Drittes Capitel

Worin die Absichten des Hippias einen merklichen Schritt machen

[494] Inzwischen waren ungefähr acht Tage verflossen, welche dem stillschweigenden und melancholischen Agathon, zu großem Vergnügen des boshaften Sophisten, achthundert Jahre dauchten, als dieser an einem Morgen zu ihm kam, und mit einer gleichgültigen Art zu ihm sagte: Danae hat einen Aufseher über ihre Gärten und Landgüter vonnöten; was sagst du zu dem Einfall, den ich habe, dich an diesen Platz zu setzen? Mich daucht, du würdest dich nicht übel zu einem solchen Amte schicken; hast du nicht Lust in ihre Dienste zu treten? Ein Wort, welches Bestürzung und übermäßige Freude, Mißtrauen und Hoffnung, Erblassen und Glühen zu gleicher Zeit ausdrückte, würde uns wohl zustatten kommen, die Verwirrung auszudrücken, worein[494] diese Anrede den guten Agathon setzte. Sie war zu groß, als daß er sogleich hätte antworten können. Allein die Augen des Hippias, in denen er einen Teil der Bosheit lase, die der Sophist zu verbergen sich bemühte, gaben ihm bald die Sprache wieder. Wenn du Lust hast, dich auf diese Art von mir los zu machen, versetzte er mit so vieler Fassung als ihm möglich war, so hab ich nur eine Bedenklichkeit – »Und diese ist?« – daß ich mich sehr schlecht auf die Landwirtschaft verstehe. Das hat nichts zu bedeuten, antwortete der Sophist; du wirst Leute unter dir haben, die sich desto besser darauf verstehen, und das ist genug. Im übrigen glaube ich, daß du mit Vergnügen in diesem Hause sein wirst. Du liebest das Landleben, und du wirst Gelegenheit haben alle seine Annehmlichkeiten zu schmecken. Wenn du es zufrieden bist, so geh ich, um diese Sache in Richtigkeit zu bringen. Du hast dir das Recht erkauft, mit mir zu machen was du willt, erwiderte Agathon. Die Wahrheit zu sagen, fuhr Hippias fort, ungeachtet der kleinen Mißhelligkeiten unsrer Köpfe, verlier ich dich ungern: allein Danae scheint es zu wünschen, und ich habe Verbindlichkeiten gegen sie; sie hat, ich weiß nicht woher, eine große Meinung von deiner Fähigkeit gefaßt, und da ich alle Tage Gelegenheit haben werde, dich in ihrem Hause zu sehen, so kann ich mirs um so eher gefallen lassen, dich an eine Freundin abzutreten, von der ich gewiß bin, daß dir so begegnet werden wird, wie du es verdienest. Agathon beharrte in dem Ton der Gleichgültigkeit, den er angenommen hatte, und Hippias, dem es Mühe genug kostete, die Spöttereien zurückzuhalten, die ihm alle Augenblicke auf die Lippen kamen, verließ ihn, ohne sich merken zu lassen, daß er wüßte, was er von dieser Gleichgültigkeit denken sollte. Das Betragen Agathons bei diesem Anlaß wird ihn vielleicht in den Verdacht setzen, daß er sich bewußt gewesen sei, daß es nicht richtig in seinem Herzen stehe, warum hätte er sonst nötig gehabt sich zu verbergen? Allein man muß sich der Vorurteile erinnern, die er wider den Sophisten gefaßt hatte, um zu sehen, daß er vollkommen in seinem Charakter blieb, indem er Empfindungen vor ihm zu verbergen suchte, die einem so unverbesserlichen Anti-Platon ganz unverständlich oder vollkommen lächerlich gewesen wären. Die Freude, welcher er sich überließ, so bald er sich allein[495] sah, läßt uns keinen Zweifel übrig, daß er damals noch nicht das geringste Mißtrauen in sein Herz gesetzt habe. Diese Freude war über allen Ausdruck.

Liebhaber von einer gewissen Art können sich eine Vorstellung davon machen, welche der allerbesten Beschreibung wert ist; und den übrigen würde diese Beschreibung ohngefähr so viel helfen, als eine Seekarte einem Fußgänger. Die unvergleichliche Danae wieder zu sehen; nicht nur wieder zu sehen, in ihrem Hause zu sein, unter ihren Augen zu leben, ihres Umgangs zu genießen, vielleicht – ihrer Freundschaft gewürdiget zu werden – hier hielt seine entzückte Einbildungskraft stille. Die Hoffnungen eines gewöhnlichen Liebhabers würden weiter gegangen sein; allein Agathon war kein gewöhnlicher Liebhaber. Ich liebe die schöne Danae, sagte Hyacinthus, da er nach ihrem Genuß lüstern war; eben darum liebt ihr sie nicht, würde ihm die Socratische Diotima geantwortet haben. Derjenige, der in dem Augenblick, da ihm seine Geliebte den ersten Kuß auf ihre Hand gestattet, einen Wunsch nach einer größern Glückseligkeit hat, muß nicht sagen, daß er liebe.

Quelle:
Christoph Martin Wieland: Werke. Band 1, München 1964 ff., S. 494-496.
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