gebrochen. Besser ist spat, als nie einen guten Vorsatz machen.

Gleichermassen ergehet es dem, der generaliter beichtet, er sihet seine grosse Schulden, welche er wider ein jedes aus den zehen Gebotten GOttes gemacht, die Anzahl dieses alles Uebelverschuldens macht einen grossen Berg; da spricht der Beicht und Büssende, Ach! wie viel hab ich verspielet? die zwey köstliche Schätz der Unschuld und Reinigkeit seynd hin; ich hab verspielet so viele göttliche Gnaden, das himmlische Erbtheil, und meiner Seelen Seeligkeit, GOtt selbsten das unvergleichliche Capital, und höchste Gut hab ich verlohren; Maria die Mutter GOttes, aller heiligen Englen und Auserwählten Freundschaft ist von mir so liederlich verspielet worden; wehe mir! dann ich find mich schuldig des höllischen Feuers. Mein Verlust führet mich nicht zum Bettelstab, oder in ein Spital, sondern in unendliche Peyn, in die Gesellschaft der Verdammten, und höllischen Gespenstern, in den Abgrund aller Unglückseeligkeit. Ach! wo hab ich gehabt meinen Verstand? O barmhertziger GOtt! du gnädigster HErr, nimmermehr will ich dich beleydigen, von nun an sey vollendet meine Boßheit zu sündigen, stärcke mich zu allem Guten, ich hab mich beflissen mit der General Beicht meinen grossen Schulden-Last abzulegen, keinen solchen Last will ich mir hinführo aufladen.

Quelle:
Wenz, Dominicus: Lehrreiches Exempelbuch [...] ein nutzlicher Zeitvertreib als ein Haus- und Les- Buch. Augsburg 1757, S. 990-995.
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