24.
Cassandra genißt einer jungen tochter; die beiden kinder werden von iren älteren gar wol und in der ehr gottes aufferzogen.

[179] Ir habend vornen gehört, wie das Cassandra sehr gros schwanger gangen. Als sie nůn befand, das die zeit irer geberung gar nahend was, hat sie ir liebe Lucia zů ir berůffen und gar fründtlichen an sie begert, sie wolt nit von ir weichen, bis sie der kindsweh genesen were. Lucia sagt: ›Ach mein[179] allerliebste Cassandra, mich wundret gar fast, was dich zů solchem flehen unnd bitten verursacht. Nůn bist du doch die, so mir in allen weg zů gebieten hast; darzů wer mir nit müglich von dir zů beleiben. Sag mir doch, wer hat mich in meiner grossen kranckheit mehr heimgesůcht dann du? Wer hat mich in meiner schwachheit mehr erlabt und in meinem jamer, trauren und klagen mehr getröst dann eben du, mein liebste Cassandra? Darumb tröst dich nůr unnd vertraw diser Lucien! Die würt dich in irem leben nit verlassen; und so es auch müglich wer, das wir nach unserem absterben einander dienst beweisen künden, wolt ich mich gegen dir in keinerley weg sparen. Das vertrawen solt du vestiglich zů mir haben.‹ Diss trostes sich Cassandra nit wenig erfrewen thet.

Kurtzlich nach diser red gebar Cassandra ein schöne junge tochter, die nant sie Amelia. Lucia was ir pflegerin. Wiewol sie auch andere vorgengerin het, so ir warten solten, so was ir doch nichts anmütigers dann eben, das ir Lucia bewies, es wer mit dem geköcht oder mit anderer wartung; dann es was zů beiden theilen ein solch gros vertrawen und lieb umb sie, als wann sie natürliche und rechte geschwistern gewesen werend. Nit weniger liebe und fründschafft trůgen die beide mann zůsamen, wie ir dann oben gehört haben; ir keiner mocht ohn den anderen bleyben. So was Richart dem Lasaro sunderlichen vorstendig mit gold und edlem gestein, also das sich Lasarus in kurtzer zeit mit seinem handel so dapffer hieneinrichtet, das er ein grosser herr ward.

Die gůt geselschafft, so sie täglich einander bewisen und leysteten, nem zů gar lange weil zů beschreiben; darumb wend wir das mit fleiss übergohn und wöllen sagen, in welcher gestalt die beyde kinder aufferzogen sind. In irer jugendt wurden sie täglich mit ordenlicher wartung underhalten; zů rechter zeit lies man in iren schlaff, ire leinwat, beth und decke wurden mit fleis gantz seuberlichen gehalten. Also namen die beide kindlin fast zů; sie waren überaus schön von gestalt und lidmas, welches iren älteren hertzliche grosse frewd gebären thet. Sie waren auch täglichen in ernstlichem flehen und gebett zů gott dem herren, das er die kindlin bey nacht und bey tag in seinem götlichen schirm erhalten, behüten[180] und bewaren solt und das er in, den älteren, semliche gnad verleihen wolt, das sie die kinder zů seinem lob möchten aufferziehen; darumb inen dann gott der almechtig ire kinder behüten ward.

Also wer es noch ein feiner, gotseliger brauch, so uns got der almechtig kinder bescheret, das wir wol bedechten, warzů und warumb uns die gott geben het, nit das wir sie zů aller bossheit und üppigkeit aufferziehen sollen, inen allen můtwillen gestatten, sunder in der forcht gottes, dieweil wir das aus gottes gebot schuldig sind, aufferziehen. Wie wir haben im 5. bůch Mose am 4. capitel. Dann gott der herr befalhe gar ernstlichen dem volck, das sie ihre kinder in der forcht gottes aufferziehen, inen auch seine gůtthaten, gebot und wunderwerck täglichen vorbilden solten, damit sie täglichen in dem gesatz geübt würden. So haben wir auch ein schön und herrlich exempel an dem seligen Tobia; item an den älteren Susanne, die sie dann in aller gottseligkeit ufferzogen haben. Matathias vor und ehe er starb, ermanet und underwiss er seine kinder fast trewlich. Dise lond uns zům beispil und exempel nemen! So würt uns gott glück und heil zů unseren kinden geben und uns frewd an denen erleben lassen. Diejenigen aber, welche ein wolgefallen haben an der bossheit irer kinder, dieselbigen würt gott mit grossem jamer umbgeben und ire kinder zů grossen schanden kumen lassen.

Quelle:
Georg Wickram: Werke. Band 2, Tübingen 1903, S. 179-181.
Lizenz:
Kategorien: