Drey und fünftzigste Begebenheit.

Ein Müller will lieber seinen Streitt-Handel fahren lassen, als mit Gefahr viel Geld zu verthun, einem Advocaten unter die Händ kommen.

[600] Nicht weit von einer! gewissen Stadt hatten ihre Aecker beysammen ein Müller, und ein Baur, und zwar so nahe, daß nur ein kleine Wisen darzwischen lage, worauf des Müllers Nusbaum stunde. Dieser Müller ware ein so hauslicher Mann, auf den man das bekannte teutsche Rätzel gar füglich deuten konte.


Rath, wer ist dieser?

Rath, was ist das?

Hat er eins, so trinckt er keins:

Hat er keins, so trinckt er eins.


Die Antwort hierauf ist diese: ein solcher wunderlicher Trincker seye ein Müller. Hat er Wasser, so trinckt er keins; dann er kann Tag und Nacht mahlen, und das tragt ihm so viel ein, daß er an statt des Wassers Wein trincken kan. Hat er aber kein Wasser, so kan er nicht [600] mahlen, und folgendes treibt ihn die Noth, das Maul an dem Wasser-Krug zu reiben.


Nun dieser Müller hatte Wasser genug, und ein starckes Gewerb. Darum liesse er das Wasser wohl bleiben; und wann man ihn haben wolte, mußte man ihn bey dem Wein suchen. Diese Gelegenheit nahme der Baur, sein Benachbarter wohl in acht; machte ein Furchen nach der anderen, und ackerte unvermerckter Dingen mit der Weil so weit in die Wisen hinein, bis des Müllers Nußbaum auf seinen Grund und Boden kam. Da merckte der Müller erst den Possen: kame dieses unredlichen Stückleins halber den Bauren an, mit was Fug er ihn so vortheilhafter Weis über ackerte? Der Bauer widersprache es, vorgebend, der Nußbaum wäre jederzeit auf seinem Acker gestanden. Da spinnte sich der Handel erst recht zwischen Beyden an. Der Müller trohete, die Sach für die Obrigkeit gelangen zu lassen, und wider ihn an gehörigen Ort zu klagen; verfügte sich auch wenig Tag darauf in obgedachte Stadt, und fragte gleich unter dem Thor nach dem besten Advocaten um; den man ihm auch kund machte. Aber der Baur war ihm schon vorkommen. Gleichwohl als der Advocat den gantzen Verlauf vernommen, sagte er: lieber Müller! ich wolte dir gern dienen; weil ich aber schon die andere Parthey angenommen, kan ich nicht. Habe gut Hertz; du hast ein gerechte Sach. Ich will dir ein Vorschrift machen an einen anderen Advocaten, der verstehet den Handel so wohl als ich: der wird dir auf meine Recommendation wiederum zu deinem Nußbaum helffen. Der Müller nichts als froh, griffe gleich nach dem Beutel schosse gleich ein halbs Thälerlein her: der Advocat machte ihm ein Vorschrift in lateinischer Sprach, und fertigte ihn damit ab. Unter Weegs kame den Müller ein Begierd an, zu wissen, was doch in diesem Zettel stehe, weil er vielleicht den Braten geschmeckt hatte. Wartete also, bis die Studenten selbiges Orts aus der Schul giengen; batte also einen aus den Grösten, er solte ihme doch sagen was in dem Zettel geschrieben seye. Der Student dollmeschte ihm alles redlich, dieses Innhalts: Bonus dies! Herr Bruder. Mir ist gestern ein guter fetter Vogel aufgesessen; da schick ich ihm auch einen. Rupfe er den Seinigen, und ich den Meinigen, so können wir beyde miteinander zu Nachts essen. Wie der Müller das hörte, wischte er den Bart; gienge darauf zum Wein, trancke ihm einen dicken Rausch an; torcklete alsdann die Gassen der Stadt hinab: jauchsgete mit dem Zettel in der Hand, und rufte überlaut: Nußbaum hin, Nußbaum her. Den Handel lasse ich fahren. Müßte ich wohl ein Narr seyn, daß ich mich von dem Advocaten rupfen liesse. Rauscher S.J. in Dominicali 2. Conc. 4. post Pont.

[601] Dieses ist zwar eine lächerliche Begebenheit; erkläret aber wohl, wie man mit den armen unverständigen Partheyen bisweilen umgehe. Wehe denen Gewissen-losen Advocaten! O was für eine Verantwortung laden sie ihnen auf den Hals! welcher Beicht-Vatter wird sie absolvieren können, so lang sie nicht erstatten desjenigen Schaden, den sie über den Dölpel geworffen? O gefährliches Amt, wo man das Gewissen genau beobachtet!

Quelle:
Wenz, Dominicus: Lehrreiches Exempelbuch [...] ein nutzlicher Zeitvertreib als ein Haus- und Les- Buch. Augsburg 1757, S. 600-602.
Lizenz:
Kategorien: