37.
Kleonidas an Aristipp.

[304] Ich danke dir für die Mittheilung deines Antiplatonischen Symposions, worin du ungefähr alles Gute und alles Böse, was sich von dem Meisterstück des Attischen Philosophen sagen läßt, mit nicht geringerer Beobachtung des Schicklichen als er selbst in Vertheilung der Rollen bewiesen hat, der damaligen Tischgesellschaft unserer Freundin in den Mund legst. Was du in deinem Brief an Eurybates bescheidener Weise für einen Nachtheil deines Gastmahls in Vergleichung mit dem Platonischen ausgibst, daß es nämlich durchaus das Ansehen eines freien, unvorbereiteten, kunst- und anspruchlosen Tischgespräches hat, scheint mir eher ein Vorzug zu seyn, auf welchen du, insofern die Kunst (wie ich nicht zweifle) auch an dem deinigen Antheil hat, dir vielmehr etwas zu gute thun könntest. Ausführliche methodische Behandlung und Erschöpfung des Stoffes der Unterredung schickt sich auf keine Weise für ein Gespräch dieser Art; aber desto lobenswürdiger ist es, wenn die redenden Personen, indem sie nur mit leichtem Fuß über den Gegenstand hinzuglitschen scheinen, dennoch alles sagen, was den Zuhörer auf den Grund der Sache blicken läßt, und in den Stand setzt, sich jede Frage, die noch zu thun seyn könnte, selbst zu beantworten.

Das Mährchen von Amor und Psyche, womit Lais die Unterredung so sinnig und anmuthig schließt, ist eines von den wenigen, wo die dichterische Darstellung mit der malerischen[305] in Einem Punkte zusammentrifft, und beide Künste, so zu sagen, herausgefordert werden, welche die andere zu Boden ringen könne. Ich habe der Versuchung nicht widerstehen wollen, die zwei auf einander folgenden Augenblicke, von welchen dieß vorzüglich gilt, in den zwei Gemälden darzustellen, die du zugleich mit diesem Brief erhalten wirst. Ich habe ihnen noch zwei andere beigelegt, wovon die Scene in meinem eigenen Hause liegt, und die, wie ich gewiß bin, eben dadurch desto mehr Anmuthendes für dich haben werden. Jene kannst du, deines Gefallens, entweder für deine kleine Galerie behalten, oder an Learchen abgeben, der (wie ich höre) etwas von mir zu haben wünschet.

In dem kleinen Familienstück ist die Figur, die mich selbst vorstellt, von der Hand meiner Schwester Kleone. Das Mädchen zeigte, nachdem sie einige Zeit in meinem Hause gelebt hatte, so viele Lust und Anlage zu meiner Lieblingskunst, daß ich nicht umhin konnte ihr einige Anleitung zu geben. Sie hat bereits ziemliche Fortschritte gemacht, und ist, wie du siehest, auf gutem Wege, ihrem Lehrmeister gerade darin, worin er sich etwas geleistet zu haben schmeichelt, den Rang abzugewinnen. Sie war eben in Musarions Kinderstube mit einer kleinen Arbeit beschäftigt, als mich der Zufall mit dem süßen Anblick begünstigte, den ich in diesem Gemälde, wenigstens so lange die Farben aushalten, zu verewigen gesucht habe. Als ich mit der Mutter und den Kindern fertig war, fand die kleine Hexe Gelegenheit sich in mein Arbeitszimmer zu schleichen, und, während ich auf ein paar Tage abwesend war, mich selbst der holdseligen Gruppe als einen sehr warmen[306] Antheil nehmenden Zuschauer beizufügen. Aber der Kreter kam an einen Aegineten139, wie das Sprüchwort sagt. Ich überschlich sie dafür wieder, da sie in einer Laube unsers Gartens, allein zu seyn meinend, ein Bild, woran sie eben gearbeitet hatte, mit einem Ausdruck, den ich nicht beschreiben kann, den ich aber mit dem Pinsel zu erhaschen suchte, betrachtete. Sie weiß nichts von dem kleinen Streiche, den ich ihr gespielt habe. Ich gestehe dir meine Schwachheit, Aristipp; ich liebe das Mädchen so sehr, daß ich nicht ruhig bin, bis alle meine Freunde wissen, wie liebenswürdig sie ist.

Quelle:
Christoph Martin Wieland: Sämmtliche Werke. Band 23, Leipzig 1839, S. 304-307.
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