Eilfter Auftritt.

[135] Die Markgräfin, Klementina.


DIE MARKGRÄFIN. Ich glaubte, den Chevalier bey dir zu finden, Klementina?

KLEMENTINA. Er hat mich diesen Augenblick verlassen, gnädige Mama!

DIE MARKGRÄFIN. Du hast uns alle in Erstaunen gesetzt, Klementina! Wer hätte einen solchen Ausgang vermuthen sollen? Wir sind in grosser Verlegenheit – Dein Bruder Jeronymo dringt hitzig darauf, dass wir uns nicht an deine Schwärmereyen kehren sollen. Diess war sein Ausdruck. Das Übermass seiner Dankbarkeit gegen Grandison macht ihn ungehalten auf seine Schwester. Aber du hast an dem Pater Mareskotti und mir Fürsprecher gefunden. Ich bedaure den Chevalier; ich bedaure dich, Klementina; ich fühle alle die Wunden, womit der Kampf dein Herz zerreissen musste, ohne den[135] du keinen solchen Sieg erhalten konntest. – Aber wirst du auch Stärke genug haben, meine Liebe, bey dem Vorsätze zu bleiben, den du so grossmüthig genommen hast?

KLEMENTINA. Ich fühle meine Schwäche, und ich hoffe, dieses wird meine Sicherheit seyn. Ich habe nicht ohne Überlegung gehandelt. Ich überdachte alle meine Pflichten; ich setzte mich an die Stelle einer Person, die mich in solchen Umständen, wie die meinigen, um Rath fragte. Die Entscheidung war wider den Vortheil meines Herzens. Ich zweifelte; mein Herz empörte sich wider die Aussprüche meiner Vernunft; ich durfte mir selbst nicht trauen. In der Beängstigung, worein mich diese Ungewissheit setzte, nahm ich meine Zuflucht zum Himmel. Ich bat die heilige Jungfrau, einer Unglücklichen beyzustehen, deren Herz willig war, seine Pflicht zu thun, deren Vernunft aber geschwächt war. Mein Gebet wurde erhört. Es wurde mir eingegeben, was ich thun sollte. Ich schrieb alles auf. Meine Seele war des himmlischen Triebes voll, der ihr geschenkt wurde. Ich war gelassen und tapfer, bis die Stunde kam, die ich dem Chevalier bestimmt hatte. Der innerliche Streit fing jetzt wieder an, ich rang mit mir selbst; sein Anblick erschütterte alle meine Entschliessungen. Ach! könnte ich ihm nur mein Papier geben, dachte ich, so würden alle Schwierigkeiten vorüber seyn. Ich bin gewiss, wenn er die Redlichkeit[136] meines Vorsatzes siehet, so wird seine Grossmuth mich selbst darin unterstützen. Ich habe mich in meiner Erwartung nicht betrogen, und nun hoffe ich, sein Beyspiel, und eben die unsichtbare Macht, die mir Muth gegeben, nach meiner Pflicht zu handeln, werde mir Standhaftigkeit geben, darin zu verharren.

DIE MARKGRÄFIN. Liebste Klementina, was kann ich dir sagen? Ich bewundere dich, und verehre die geheime Leitung der Vorsicht. So sehr dein Entschluss meiner Erwartung und selbst meinen Wünschen entgegen ist, so kann ich ihn doch nicht missbilligen. Ich bin stolz auf dich, meine Klementina! – Aber, was sollen wir nun mit diesem vortrefflichen Manne machen? Du wärest das einizge seiner würdige Geschenk, das wir ihm anbieten konnten. Nun vermehrt selbst die Grossmuth, womit er in deinen Vorsatz williget, die Last unsrer alten Verbindlichkeiten.

KLEMENTINA. Diess ists, was mich am meisten beunruhiget. – Aber ich bin versichert, dass diese Unruhe den Chevalier beleidigen würde, wenn er sie wüsste. Grossmüthige Handlungen sind seiner Seele zur Natur geworden. Seine Tugend erhebt ihn über alle Belohnungen; sie macht ihn durch sich selbst gross und glücklich. Aber, gnädige Mama – Erinnern Sie Sich – Ich wünschte – Ich fürchte mich, zu reden – Sie sagten, dass Sie mich bedauerten –[137] Ach liebste Mutter, ich habe aller Ihrer Zärtlichkeit, alles Ihres Mitleidens vonnöthen!

DIE MARKGRÄFIN. Rede frey, meine Klementina! Du bist alles, was mir am theuersten ist. Kannst du an meiner Liebe zweifeln? Sags was du von mir verlangst! Deine Glückseligkeit ist mir mehr als meine eigene.

KLEMENTINA. Eben diese allzu gütige Zärtlichkeit macht mich furchtsam. – Aber ich muss reden – Sie wissen gnädige Mama, dass von der Kindheit an mein Verlangen gewesen ist, mich dem einsamen Stande zu widmen. Sie wissen, wie sehr dieser Trieb zugenommen hat, seitdem ich den Chevalier kannte. Ihre Liebe zu mir hat sich bisher meinem sehnlichen Verlangen widersetzt, und meine Dankbarkeit, mein Gehorsam gegen die beste unter den Müttern hat auf Unkosten meiner Ruhe mit dem Triebe meines Gewissens gekämpft. Befreyen Sie mich, liebste Mutter, von einem Streit, unter welchem ich erliegen muss – Machen Sie Ihre Klementina glücklich! – Hat nicht mein unglücklicher Zustand auch Sie unglücklich gemacht? – In der Welt würde ich es allezeit bleiben. Lassen Sie mich unter die Flügel einer heiligen Einsamkeit fliehen! Ich werde nicht aufhören, Ihr Kind zu seyn, wenn ich ein Kind Gottes bin. – Sie werden Ruhe und Heiterkeit auf meinem Gesichte sehen; Sie werden den Frieden des Himmels, die Hoffnungen der Unsterblichen in meinen[138] Augen lesen; Sie werden mich glücklicher sehen, als mich der Besitz aller irdischen Güter machen könnte; und dieser Anblick wird Ihr Herz mit Trost und Freude erfüllen.

DIE MARKGRÄFIN. Ach, Klementina! was forderst du von meiner Zärtlichkeit? – Du kennest die Gründe, welche die Familie verhindern, in dein Begehren zu willigen. Unsere Liebe zu dir giebt ihnen eine überwiegende Stärke. Wir können uns weder von dir trennen, noch unsere Absichten mit dir aufgeben.

KLEMENTINA. Und könnten Sie zusehen, gnädige Mama, dass Ihre Klementina das unglückliche Opfer von Absichten würde, an den ihr Herz keinen Antheil nehmen kann? – Nein! ich beleidige Ihre Grossmuth! Sie können es nicht! – Bedenken Sie, was ich schon gelitten habe! – Schonen Sie Ihres armen Kindes! Lassen Sie mich nicht durch einen Widerstand in dem einzigen Wunsche, auf den mein Herz gerichtet ist, von neuem muthlos gemacht werden. Ein Rückfall könnte mich auf immer zu Grunde richten.

DIE MARKGRÄFIN. Allzu rührendes Kind, wer kann deinen Bitten widerstehen? Du ängstigest mein Herz, Klementina – Hier kommt dein Vater; wenn er in dein Begehren williget, so werde ich mich unterwerfen müssen.


Quelle:
Christoph Martin Wieland: Sämmtliche Werke. Supplemente Band 5, Leipzig 1798, S. 135-139.
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