Dreyzehentes Exempel.

Ein frommer Student verlangt unsere liebe Frau zu sehen.

[16] Es war ein frommer Student, und zumahl ein grosser Liebhaber unserer lieben Frauen. Als dieser auf ein Zeit gehört, was gestalten selbige mit ihrer Schönheit alle andere Heilige in dem Himmel unvergleichlich übertreffe, da entstunde in ihm eine ungemeine Begierd, diese Schönheit mit leiblichen Augen zu sehen. Deßwegen rufte er unser liebe Frau Tag und Nacht an, sie wollte ihn doch dieser Gnad theilhaftig machen. Was geschiehet? Unser liebe Frau erhöret sein Gebett, indeme sie ihm einen Engel schickt, und sagen läßt, wie daß sein Wunsch mit nächsten solle erfüllet werden. Allein lasse sie ihn zugleich wissen, daß, weilen ihre Schönheit den Glantz der Sonnen weit übertreffe, so werde er selbige ohne Verliehrung des Gesichts nicht anschauen können. Gilt gleich, antwortete der Student dem Engel, wann ich nur dieser Schönheit kan ansichtig werden, so achte ich es nicht, ob ich schon darüber erblinden sollte. Mit dieser Antwort nun kehrete der Engel zuruck. Bald aber darauf reuete es den Studenten, daß er mit Gefahr, das Gesicht zu verliehren, die Schönheit Mariä zu sehen verlangt hätte. Ach! sagte er: wie wirds mir gehen, wann ich sollte blind werden? wie werd ich dem Studieren ferners obliegen können? wer wird mich erhalten? Auf solche Weis werd ich ja zuletzt müssen bettlen gehen. O wie unbesonnen war mein Verlangen! indem er also sein künftiges Elend zu Hertzen führt, da fallt ihm ein: wie wär es aber, wann ich nur das rechte Aug aufthäte? Auf solche Weis bliebe mir ja ein Aug übrig, mit welchem ich noch genug sehen könnte? ja ja; das ist ein guter Einfall, das will ich thun: bey dem soll es sein Verbleiben haben. Dieses bey sich beschlossen, verfügte er sich für sein Altärlein, so er in seinem Studier-Zimmer aufgerichtet, und bettete darvor eben gar andächtig, in Hofnung, unser liebe Frau werde nicht lang mehr ausbleiben; wie dann auch geschehen. Dann siehe, indeme er vor dem Altärlein knyet, da erscheint ihm unser liebe Frau in einem unaussprechlichen Glantz, gegen welchem alle irdische Schönheit nur ein Schatten ist. Da konte sich dann der fromme Student nicht genug darüber verwunderen. Er sperrete das rechte Aug auf, so weit er kunte, und dannoch kunte er sich mit sehen nicht ersättigen. Er wolte demnach das lincke Aug gleicher Weis aufthun; damit er also diese Schönheit vollkommentlicher sehen, und sich darinn ergötzen möchte. Allein ehe es geschahe, verschwande unser liebe Frau, und war hiemit alle Freud aus. [17] Da klagte dann der Student über sich selbst, daß er das lincke Aug nicht zeitlich aufgethan, und sagte: O! daß unser liebe Frau sich nur noch einmahl sehen liesse, wie gern wollte ich das lincke Aug auch dran setzen; dann diese Schönheit ist es wohl werth. Dieses gesagt, bate er unser liebe Frau auf ein neues, sie möchte sich doch noch einmahl sehen lassen. O grosse Gütigkeit dieser Frauen, sie erscheinet dem Studenten das andertemahl. Da hat sich dann der Student dieser Gelegenheit bedient, und jetzt das lincke Aug (dann das rechte hatte er durch das erste Anschauen schon verlohren) auch aufgethan, und mithin aus dem Anschauen dieser Schönheit eine neue, und zwar so unausprechliche Freud empfunden, daß er sich selbsten nicht fassen kunte, ja eben gemeint, er seye schon in dem Himmel. Wiewohlen aber unser liebe Frau bald wiederum verschwunden; so ist doch dem Studenten nicht allein das lincke Aug unverletzt geblieben, sondern er hat auch das Liecht des rechten Augs wiederum erhalten. Also gütig ist diese Frau, daß sie ihre Gutthaten niemand laßt zum Schaden gereichen. Joannes Herolt in Prompt.


O GOtt! was wird es für eine Freud seyn, die Schönheit Mariä im Himmel auf ewig anschauen können, solle das nicht allen Kindern ein starcker Antrieb seyn, unser lieben Frauen alle gleich von den ersten Jahren an zu dienen, und sie beständig zu verehren, nur damit sie dieser Schönheit ewig geniessen mögen? freylich ja.

Quelle:
Wenz, Dominicus: Lehrreiches Exempelbuch [...] ein nutzlicher Zeitvertreib als ein Haus- und Les- Buch. Augsburg 1757, S. 16-18.
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