1. An den Leser

[408] Wo man mich nicht allein bey meinem Pinsel kennt,

So hab' ich woll gethan, dass ich mich nicht genennt,

Denn was vor Ruhm hab' ich zu hoffen,

Wo ich mit einem Strich nicht zwey zugleich getroffen;1

So dass von jedem wird in jedem Stück' erkant

Dein Angesicht, und meine Hand.


Fußnoten

1 Wo ich mit einem Strich nicht zwey zugleich getroffen. Wo ein Mahler nicht allein ein Bild woll zu treffen; sondern auch in demselben eine gewisse vortreffliche Eigenschafft entweder in der Zeichnung, in Vermischung der Farben, oder in der Schattirung also vor Augen zu stellen weiss, dass man ihn so gleich daraus im ersten Anblick wie einen Angelo, Raphael, Titian, Rubens oder Correggio, von allen andern unterscheiden; und folgends aus einem Bilde dem Künstler so woll als die vorgesetzte Person erkennen kan: so kan er sich keines Meisterstücks rühmen, und thut woll dass er hinter der Decke verborgen bleibet.


Quelle:
Christian Wernicke: Epigramme, Berlin 1909, S. 408-409.
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