Siebendes Exempel.

Das Christ-Kindlein kommt in der Heil. Christ-Nacht zu einem frommen Knaben.

[8] Es war ein frommer Knab: diesen kame einstens in der H. Christ-Nacht eine ungemeine Begierd an, das Christ-Kindlein, zu sehen in der Gestalt, die es auf Erden gehabt. Zu disem End wachete er in seinem Kämmerlein, und bettete auf gebogenen Knyen bis gegen Mitternacht. Wie nun die Begierd, das Christ-Kindlein zu sehen, mithin immerzu in ihm grösser wurde, da hörte er jemand an der Thür des Kämmerleins klopfen. Es nahme ihn anfänglich wunder, wer es seyn müsse, der so spath in der Nacht zu ihm verlange. Allein weil er sich von seiner Andacht nicht wolte abhalten lassen, bliebe er auf dem Boden knyend, und gabe keine Antwort. Wie man aber das anderte mahl an die Thür anklopfte, da sagte er endlich: Herein. Kaum hatte er das Wort ausgeredt, sihe, da eröfnete sich die Thür, und es kame in das Kämmerlein hinein das Christ-Kindlein, mit grossem Glantz umgeben; hatte aber nichts an, als ein schneeweisses Hemdlein, und schine, als wäre es gantz frostig, und wolle demnach eine Wärme suchen. Also dann liefe es zu dem Knaben hin, und fiele ihm um den Hals. Der Knab dises sehend, umfienge das Christ-Kindlein mit beyden Armen, [8] und druckte es aus Liebe ans Hertz, gleich als wolte er auf solche Weis dem erfrornen Christ-Kindlein warm machen. Wie er nun eine gute Weil mit dem Christ-Kindlein seine Freud gehabt, und selbiges nicht genug anschauen können, da verschwande es gähling aus den Armen des Knabens, und liesse ihn mit himmlischen Trost übergossen auf dem Boden knyend verharren. Ex Collect. Relat. Brandisy.


Es ist halt das Christ-Kindlein gern bey den unschuldigen Knaben. Es ist ihm nichts liebers, als ihr Hertz. Da machet es ihm seine Wohnung: da hat es seine Freud; da ruhet es; und da bleibt es, so lang die Knaben in der Unschuld verbleiben.

Quelle:
Wenz, Dominicus: Lehrreiches Exempelbuch [...] ein nutzlicher Zeitvertreib als ein Haus- und Les- Buch. Augsburg 1757, S. 8-9.
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