Drittes Exempel.

Das JEsus Kindlein isset mit zweyen unschuldigen Knaben mehrmahlen zu Mittag.

[3] Es waren zwey unschuldige Knaben, die giengen in einem Dominicaner-Kloster bey einem frommen Pater in die Schul, von welchem sie nicht allein im Lesen und Schreiben, sondern auch in aller Frommkeit und guten Sitten unterwiesen wurden. Ihre Gewohnheit war, um die Mittag-Zeit nach der Schul in einem nahe an dem Closter gelegnen Kirchlein das Mittag-Essen welches in Brod, Aepfeln und Birn, so ihnen ihre Mütter täglich in das Schul-Säcklein mitgaben, bestunde einzunehmen. In dem Kirchlein aber war ein Altar auf welchem ein geschnitzeltes Mariä- [3] Bild stunde, so auf dem Schoos das JEsus Kindlein hatte. Wie sie nun eines Tags allda ihr Mittag-Essen tröstlich einnahmen, sihe! da stiege das JEsus Kindlein von freyen Stucken vom Altar herunter, gesellete sich zu den Knaben, grüßte sie, und gesegnete ihnen das Mittag-Essen. Die Knaben danckten ihm, hiessen es willkomm seyn, und sagten, es komme eben recht, wann es mit ihnen essen, und verlieb nehmen wolle. Und da ihm das JEsus Kindlein die Einladung gefallen lassen, theilten sie ihm mit, was sie in ihrem Schu-Säcklein hatten: welches dann das JEsus Kindlein alles angenommen, und eben auch mit ihnen gegessen hat. Wie aber alles aufgessē war, bedankte es sich gegen ihnen: und nachdem es Abschied genommen, stiege es wiederum auf den Altar, und setzte sich in den Schoos seiner Mutter; die Knaben aber nahmen ihren Ruck-Weeg aus dem Kirchlein, und giengen wiederum der Schul zu. Wie nun dieses mehrmahlen nacheinander geschehen, haben sie es endlich dem Pater, ihrem Lehr-Meister angezeigt, mit vermelden, was gestalten das JEsus Kindlein zwar öfters mit ihnen zu Mittag esse; allein es gebe ihnen nichts dagegen. Wie der Lehrmeister das gehört, konte er sich eines Theils nicht gnug darüber verwunderen; anderen Theils aber wußte er sich selbst vor Freuden nicht zu fassen: dann er aus dieser Erzählung abgenommen, die Unschuld dieser Knaben müsse dem JEsus Kindlein sehr gefallen, indeme es mit ihnen zu essen sich so oft gewürdiget habe. Demnach unterrichtet er sie, wie sie sich inskünftig gegen dem JEsus Kindlein zu verhalten hätten, und sagte: Höret, ihr Kinder! wann inskünftig das JEsus Kindlein wiederum mit euch wird zu Mittag essen, so redet es an (jedoch mit tieffester Ehrerbietung) und saget zu ihm: liebstes JEsus Kindlein! du issest wohl mit uns, gibst uns aber nichts dagegen. Wir wolten, daß du uns auch einmahl etwas brächtest; oder aber uns samt unserm Lehr-Meister zu deiner Tafel thätest einladen. Ey ja! versprich es uns, oder wir lassen dich nicht mehr von uns weggehen. Diesen Unterricht nun liessen ihnen die Knaben treulich gesagt seyn. Wie derohalben das JEsus-Kindlein bald darauf seiner Gewohnheit nach mit den Knaben wiederum zu Mittag asse, und aber nach dem Essen wiederum weggehen, und auf den Altar steigen wollte, da hielten es die Knaben zuruck, und redeten es an, wie sie von ihrem Lehr-Meister abgerichtet worden. Das JEsus Kindlein liesse ihm die vertrauliche Anred der Knaben gefallen, und sagte zu ihnen: Liebe Kinder! seyd nur zufrieden. Dann sehet! ich lade euch samt euerem Lehrmeister zu meiner himmlischen Tafel ein, und zwar auf das Fest meiner Auffahrt. Bringet ihm nur diese Bottschaft. Solches geredt, nahme es von den Knaben den Abschied; diese aber liefen voller Freuden zu ihrem Lehrmeister, und [4] legten die erfreuliche Bottschaft ab. Der Lehrmeister merckte aus dieser Bottschaft wohl, daß er samt denen Knaben, von dein JEsus-Kindlein aus diesem Leben werde abgefordert werden. Deßwegen sprache er ihnen zu, sie solten fein fromm seyn, und fleißig betten, damit sie sich würdig machten, an der himmlischen Tafel zu speisen. Das erweckte nun in den Knaben eine ungemeine Freud, und sie meinten eben, sie können das Fest der Auffahrt Christi nicht erwarten. Wie aber selbiges herbey kommen, da kleydeten sie sich an so schön, als sie konten, und giengen mit ihrem Lehrmeister des Morgens frühe in obgedachtes Kirchlein, allwo sie ihm beyde zur Meeß dienten, und mit aufgehebten Händen gar andächtig betteten; bisweilen aber dem JEsus Kindlein auf dem Altar einen Blick gaben, gleich als wolten sie es seines Versprechens erinneren. Wie nun der Lehrmeister die Meß vollendet, und dem anwesenden Volck den Priesterlichen Seegen ertheilet, da ist er samt denen Knaben sänftiglich auf die Erden gesuncken, und haben alle den Geist aufgegebē; ihre unschuldige Seelen aber seynd dem Himmel zugeflogen, allwo sie nunmehr an der himmlischen Tafel ewig erquickt werden. Antonius Senensis in Chronica ad Annum Christi 1240.


O Unschuld! was für ein Gefallen hat GOtt an dir, glückseelige Kinder, die ihre Unschuld behalten.

Quelle:
Wenz, Dominicus: Lehrreiches Exempelbuch [...] ein nutzlicher Zeitvertreib als ein Haus- und Les- Buch. Augsburg 1757, S. 3-5.
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