Ode an Schinz

[44] Heil dem glücklichen Tag der die Belohnungen

Deiner Tugend dir bringt, und von unzählbaren

Goldnen Tagen begleitet

Vom Olympus herunter kommt!


Nun ist Daphne ganz Dein. Daphne in deren Blick

Lieb und Unschuld dir strahlt; Güte beseelt ihr Herz,

Und ihr holdes Betragen

Tausend sittsame Grazien.


Nun ist Daphne ganz dein! Glücklicher schau entzückt

In die Zukunft hinaus. Laß von den seligen

Rosenwangichten Stunden

Ungenossen nicht eine fliehn.


Jede Tugend gesellt sich zu den Freuden hin

Die dir winken; oft hebt Young sie zum Himmel auf,

Wenn am festlichen Abend

Euch der lispelnde Hain empfängt.
[44]

Eure Liebe lebt noch, wenn die Narzissen sich

Mit dem Spiegel entzwein; wenn das Tibullische

Einst vergötterte Mädchen

Unbesungen vorüberschleicht.


Denn sie welkt nicht hinweg unter Umarmungen

Wie die comische Glut, die auf der Wang entbrennt,

Die von Küssen sich nähret,

Und an Küssen zuletzt erstickt.


Euer Leben voll Ruh und vor dem Neid bedeckt

Fließt durch Blumen dahin. Weise, du weißt es, Freund,

Haben oft sich gewünschet,

Was dein selig Geschick dir gibt.


Ach ich sah auch vordem, glücklicher S[chinz], wie du

In die Zukunft hinaus; schönere Hoffnungen

Hat die himmlische Liebe

Keinem Sterblichen je gezeigt.


Und nun sind sie dahin – ewig dahin! sie ruft

Keine Träne zurück! Und, wie ein Morgentraum,

Wie ein Schatten im Mondlicht

An Gebüschen hinunterschlüpft.


Schwebt nur, matt und entfärbt, was einst Empfindung war,

Was Entzückung einst war, meiner Serena Bild,

Jeder Stunde der Liebe

Holder Schatten vor mir vorbei.


Niemals seh ich hinfort ihres geliebten Augs

Heitern himmlischen Geist; ihres Gemütes Bild,

Niemals sink ich vor Freude

An die lächelnden Lippen hin.


Ach wir werden nicht mehr, in die vertrauliche

Grüne Stille gehüllt, unsrer Unsterblichkeit

Und dem Leben der Engel

Halb entkörpert entgegensehn.
[45]

Doch, ich klage nicht, Freund, schweigend erkenn ich hier

Eines Weiseren Macht. Oft kommt ein Augenblick

Da mein Herz ihm noch danket,

Und Serenen itzt reiner liebt.


Und sie ist es auch wert. Selten belebt ein Herz

Wie das ihrige ist, und ein so heller Geist

Einen weiblichen Busen,

Wo die zarte Empfindung glüht.


Mitten unter der Welt wagt es ihr Helden Herz,

Weis und edel zu sein; aber der beste Teil

Den sie lebt, ist verborgen,

Engel sehn ihn und lieben sie.


Doch der heutige Tag ist nur der zärtlichen

Frommen Freude geweiht. Laß kein mitleidig Ach

Keinen Seufzer, o Daphne,

Nach Serenen zurücke fliehn!


Mein beruhigtes Herz fühlet bei euerm Glück

Eine reinere Lust, als die Entzückung war,

Die die Hoffnung mir ehmals

In Serenens Besitz verhieß.


Laß mir dieses Gefühl, das mich so glücklich macht,

Freund, dich glücklich zu sehn! Und was ich selber mir

Zu Serena einst wünschte

Sei mit Daphnens Umarmung dein.


Freuden warten auf dich, welche zu sehen oft

Aus den Sphären herab Engel gestiegen sind,

Edle, menschliche Freuden

Die die Weisheit dir heilig macht;


Wenn sie, welche mein Herz, S[chinz], dich zu lieben neigt,

Und dein redlicher Sinn, wenn auch die sittsame

Schöne Unschuld der Mutter

Bei den spätesten Enkeln lebt.
[46]

Deckt ein bräutliches Rot, D[aphne], die Wange dir?

Ist die Hoffnung nicht schön? Wie wird der Anblick sein,

Wenn dein lächelndes Nachbild

Um den zärtlichen Busen scherzt?


O dann lehre sie auch, wenn sie sich jugendlich

Mit sanftlächelndem Mund Worte zu reden übt,

Meinen Namen bald stammeln

Und Serena mit Seufzen nennen!


Quelle:
Christoph Martin Wieland: Werke. Band 4, München 1964 ff., S. 44-47.
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