Eine Stunde der Raserei und Freude!

[116] Eine Stunde der Raserei und Freude! O Wildheit! Halte mich nicht zurück!

Was ist's, das mich in Stürmen so frei macht?

Was bedeutet mein Jauchzen, mitten zwischen Blitz und Unwetter?


O diese mystische Trunkenheit tiefer zu schlürfen als irgend ein anderer!

O, wilde und wonnige Wehen! Ich vermache sie euch, meine Kinder,

Euch erzähle ich sie, bedeutsam für euch, o Bräutigam und Braut!


Ich, ganz euch hingegeben, wer ihr auch seid, und ihr, mir hingegeben, einer Welt zum Trotz!

Zum Paradies zurück – Verschämte und Weibliche,

Euch zu mir zu ziehen, um euren Lippen zum erstenmal den Kuß eines entschlossenen Mannes aufzudrücken.


Den Knebel aus dem Mund zu nehmen,

Das Gefühl, heute und überhaupt: ich bin genug, so wie ich bin.


Etwas noch Unbewiesenes! Etwas in seelischer Entrücktheit,

Gänzlich frei von den Ankerketten und Haken der andern zu sein,

Frei dahin fahren, frei lieben, tollkühn und gefährlich stürmen,

Die Zerstörung stolz herausfordern, sie umwerben,

Höher zu steigen, in die Himmel der Liebe, die mir winken,

Hinauf mit meiner trunkenen Seele!

Unterzugehn, wenn es sein muß,

Den Rest des Lebens zu sättigen mit einer Stunde der Fülle und Freiheit,

Mit einer Stunde der Raserei und Freude!

Quelle:
Whitman, Walt: Grashalme. Leipzig 1904, S. 116-117.
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