4.
Kleonidas an Aristipp.

[9] Freue dich meines Glücks mit mir, Aristipp! Musarion, meine Musarion – – das war sie, meinen Gefühlen und Wünschen nach, schon beim ersten Blick; aber, da mir die Absichten ihrer großmüthigen Vormünderin mit ihr unbekannt waren, und ich es für unedel hielt, ihre Zuneigung verstohlnerweise zu gewinnen, verschloß ich meine Wünsche in meinen Busen, und hielt mich zurück sie sogar dir zu entdecken, vor dem ich nie ein anderes Geheimniß haben werde – diese Musarion, mein Freund, ohne die für mich kein Glück ist (halte mir diesen einzigen Zug von Ungleichheit mit dir zu gut!), ohne die ich das reinste Glück des Lebens nie gekannt hätte, sie ist mein! Sie wird mir in einen andern Welttheil folgen! In kurzem werden die hochzeitlichen Fackeln für deinen Freund angezündet. Möchtest du doch in Person gegenwärtig an unsrer Freude Antheil nehmen! Ich darf es nicht hoffen; aber ich sehe den Tag kommen, der uns in Cyrene, vielleicht enger als jemals, wieder vereinigen wird.

Die schöne Lais, die Stifterin meines Glücks, hat sich ihrer sich selbst auferlegten Pflicht gegen die Tochter des Leontides auf eine höchst edle Art erledigt, und bei den guten Aussichten, die ich in unserm Vaterlande habe, scheint mein künftiger Wohlstand so fest gegründet zu seyn, als es in diesem ewigen Wogen der menschlichen Dinge überhaupt möglich ist.[10]

Auch der fürstliche Arasambes ist dem Ziel seiner feurigsten Wünsche nah. Lais scheint immer mehr Neigung zu ihm, er immer mehr von dem Zutrauen, das man für ein höheres aber wohlthätiges Wesen fühlt, zu ihr zu fassen. Er will sie bloß ihr selbst, nicht seinem Ungestüm noch seinen Schätzen, zu danken haben; und dieß ist, wenn ich sie recht beurtheile, gerade das Geheimniß sie zu gewinnen. Sie werden (wenigstens so lange als ihn der König nicht an seine Hofstatt beruft) abwechselnd bald zu Ephesus, bald zu Sardes, bald auf den prächtigen Gütern, die er in Lydien hat, leben, und Lais wird einen Zauberkreis von Freuden und Scherzen, Musen und Grazien, um ihn her ziehen, der seine Wohnung in einen Göttersitz verwandeln wird.

Arasambes hat alles versucht, mich bei ihm zurückzuhalten: aber Umstände und Pflichten, und ich weiß nicht welches stille aber drängende Sehnen nach der vaterländischen Luft, rufen mich gebieterisch nach Libyen zurück. Doch werde ich, bis zu der Jahreszeit, die der Ueberfahrt die günstigste ist, bei ihm verharren, und wenn ich es irgend bewerkstelligen kann, dich, mein Freund, noch vorher zu Samos sehen.

Quelle:
Christoph Martin Wieland: Sämmtliche Werke. Band 23, Leipzig 1839, S. 9-11.
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