75.

Von einer gräffin, die einem jungen edelmann ungewarneter sach vermechlet ward.

[98] Es hat sich zu Paris begeben, das ein graff hat ein gar schöne tochter; die ward eim jungen edelmann hold, der an ires vatters hoff dienet; welches der vatter vernimpt und straffet die tochter seer bey verlierung seiner huld, wo sy des edelmanns nit müssig gange. Der edelmann vermerckt die liebe der greffin und stelt sich offt an orten und enden, da er dann wusst, das sy furgan wurde, das er sy könte zu red stellen, welches dann bey langem beschach.

Auff ein zeyt trifft er sy an, und wie dann die liebe ein art an ir hat, erröten sy beide. Und doch legt er die scham hindan, redt sy an mit freuntlichen worten: ›O ir mein hort, mein trost und schönste auff erden, wie hab ich doch so lang begert, mit euch einmal zu reden, und sich nie hat können schicken dann yetz! Darumb lassen uns nun gnug nach unsers hertzen lust mit einander reden!‹ Die schöne jungfrauw sprach: ›Nein, es wirt sich hie nit schicken. Nemmen hin den gartenschlüssel und verfügen euch hinnacht in meines vatters garten! Dahin wil ich auch kommen; alsdenn wöllen wir nach unsers hertzens begir mit einander reden.‹ Der edelman nimpt den schlüssel und verfüget sich in den garten, dahin dann sie auch gegen der nacht kam. Da traffen die zwey einander an; es mag ein jeder wol gedencken, wie trewlich sy einander gemeinet haben; sind auch nach langem all bede am lotterbeth entschlaffen, das in dem gartenheüßlin was.

Morgens, wie sich dann ein ding schicket, kondt der alt[98] graf, ir vatter, nit schlaffen, sonder stadt auff und gadt in den garten spacieren, sich da als mit dem vogelgsang zů erquicken. Bey langem, so er herummer spaciert, kompt er in das gartenheüßlin; alda findet er sein tochter und den jungen edelmann beyeinander růwen. So er daß ersicht, schweiget er still unnd gadt hindan heim, spricht zů seiner frauen: ›Als man zůr messe leütet, söllen ir und unser tochter mit sampt euwer frawenzimmer in die kirch gan und andechtig messz hören.‹ In dem schied er von iren und schicket nach einem caplan, sagt im: ›Lieber herr, ir werden heüt mein tochter unnd den jungen edelmann, den ich an meinem hof hab, zůsamengeben.‹ – ›Das wil ich gern thůn, gnediger herr,‹ sprach der caplan.

So es nun umb die zeit ward, schicket der graf einen diener zů seiner tochter, laßt ir sagen, sie sölle eylentz zum altar gan und vor dem caplan niderknüwen; welches sie eylentz thůt, weißt aber nit, was der vatter darmit meinet. Schicket auch den diener zum jungen edelman, laßt im sagen, er sölle zů seiner tochter vor dem caplan niderknüwen, das er mit begir seines hertzens vollbringt. Also gab sy bede der caplan zůsamen, und verwundert sich yederman drab.

Dise that ist zů loben am grafen; dann zu geschechnen dingen sol man allzeit das best radten.

Quelle:
Georg Wickram: Werke. Band 3, Tübingen 1903, S. 98-99.
Lizenz:
Kategorien: