Siebenzehendes Exempel.

Ein unschuldiger Edel-Knab wird wegen andächtiger Anhörung einer Heiligen Meß wunderlicher Weis beym Leben erhalten.

[23] Es war an einem Königlichen Hof ein Edel-Knab, von solcher Frommkeit, Tugend, und anständigen Sitten, daß ihm die Königin vor anderen günstig und geneigt war. Um solche Gunst nun ware ihme ein anderer Edel-Knab an dem Hof mißgünstig und neidig. Aus Neid also angetriben, gienge er zu dem König, und brachte durch boshaftes Geschwätz den unschuldigen Edel Knaben samt der Königin in den Verdacht, als wann es unter beyden nicht recht hergienge. Einmahl schine es, die Königin seye dem Edel Knaben gar zu gewogen. Der König, so ohne das argwöhnisch war, liesse sich von disem neidigen Verleumder dergestalten einnehmen, daß er wider den unschuldigen Edel Knaben einen grossen Zorn faßte; ja so gar den Schluß machte, ihne tödten zu lassen. Demnach, als er bald darauf mit dem Verleumder auf die Jagt ritte, unter Weegs aber zu einem Kalch-Ofen kame, da man eben Kalch brennte, rufte er den Kalch-Brenner zu sich, und sagte zu ihm: höre! morgiges Tags wird in der Frühe von meinem Hof ein Edel Knab zu dir kommen. Diser wird dich fragen, ob der königliche Befehl vollzogen worden? So bald du dise Frag von ihme wirst vernommen haben, so ergreiffe ihn in der Mitte, und wirffe ihn ohne alle Barmhertzigkeit in den feurigen Kalch-Ofen hinein, und lasse ihn darinn zu Pulver und Aschen verbrenen; dann er hat nichts besseres verdient. Der Verleumder freute sich von Hertzen, daß ihm sein verleumderisches Geschwätz angangen, [23] und der Unschuldige, der ihm ein Dorn in denen Augen war, auf solche Weis aus dem Weeg geraumet wurde. Aber, O! wie gedachte er so gar nicht, daß dises Unglück ihn selbsten treffen könne. Wie gienge es dann weiters? des anderen Tags in der Frühe liesse der König den unschuldigen Edel Knaben zu sich kommen, und sagte zu ihm: gehe hin zu meinem Kalch-Brenner, und frage ihn, ob der königliche Befelh vollzogen worden? Der Edel Knab gienge unverzüglich hin, unwissend, was für ein Unglück auf ihn wartete. Zu allem Glück aber mußte er unter Weegs bey einer Kirchen fürbey gehen. Weilen nun eben dazumahl mit der Glocken das Zeichen zu einer Meß gegeben war, bediente er sich diser guten Gelegenheit, die heil Meß darinnen mit Andacht anzuhören. Dann also war er in den ersten Jahren von seinem Herrn Vatter seelig unterrichtet worden: er solte nemlich keinen Tag fürbey gelassen, er hätte dann mit Andacht eine Heil. Meß angehört. Indem er sich nun in der Kirchen mit Anhörung der H. Meß eine gute Zeit lang aufhielte, da ward der König begierig zu wissen, ob der Kalch-Brenner an diesem Unschuldigen den königlichen Befehl vollzogen hätte? Er liesse also den Verleumder zu sich kommen, und befahle ihm ohne Verzug zu dem Kalch-Brenner hinzugehen, und zu fragen, ob der königliche Befehl vollzogen worden? der Verleumder gienge mit Freuden hin, in Hoffnung, der Unschuldige, den er bey dem König boßhafter Weis in die Ungnad gebracht, werde schon zu Pulver und Aschen verbrennt worden seyn. Aber, O wie hatte er sich selbst betrogen! dann sihe! so bald er zu dem Kalch-Brenner kommen, und ihn gefragt, ob der königliche Befehl vollzogen worden? Gedachte diser, das müsse eben derjenige Edel Knab seyn, den der König in den brennenden Kalch-Ofen zu werffen befohlen. Ergriffe ihn also in der Mitte; und ohngeachtet der unglückseelige Mensch schrye und protestirte, er würde für den Unrechten angesehen, kehrte sich der Kalch-Brenner nichts daran; sondern warffe ihn ohne alle Barmhertzigkeit in den feurigen Kalch-Ofen hinein, und liesse ihn darinn jämmerlich zu Pulver und Aschen verbrennen. Wie dieses fürüber, kam bald darauf der unschuldige Edel Knab aus der Kirchen auch herbey, unwissend, was sich mit dem Verleumder zugetragen hatte. Und als er den Kalch-Brenner gefragt, ob der königliche Befehl vollzogen worden, ward ihm mit ja geantwortet. Mit welcher Antwort er zuruck gekehrt, und selbige dem König hinterbracht. Wie nun der König den unschuldigen Edel Knaben frisch und gesund vor sich sahe, kunte er sich vor Verwunderung nicht fassen, indem er vermerckt, daß just das Widerspihl geschehen. Fragte ihn also voller Unwillen, wo er sich so lang aufgehalten, daß der königliche Befehl nicht [24] nicht vollzogen worden, wie es der König verlangt hatte. Da gabe der unschuldige Edel Knab folgende Antwort: Ihro Majestät nehmen nicht ungnädigst auf, daß ich mich in Uberbringung dero Königl. Befehl an den Kalch-Brenner verweilet hab. Die Ursach ware diese: als ich unter Weegs bey einer Kirchen fürbey gienge, in welcher man eben dazumahl mit der Glocken ein Zeichen zu einer Meß gegeben, bediente ich mich dieser Gelegenheit, und gienge in die Kirchen der Heil. Meß beyzuwohnen. Dann also bin ich in den ersten Jahren von meinem Herren Vattern unterrichtet worden: ich solte nemlich keinen Tag fürbey gehen lassen, ich hätte dann mit Andacht eine Heil. Meß angehört. Diser guten Lehr nun nachzukommen, bin ich eben in die Kirchen gangen, und hab mit Andacht eine gantze Heil. Meß angehört: welches ja Ihro Majestät nicht ungnädigst aufnehmen werden. Als der König dise Antwort vernommen, erkennte er daraus die Unschuld dises; und die Boßheit des anderen Edel Knabens: preißte mithin die Gerechtigkeit GOttes, als welche den Verleumder so fein gefunden, und wider alles Verhoffen zur verdienten Straf gezogen. Ex Chronica S. Franc. P. 2. l. 8. c. 18.


O wie wahr ist jenes Sprichwort, welches sagt: wer einem andern eine Grub grabet, der fallt letztlich selbsten drein! wie nutzlich ist es hernach, täglich mit Andacht eine Heil. Meß hören! dann durch dises Heil. Opfer ziehen wir uns zu die Barmhertzigkeit GOttes, und bewegen ihn, daß er uns in Gefahren Leibs und der Seel sonderbar zu Hülf kommt.

Quelle:
Wenz, Dominicus: Lehrreiches Exempelbuch [...] ein nutzlicher Zeitvertreib als ein Haus- und Les- Buch. Augsburg 1757, S. 23-25.
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