Achtes Capitel
Das höchstklägliche Abenteuer mit den Gras-Nymphen

[185] Inzwischen setzte Don Sylvio mit seinem getreuen Achates, unter mancherlei Gesprächen, wozu ihre Begebenheiten Anlaß gaben, seine irrende Reise fort, und ruhete von Zeit zu Zeit in den anmutigen Gebüschen aus, womit die bezaubernden Landschaften von Valencia, wie mit Kränzen durchwunden sind.

Sie befanden sich würklich in einem kleinen Cypressen-Wald, wohin sie die zunehmende Hitze getrieben hatte, und wo sie sich an der lachenden Aussicht über die blühenden Ebnen ergötzten, die sich zu beiden Seiten des Guadalaviars verbreiteten; als Pedrillo, plötzlich eine Entdeckung machte, welche allen Bekümmernissen, Liebesschmerzen und Herumirrungen unsers Helden auf einmal ein erwünschtes Ende zu versprechen schien.

Hei sa, gnädiger Herr, rief er, Freude über Freude, wir haben unsre Princessin gefunden, oder meine Augen müssen bezaubert sein; seht ihr den blauen Sommervogel nicht, der dort um die Rosenstauden herum flattert?

Pedrillo betrog sich nicht gänzlich; es war würklich ein blauer Sommervogel, und Don Sylvio wünschte zu sehr, daß es seine Princessin sein möchte, als daß er einen Augenblick daran gezweifelt hätte. Ich will auf diese Seite herüber gehen, gnädiger Herr, sagte Pedrillo, und ihr schleicht indessen allgemach auf ihn zu; er soll uns nicht entwischen, und ich denke, die Princessin braucht euch nur zu sehen, so wird sie euch von selbst in die Hände fliegen.

Der Sommervogel schien würklich die Hoffnung des Pedrillo zu rechtfertigen; er flog in kleinen Kreisen dem Don Sylvio entgegen, und dieser näherte sich ihm schon mit ausgestreckter Hand, von Freude und Sehnsucht zitternd; als der Unstern unsers armen Liebhabers einen andern weißgrauen Sommervogel herbei führte, der den blauen kaum erblickte, als er mit der Dreistigkeit, die dieser verbuhlten Gattung von Geschöpfen eigen ist, auf ihn zuflog, und sich nicht scheute vor den Augen seines Nebenbuhlers sich Freiheiten heraus zu nehmen, zu denen er desto mehr berechtiget zu sein glaubte, da es ihm vermutlich[185] nicht in den Sinn kam, daß seine geflügelte Schöne eine Princessin sein könnte.

Don Sylvio geriet, wie man denken kann, über diese Verwegenheit in eine desto größere Wut, da er in dem Widerstand des blauen Schmetterlings einen neuen Grund zu sehen glaubte, daß es ganz gewiß seine Princessin sei; er warf sich also dazwischen, und war glücklich genug, seinen mutwilligen Nebenbuhler mit einem Stabe, den er in der Hand hatte, zu Boden zu schlagen. Allein die vermeinte Princessin war indessen in der Angst davon geflogen, und je schneller ihr Don Sylvio und Pedrillo nacheilten, desto schüchterner flatterte sie vor ihnen her, vermutlich, weil sie noch immer von dem weißgrauen Schmetterling verfolgt zu werden glaubte.

Von ungefähr trug sich zu, daß drei oder vier Mädchen aus einem benachbarten Dorfe, um von ihrer Arbeit auszuruhen, am Ufer des Flusses sich in den Schatten gesetzt hatten, und sich damit belustigten, aus den Blumen, welche häufig um sie her blühten, Kränze zu flechten.

Der blaue Schmetterling hatte seine Verfolger so weit hinter sich gelassen, daß sie ihn kaum noch mit den Augen erreichen konnten; und weil er sich jetzt außer Gefahr glaubte, so fing er an, wieder ruhiger zu werden, und schweifte so lange von Blume zu Blume, bis er einer von den vorbesagten Dirnen in die Hände geriet, die ihn haschte, und zum Zeitvertreib an einem Faden, den sie um seine Füße band, um sich her flattern ließ.

Don Sylvio, der schon nahe genug war um dieses Spiel zu beobachten, sagte zu Pedrillo: Nun hab ich einmal den Aufschluß des Traumgesichts, dessen Erklärung mir gestern Morgen so viel zu schaffen machte; es war eine Warnung der Fee, meiner Freundin, die mich das, was mir jetzo begegnet, im Traum vorher sehen ließ, damit ich nicht unvorsichtig in den Schlingen meiner Feinde gefangen würde. Siehst du die Nymphe, die dort im Schatten sitzt, und den blauen Sommervogel an einem Faden um sich her flattern läßt.

Eine Nymphe, sagt ihr? antwortete Pedrillo; Sapperment Herr Don Sylvio, sie sieht einer Nymphe gerad so gleich als einem Fuder Heu; Es ist ein Grasmädchen, so gut als die andern, die dort im Schatten beisammen sitzen.[186]

Ich bin zu sehr gewohnt, erwiderte Don Sylvio, daß du alles besser wissen willst als ich, als daß ich mich über deine Unverschämtheit entrüsten sollte. Ich weiß, Dank sei der Fee Radiante! was ich davon denken soll, und du magst sie nun für eine Nymphe oder für ein Grasmädchen ansehen, so will ich entweder mein Leben verlieren, oder sie soll mir meine Princessin ausliefern.

Gnädiger Herr, antwortete Pedrillo, wenn die Rede von Salamandern, Sylphen, Rastral-Geistern und andern solchen Dingen ist, die über den Verstand des gemeinen Mannes gehen, da räum ich Eu. Gnaden herzlich gern ein, daß ihr euch besser darauf versteht; aber mit den Grasmädchen ist es etwas anders, die sind offenbar von meiner Competenz, und es ist auch keine Sache, wobei man sich betrügen kann; man riecht sie ja auf dreißig Schritte. Ich möchte wohl wissen, seit wenn eure Nymphen nach Knoblauch schmecken, oder so zerlumpte Unterröcke tragen, daß die Lappen herunter hangen, und das Hemd aller Orten hervor guckt? Kurz und gut, Herr, es ist eine Baurendirne, und dazu eine von den schmutzigsten, die man sich wünschen kann. Es wird nicht viel Mühe kosten, den blauen Schmetterling von ihr zu kriegen; ihr braucht ihr nur ein paar Maravedis zu gehen, so sagt sie euch noch vergelts Gott dafür.

Don Sylvio, der sich nicht berichten ließ, wenn er sich einmal etwas in den Kopf gesetzt hatte, würdigte diese Reden nicht einmal darauf Acht zu gehen; er ging auf die vermeinte Nymphe zu, und verlangte, daß sie ihm seinen Schmetterling wieder geben sollte.

Was gebt ihr mir um ihn, junger Herr, sagte das Grasmädchen lachend?

Alles was du willst, antwortete Don Sylvio – –

Gut, sagte die Nymphe, so gebt mir das Kleinod, das ihr hier am Halse hangen habt! ich will es meinen kleinen Schwestern nach Hause bringen, und wenn ihr mir noch einen halben Realen dazu gebt, so soll der Schmetterling zusamt dem Faden euer sein.

Verdammter grüner Zwerg, rief Don Sylvio voll Grimms, indem er seinen Säbel zog, hoffe nicht, unter dieser geborgten[187] Gestalt, die ein Beweis deiner Feigheit ist, meiner ungestraft zu spotten. Stirb, Verruchter, oder gib mir den Sommervogel, an den du keinen Anspruch machen kannst, den ich nicht mit Aufopferung meines eigenen Lebens aus deinem verdammten Herzen reißen will.

Man kann sich vorstellen, daß die schöne Nymphe auf eine so unhöfliche Anrede, die mit so fürchterlichen Drohungen begleitet war, weniger nicht tun konnte, als ein jämmerliches Geschrei zu erheben. Pedrillo, den die Narrheit seines Herrn bei nahe selbst toll machte, warf sich, weil alles Zureden nichts helfen wollte, zwischen ihn und die Nymphe, und bemühte sich, ihm seinen Säbel aus den Händen zu winden. Die übrigen Nymphen, welche sahen, wie übel man ihrer Gespielin begegnete, lieben auch herzu, und fielen wie Furien über den Sylvio und Pedrillo her, welche genug zu tun hatten, sich gegen ihre grobe Fäuste und lange Nägel zu verteidigen.

Unglücklicher Weise fügte es sich, daß der Liebhaber der jungen Nymphe, die das Unglück hatte, für den grünen Zwerg angesehen zu werden, nicht weit davon mit zwei oder drei andern Bauerknechten im Felde arbeitete. Das klägliche Geschrei dieser Weibsleute, und der Anblick seiner Geliebten, welcher Pedrillo im Begriff war einen starken Schopf Haare aus dem Kopf zu reißen, setzte ihn in eine solche Wut, daß er in Begleitung seiner Gesellen herbei eilte, und mit dem Knittel, den er dem Pedrillo aus den Händen riß, so nachdrücklich auf unsre beiden Abenteurer zudreschte, daß sie, ihres mutigen Widerstandes ungeachtet endlich von der Menge der Feinde zu Boden geworfen wurden. Der ergrimmte Liebhaber und die rachschnaubende Gras-Nymphe begnügten sich nicht hiermit, sondern schlugen noch so lange mit geballten Fäusten auf sie zu, bis sie besorgten, daß es zu viel sein möchte; und nachdem sich die Nymphe, zum Ersatz ihres Schmetterlings, der gleich zu Anfang des Gefechts entwischet war, des Kleinods unsers atemlosen Helden bemeistert hatte, so gingen sie allerseits davon, und ließen unsre Abenteurer für tot im Grase liegen.


Ende des ersten Teils
[188]

Quelle:
Christoph Martin Wieland: Werke. Band 1, München 1964 ff., S. 185-189,191.
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