Sechs und dreyßigste Begebenheit.

Ein Wirth betrügt einen Edelmann mit einem falschen Spiegel.

[583] Bey einem betrügerischen, und diebischen Wirth nahme auf eine Zeit die Nacht-Herberg ein Spanischer Edelmann, der zwar Hosen und Wammes dick mit Silber verbrämt, und ein goldene Ketten am Hals; aber vielleicht wenig Geld im Beutel hatte: den Wirth stache die goldene Ketten in die Augen; durfte sie aber nicht wohl gäntzlich auf die Seiten raumen, aus Beysorg; sein Haus möchte verschreyt, und er zur Bezahlung angehalten werden: doch weil er vom Geitz verblendet war, konte er sie gar unangefochten auch nicht wohl lassen. Was Rath dann? Höre! er hatte einen falschen Spiegel, der einem die Gestalt des darein Schauenden noch so groß vorstelte, als sie an ihr selbst ware. Dieser mußte ihm helffen den Possen gar aus zu machen. Nächtlicher Weil dann, als der Edelmann eingeschlaffen, schliche er heimlich in die Kammer, und zwackte mit einem Zänglein viel Glieder von der Ketten hinweg; also daß des anderen Tags der Edelmann selbige vor Enge nicht mehr konte an den Hals bringen. Wie er nun hierüber zörnte, und doch die Ursach nicht wußte, woher es käme, rufte er dem Wirth um zu vernehmen, wer die Ketten verwechselt hätte. Der Wirth ware bald verhanden: aber gleich bey dem ersten Eintritt in die Kammer stelte er sich, als erschrecke er ab einem Abentheuer, und sagte: was ist das, gnädiger Herr? was haben sie für einen geschwollenen Kopf? wie so (fragte hinwider der Edelmann) ich befinde mich wohl auf, und hab die Nacht[583] hindurch wohl geschlaffen. Ey! versetzte der Wirth hinwider, das ist nicht möglich; sie haben ja einen geschwollenen Kopf, wie ein Rühr-Kübel. Er ist noch so groß, als zuvor. Was Wunders dann, daß die Ketten zu eng worden? ich will einen Spiegel bringen; der wird ihnen aus dem Zweifel helffen. Dieses gesagt, brachte er gedachten betrügerischen Spiegel her. Wie sich nun der Edelmann darinn ersehen, entsetzte er sich heftig darob, und liesse sich bereden, er müsse verzaubert worden seyn: bathe den Wirth, still zu schweigen, bis er zu Haus sich hätte wiederum curiren lassen; nahme darauf Urlaub, schluge den Mantel um das Maul, und machte sich in der Dunckle, ehe es recht Tag worden, mit langer Nasen davon; dem Wirth aber bliben die abgezwickte goldene Stücklein in der Hand. Bidermann S.J. in Utopia.


Also verfahrt die Welt mit den Kindern der Eitelkeit auch. Sie haltet einen betrügerischen Spiegel vor das Gesicht den jenigen, welche sich des Glücks übernehmen, un selbst gar zu gros schätzen; überall wohl dran, reich, gesund, schön, starck, mächtig und in Ehren seynd. Dann deswegen seynd sie vor GOtt nicht um eine halbe Spann grösser, als der ärmiste Bettler. Dann, was du bist, das bist du; und kanst für nicht grösser ausgeruffen werden, als du in der Sach selbst vor GOtt bist, spricht der geistreiche Thomas von Kempten aus dem Orden der regulirten Chor-Herren St. Augustini. Nur der Untersatz, den ihnen das Glück unter die Füß legt, ist etwas höhers, als bey anderen. Allein ein Zwerg, bleibt doch ein Zwerg, wann er schon auf einem Thurn steht; ein Ris aber bleibt ein Ris, wann er schon in einen tieffen Schöpf-Bronnen hinunter steigt.

Quelle:
Wenz, Dominicus: Lehrreiches Exempelbuch [...] ein nutzlicher Zeitvertreib als ein Haus- und Les- Buch. Augsburg 1757, S. 583-584.
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