Fünftes Capitel
Ein Spaziergang. Klugheit des Don Sylvio

[72] Sie hatten ihre Abrede kaum genommen, als sich in einiger Entfernung die schmetternde Stimme der Donna Mencia hören ließ, die ihre Gäste, frische Luft zu schöpfen, in den Garten führte, der zwar aus Mangel an Unterhaltung wild genug aus[72] sah, aber seiner Anlag und Einrichtung nach überaus anmutig war. Pedrillo hatte kaum so viel Zeit, sich hinter etliche Hecken von Myrthen in einen andern Gang zu schleichen, wo er unbemerkt aus dem Garten kommen konnte; Don Sylvio aber blieb auf seiner Bank sitzen, bis ihm die kleine Gesellschaft näher kam.

Da es ihm, ungeachtet seiner Torheiten, nicht an Vernunft fehlte, so begriff er bei der ersten Überlegung, daß er um die Entweichung, die er vorhatte, besser zu verbergen, ein Betragen annehmen müsse, welches ohne mit der Erklärung, die er seiner anmaßlichen Tante gegeben, einen allzustarken Absatz zu machen, doch Hoffnung fassen ließe, daß er nach und nach vielleicht gewonnen werden könnte.

Er ging also der Gsellschaft mit langsamen Schritten und einem Gesicht entgegen, welches weder ganz bewölkt noch ganz heiter war; er mischte sich mit einer guten Art in ihre Gespräche, und verbarg so gut er konnte, den Ekel und das innerliche Grauen, so ihm die Schwester des grünen Zwergs in desto höherm Grad verursachte, je mehr sie sich Mühe gab ihm zu gefallen, und ihn merken zu lassen, wie sehr er nach ihrem Geschmack sei.

Zu gutem Glück ersetzte die Eitelkeit der schönen Mergelina alles, was eine Person von feiner Empfindung an seinem Betragen vermißt hätte, so reichlich, daß sie vollkommen mit ihm zufrieden schien, obgleich alles, wozu er sich zwingen konnte, in den Grenzen der gleichgültigen Höflichkeit blieb, die man einem Gast und dem Geschlecht schuldig ist, wozu sie zu gehören schien.

Was seine Tante betrifft, so konnte wohl nichts überflüssigers sein, als die Sorge, die er sich machte, daß sie sein Vorhaben nicht argwöhnen möchte. Sie wußte, daß er weder Geld noch die mindeste Bekanntschaft in der ganzen Gegend hatte, und es fiel ihr also nur nicht als etwas mögliches ein, daß er mit einer Flucht umgehen könnte, wozu ihm alle Mittel fehlten. Es ist wahr, der Ton, womit er sich unterstanden hatte sich ihr entgegen zu setzen, und besonders die letzten Worte, die ihm im Unwillen entgangen waren, hatten sie stutzen gemacht, und sie hatte sich vorgenommen, sich im Hause zu erkundigen, ob[73] vielleicht in ihrer Abwesenheit etwas vorgegangen sei, das ihn zu einer so ungewöhnlichen Sprache veranlaßt haben könnte. Allein die Notwendigkeit ihrem geliebten Don Rodrigo (denn zu Rosalva war Herr Rodrigo Sanchez so gut Don, als ein Gusmann) Gesellschaft zu leisten, hatte ihr noch keine Zeit dazu gelassen; und da sie ihren Neffen jetzt so höflich gegen Donna Mergelina sah, so hoffte sie, daß er sich indes eines bessern besonnen habe, und hielt es für unnötig sich mehr um Ausdrücke zu bekümmern, die, wie sie glaubte, gar wohl, bloße Eingebungen einer unbesonnenen Jugendhitze gewesen sein könnten.

Quelle:
Christoph Martin Wieland: Werke. Band 1, München 1964 ff., S. 72-74.
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