43.
Wie Morpheus, der fürnemst under den trewmen, dem jüngling inn der nacht fürkumpt in aller gestalt und form, als wann es Amelia, die junckfraw gewesen were.

[236] Es ist einer under vil hundert tausent trewmen, so umb den gott des schlaffs wonen, der allerlistigest, genant Morpheus, welcher sich inn eines yeden menschen bild verwandlen kan so gantz gleich und änlich, das kein underscheid nit mag gemerckt werden. Und obgleich ein mensch vor vil jaren mit tod abgangen, so kan doch diser Morpheus sein gestalt, so er bey seinem leben gehabt, wider erzeigen, als wann der noch in leib und leben wer. Diser Morpheus nam an sich die gestalt der trawrigen Amelien, und als Lasarus der jüngling entschlaffen was, kam er im also in trawriger gestalt für, gebar gantz kläglichen und sagt: ›O Lasare, wie hastu mein so gar vergessen, wie bald hastu mich von hertzen geschlagen! Du hast mich in grossem trawren bey meinem vatter und můter verlassen; du aber bedenckst ein solches gar wenig. Dir manglet an keiner kurtzweil noch freuden; dargegen aber[236] bin ich mit grossem laid umbfangen. Yetzund wunderet mich gar nicht mehr, das du also von mir hinweggeschaiden bist sunder alles urlop. Wolan, ich můs dirs nachgeben. Biss frölich! Ich far dahin.‹ Diss geredt, hat sich Morpheus gleich von dannen gemacht und seine flügel an seine füs gebunden, wider in Cimmeria geflogen, da er den schlaff mit vil der umbstenden trewm funden hat.

Lasarus von disem gesicht und trawm erwachet, umb sich greifen ward, vermeinend sein Amelia noch zůgegen sein. Als er sich aber befand durch einen trawm betrogen sein, warde er sein ungefell hefftig klagen und sagt: ›O du unseliger und betrüglicher Morphee, durch was hab ich doch umb dich verschuldet, das du mir ein solch falsch und unwarhafftig gesicht in meinem schlaaff fürbringest! Ich sorge, du betrüglicher Morphee, du werdest dich gleicher gestalt bey meiner liebsten junckfrawen Amelia geübt haben, damit du sie auch gleich wie mich in angstbarkeit und trawren setzest, mich auch also verdächtlich gegen ir machest, als ob ich ir schon vergessen hätte. O du mein liebste junckfraw, möcht es müglich sein, das du aus dem künigreich Portugal in Brabant sehen, mir auch in mein hertz hinein schawen, sicher würdest du mir keines argen nimermehr vertrawen und mich ye mehr als einen waren, rechten und getrewen liebhaber erkennen.‹ Mit disen und derengleichen worten Lasarus die übrig zeit der nacht on allen schlaff zů end bracht, biss des morgens der pfaw mit seinem haiseren geschrey den tag verkünden ward.

Reichhardus von seiner rhů uffstůnd, damit er sich des schiffs nit versaumet. Lasarus auch aus seiner schlaffkamer kam; wunschten einander einen säligen morgen. Reichhardus der trawrigen gestalt des jünglings bald warnam, mocht aber die ursach gar nit wissen, dieweil Lasarus des abents so gůter ding gewesen was. Reichardus fieng an den jüngling auffs früntlichst zů fragen, was doch die ursach seines trawrens wer. Der jüngling im aber des kein wort endecken wolt; damit er aber auff sein frag antwurten möcht, sagt er: ›O mein allerliebster vatter, ir solt meines trawrens nit wunder haben, dieweil ir heut von mir scheiden und uff das wütend meer euch begeben werdt, ich aber nit würd wissen mügen, wie es[237] umb euch ein gestalt hab, welches allein meines trawrens die scheinbarst und gröst ursach ist.‹

Von diser red ward Richart gantz gesettiget, vermeinet auch nit anderst, dann Lasarus nem im semlichen unmůt von wegen seines abscheidts, tröst in darauff, so best er mocht. Sind demnach mit einander an das port zů dem schiff gangen und ein entlichen beschaid bey dem schiffmann geholt, auff welche stund er von land säglen wolt. Also ward im die stund auff mittentag bestimmet, so würd alle alle wahr sampt den kaufleuten fertig sein und das schiff von land stossen.

Bald Reichardus das vernumen, hat er ein gůt mal in seiner herberg bereiten lassen, den Franciscum, sein weib und gesellen sampt dem Ferdinando darzů berůffen und sich also früntlich mit inen abgeletzet, das mal mit fründtlichem gespräch bis zům end vertriben, biss die zeit kumen, das man sich zů schiff schicken solt. Da hat Reichardus urlaub von seinem wirdt genumen, in tugentlich abbezalet, sich fründtlich mit dem haußgesind geletzet und demnach zů dem schiff gangen. Sie allsamen habend in fründtlich belaitet biss zů dem schiff. Und als sie einander auffs früntlichst genadet haben, ist Reichart zů schiff gangen. Bald hat der patron des schiffs die sägel auffgespant und mit gůtem glücklichem wind von land gefaren, in kurtzen tagen das künigreich Portugal erraichet. Da ist ein gross jubilieren und frolocken gewesen von denjenigen, so kostliche wahren auff dem schiff gehabt, auch von denen, so ire fründ wider zů land kumen sind, wie dann solches wol zů vermůten ist.

Quelle:
Georg Wickram: Werke. Band 2, Tübingen 1903, S. 236-238.
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