Zehendes Capitel
Wie kräftig die Vorsätze sind, die man gegen die Liebe faßt

[225] Don Sylvio hatte sich unter anderm vorgenommen, den Eindrücken männlich zu widerstehen, welche, wie er sich selbst zu bereden suchte, die Ähnlichkeit der Donna Felicia mit seiner Princessin aufsein Herz machte. Dieser heldenmütige Entschluß gab ihm anfangs, wie er mit Don Gabriel zur Gesellschaft kam, ein so gezwungenes und entlehntes Aussehen, als nur immer ein Mittelding von einem Knaben und Jüngling haben kann, der nur erst neulich dem Collegio entwischt ist, und jetzt zum erstenmal in guter Gesellschaft erscheint. Donna Felicia bemerkte es beim ersten Anblick, ohne daß sie darauf acht zu geben schien; sie erriet die Ursache davon mit dieser außerordentlichen Scharfsinnigkeit, welche die Liebe zu geben pflegt,[225] und hoffte nicht ohne Ursache, daß ihre Gegenwart den Streit zwischen seiner Phantasie und seinem Herzen bald entscheiden werde.

Die Moralisten habens uns schon oft gesagt, und werdens noch oft genug sagen, daß es nur ein einziges bewährtes Mittel gegen die Liebe gebe, und dieses ist, sagen sie, so bald man sich getroffen fühlt, so schnell davon zu laufen als nur immer möglich ist. Dieses Mittel ist ohne Zweifel vortrefflich; wir bedauren nur, daß es diesen weisen Männern nicht auch gefallen hat, das Geheimnis zu entdecken, wie man es dem Patienten beibringen solle. Denn man will bemerkt haben, daß ein Liebhaber natürlicher Weise, eben so wenig fähig sei vor dem Gegenstande seiner Leidenschaft davon zu laufen, als ob er an Händen und Füßen gebunden oder an allen Nerven gelähmt wäre; ja man behauptet so gar, nach einer unendlichen Menge von Erfahrungen, worauf man sich beruft, daß es in solchen Umständen nur nicht einmal möglich sei, zu wünschen, daß man möchte fliehen können.

Es ist wahr, Don Sylvio hatte eine Art von Entschluß gefaßt, daß er (so bald es nötig sein sollte) fliehen wolle; allein wie man sieht, war dieser Entschluß nur bedingt, und die Liebe blieb allezeit Richterin darüber, ob es nötig sei zu fliehen oder nicht, und über dies war die schöne Felicia nicht dabei, wie er diesen Entschluß faßte.

Die Gegenwart des geliebten Gegenstandes verbreitet eine Art von magischer Kraft, oder (um uns eines eben so unverständlichen aber unsers philosophischen Jahrhunderts würdigern Ausdrucks zu bedienen) eine Art von magnetischen Ausflüssen rund um sich her, und der Liebhaber tritt nicht so bald in diesen magnetischen Wirbel, so fühlt er sich von einer unwiderstehlichen Gewalt ergriffen, die ihn, in einer Art von Spiral-Linie so lange um denselben herum zieht, bis er – Wir überlassen es der Scharfsinnigkeit des geneigten Lesers, die Allegorie so weit zu treiben als er will, oder als sie gehen kann, und bemerken nur noch, daß diese anziehende Kraft einer Geliebten, außer denen, die ihr mit den natürlichen und künstlichen Magneten gemein sind, noch die besondere Eigenschaft hat, alle Gedanken, Einbildungen, Erinnerungen oder[226] Entschließungen, die ihre Würkung entkräften könnten, auf einmal in der Seele des angezogenen Körpers auszuwischen.

Don Sylvio wurde in wenigen Minuten ein Beispiel dieser physicalischen Beobachtung. Er hatte sich vorgenommen Donna Felicia gar nicht anzusehen; er konnte sich aber doch nicht enthalten sie ein wenig von der Seite anzuschielen. Bald darauf wagte er einen directen Blick, aber so schüchtern, als ob er besorgt hätte, sie möchte Basilisken in den Augen haben. Dieser Versuch lief so glücklich ab, daß er kühner wurde, und er versuchte es so lange, bis er gar nicht mehr daran gedachte, noch daran gedenken konnte, die Augen von ihr wieder abzuziehen. Kurz die vorbesagte magnetische Kraft tat ihre Würkung so gut, daß er sich dem Anschauen seiner Göttin wieder so gänzlich, so ruhig und mit solchem Entzücken überließ, als ob nie keine Radiante, kein blauer Sommervogel und keine bezauberte Princessin innerhalb der kleinen Welt seines Hirnschädels existiert hätte.

Die schöne Felicia befand sich, in Absicht ihres Herzens, ungefähr in den nämlichen Umständen. Don Sylvio hatte zum wenigsten eine eben so starke magnetische Kraft für sie als sie für ihn; ja, wenn wir dem Albertus Magnus und andern Naturforschern (des guten alten blinden Teresias nicht zu gedenken, der, weil er wechselsweise Mann und Weib gewesen war, aus Erfahrung von der Sache sprechen konnte) wenn wir, sage ich, diesen Weisen glauben sollen, so mußte die Anziehung, die sie selbst erfuhr, würklich um ein gutes Teil stärker sein, ob sie gleich vermittelst einer gewissen vis inertiæ, womit die Natur oder die Erziehung ihr Geschlecht zu begaben pflegt, die Würkung derselben, nach Maßgabe der Umstände, so viel es nötig war, zu schwächen wußte. Diese gegenseitige Anziehung beschleunigte natürlicher Weise die wundervolle Concentration, die daraus zu erfolgen pflegt, und indem beide zu gleicher Zeit anzogen und angezogen wurden, so befand sichs, daß, ehe sie es selbst gewahr wurden, ihre Seelen einander schon in allen Puncten berührten, und also nicht viel leichter wieder von einander zu scheiden waren, als ein paar Tautropfen, die im Schoß einer halb geöffneten Rose zusammen geflossen sind.[227]

In einer so sympathetischen Gesellschaft wie diese war, konnte die Conversation nicht lange gleichgültig bleiben. Das Gespräch lenkte sich unvermerkt auf den sonderbaren Zufall, der unsern Helden und Don Eugenio mit einander bekannt gemacht hatte, und der Anteil, den die schöne Hyacinthe an diesem Abenteuer hatte, erweckte bei denen, die von ihrer Geschichte noch nicht umständlich unterrichtet waren, eine desto gerechtere Neugier, da ihre liebenswürdige Eigenschaften bereits jedes Herz für sich eingenommen hatten. Denn selbst Don Sylvio, so gleichgültig ihn seine Leidenschaft für die Donna Felicia gegen alle andere Reizungen hätte machen sollen, empfand wider seinen Willen eine Art von Zuneigung für sie, die er sich selbst nicht recht erklären konnte, und die ohne die Unruhe, das Feuer, und die Begierde der Liebe zu haben, alle Zärtlichkeit derselben zu haben schien.

Die schöne Hyacinthe hatte keine Ursache vor einer von den gegenwärtigen Personen ein Geheimnis aus ihrer Geschichte zu machen und hingegen sehr wichtige, sie zu entdecken. Die Leidenschaft des Don Eugenio, dasjenige, was er schon für sie getan, die Absichten die er mit ihr hatte, und vermutlich auch die Hauptumstände ihres Lebens waren würklich schon bekannt, und so groß auch die Achtung war, womit ihr Donna Felicia begegnete, so besorgte sie doch, daß man Vorurteile gegen sie gefaßt haben könnte, welche sie desto mehr zu vernichten begierig war, da sie einen so festen Entschluß, als eine Verliebte nur immer fassen kann, gefaßt hatte, ihrem Verständnis mit Don Eugenio ein Ende zu machen. Sie machte also keine Schwierigkeiten, der Bitte ihres Liebhabers, die von Donna Felicia und Don Sylvio unterstützt wurde, durch Erzählung ihrer Begebenheiten genug zu tun, auf welche unser Held desto begieriger war, da er nicht zweifelte, daß die Feen keinen geringen Anteil an demselben haben würden.[228]

Quelle:
Christoph Martin Wieland: Werke. Band 1, München 1964 ff., S. 225-229.
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