Zweites Capitel

Eine Probe von den Talenten eines Liebhabers

[530] In einem so freundschaftlichen und schwärmerischen Ton stimmte der gefällige Sophist seine Sprache um, als Agathon hereintrat, und ihnen einen Spaziergang in die Gärten vorschlug, worin er sich das Vergnügen machen wollte, sie mit einer in geheim veranstalteten Ergötzung zu überraschen. Man ließ sich den Vorschlag gefallen, und nachdem Hippias eine Reihe von neuen Gemälden, womit die Galerie vermehrt worden war, gesehen hatte, begab man sich in den Garten, in welchem, nach[530] Persischem Geschmack, große Blumenstücke, Spaziergänge von hohen Bäumen, kleine Weiher, künstliche Wildnisse, Lauben und Grotten in anmutiger Unordnung unter einander geworfen schienen. Das Gespräch ward izt wieder gleichgültig, und Hippias wußte es so zu lenken, daß Agathon unvermerkt veranlaßt wurde, die neue Wendung, welche seine Einbildungskraft bekommen hatte, auf hundertfältige Art zu verraten. Inzwischen neigte sich die Sonne, als sie beim Eintritt in einen kleinen Wald von Myrthen- und Citronenbäumen, an welchen die Kunst keine Hand angelegt zu haben schien, von einem versteckten Concert, welches alle Arten von Singvögel nachahmte, empfangen wurden. Aus jedem Zweig, aus jedem Blatte schien eine besondere Stimme hervorzugehen; so volltönig war diese Musik, in welcher die Nachahmung der kunstlosen Natur in der scheinbaren Unregelmäßigkeit phantasierender Töne, die lieblichste Harmonie hervorbrachte, die man jemals gehört hatte. Die Dämmerung des heitersten Abends, und die eigne Anmut des Orts vereinigten sich damit, um diesem Lusthain die Gestalt der Bezauberung zu geben. Danae, welche seit wenigen Wochen eine ganz neue Empfindlichkeit für das Schöne der Natur und die Vergnügungen der Einbildungskraft bekommen hatte, sahe ihren sich ganz unwissend stellenden Liebling mit Augen an, welche ihm sagten, daß nur die Gegenwart des Hippias sie verhindere, ihre schönen Arme um seinen Hals zu werfen: als unversehens eine Anzahl von kleinen Liebesgöttern und Faunen aus dem Hain hervorhüpfte; jene von flatterndem Silberflor, der mit nachgeahmten Rosen durchwürkt war, leicht bedeckt; diese nackend, außer daß ein Epheukranz, mit gelben Rosen durchflochten, ihre milchweißen Hüften schürzte, und um die kleinen verguldeten Hörner sich schlang, die aus ihren schwarzen kurzlockichten Haaren hervorstachen. Alle diese kleine Genii streuten aus zierlichen Körbchen von Silberdraht die schönsten Blumen vor Danae her, und führten sie tanzend in die Mitte des Wäldchens, wo Gebüsche von Jasminen, Rosen und Acacia eine Art von halbcirkelndem Amphitheater machten, unter welchem ein zierlicher Thron von Laubwerk und Blumenkränzen für die schöne Danae bereitet stand. Nachdem sie sich hier gesetzt hatte, breiteten die[531] Liebesgötter einen Persischen Teppich vor ihr aus, indem von den kleinen Faunen einige beschäftigt waren, den Boden mit goldnen und cristallenen Trinkschalen von allerlei niedlichen Formen zu besetzen, andre unter der Last voller Schläuche mit possierlichen Gebärden herbeigekrochen kamen, und im Vorbeigehen den weisen Hippias durch hundert mutwillige Spiele neckten. Auf einmal schlupften die Grazien hinter einer Myrthenhecke hervor, drei jugendliche Schwestern, deren halbaufgeblühte Schönheit ein leichtes Gewölk von Gase mehr zu entwickeln als zu verhüllen eifersüchtig schien. Sie umgaben ihre Gebieterin, und indem die erste einen frischen Blumenkranz um ihre schöne Stirne wand, reichten ihr die beiden andern kniend in goldnen Schalen die auserlesensten Früchte und Erfrischungen dar; indes die Faunen den Hippias mit Epheu kränzten, und wohlriechende Salben über seine Glatze und seinen halbgrauen Bart heruntergossen. Beide bezeugten ihr Vergnügen über dieses kleine Schauspiel, welches das lachendste Gemälde von der Welt machte; als eine zärtliche Symphonie von Flöten aus der Luft, wie es schien, herabtönend, die Augen zu einer neuen Erscheinung aufmerksam machte. Die Liebesgötter, die Faunen und die Grazien waren indes verschwunden, und es öffnete sich der Danae gegenüber die waldichte Scene, um den Liebesgott darzustellen, auf einem goldnen Gewölke sitzend, welches über den Rosenbüschen von Zephyren emporgehalten wurde. Ein schalkhaftes Lächeln, das sein liebliches Gesicht umscherzte, schien die Herzen zu warnen, sich von der tändelnden Unschuld dieses schönen Götterknabens nicht sorglos machen zu lassen. Er sang mit lieblicher Stimme, und der Inhalt seines Gesangs drückte seine Freude aus, daß er endlich eine bequeme Gelegenheit gefunden habe, sich an der schönen Danae zu rächen. »Gleich der Liebesgöttin, meiner Mutter (sang er) herrscht sie unumschränkt über die Herzen, und haucht allgemeine Liebe umher: Von ihren Blicken beseelt, wendet ihr die Natur, als ihrer Göttin, sich zu; verschönert, wenn sie lächelt, traurig und welkend, wenn sie sich von ihr kehrt: Verlassen stehn die Altäre zu Paphos, die Seufzer der Liebenden wallen nur ihr entgegen; und indem ihre siegreichen Augen ringsum sie her jedes Herz verwunden und entzücken, lacht sie, die Stolze, meiner Pfeile,[532] und trotzt mit unbezwungner Brust der Macht, vor welcher Götter zittern: Aber nicht länger soll sie trotzen; hier ist der schärfste Pfeil, scharf genug einen Busen von Marmor zu spalten, und die kälteste Seele in Liebesflammen hinwegzuschmelzen. Zittre, ungewahrsame Schöne! dieser Augenblick soll Amorn und seine Mutter rächen! Tiefseufzend sollst du auffahren, wie ein junges Reh auffährt, das unter Rosen schlummernd den geflügelten Pfeil des Jägers fühlt; schmerzenvoll und trostlos sollst du in einsamen Hainen irren, und auf öden Felsen sitzend den schleichenden Bach mit deinen Tränen mehren.«

So sang er und spannte boshaft-lächelnd den Bogen; schon war der Pfeil angelegt, schon zielte er nach ihrem leichtbedeckten Busen: als er plötzlich mit einem lauten Schrei zurückfuhr, seinen Pfeil zerbrach, den Bogen von sich warf, und mit zärtlich schüchterner Gebärde auf die schöne Danae zuflatterte. O Göttin, vergib, (sang er, indem er bittend ihre Knie umfaßte) vergib, vergib, schöne Mutter, dem Irrtum meiner Augen! wie leicht war es zu irren! Ich sahe dich für Danae an.

In dem nämlichen Augenblick, da er dieses gesungen hatte, erschienen die Grazien, die Liebesgötter und die kleinen Faunen wieder, und endigten diese Scene mit Tänzen und Gesängen, zum Preis derjenigen, welche auf eine so schmeichelhafte Art zur Göttin der Schönheit und der Liebe erklärt worden war. Dieses überraschende Compliment, welches damals noch den Reiz der Neuheit hatte, weil es noch nicht an die Daphnen und Chloen so vieler neuern Poeten verschwendet worden war, schien ihr Vergnügen zu machen; und der doppelt belustigte Hippias gestand, daß sein junger Freund einen sehr guten Gebrauch von seiner Einbildungskraft zu machen gelernt habe. Dachte ich nicht, Callias, sagte er leise zu ihm, indem er ihn auf die Schultern klopfte, daß ein Monat unter den Augen der schönen Danae dich von den Vorurteilen heilen würde, womit du gegen Grundsätze eingenommen warest, die du bereits so meisterhaft auszuüben gelernt hast.

Der übrige Teil des Abends wurde auf eine eben so angenehme Weise zugebracht, bis endlich Hippias, welcher den folgenden Morgen wieder in Smirna sein mußte, in einem Zustande,[533] worin er mehr dem Vater Silen als einem Weisen glich, von den kleinen Faunen zu Bette gebracht wurde.

Agathon hatte nun nichts dringenders als von Danae zu erfahren, was der Gegenstand ihrer einzelnen Unterredung mit dem Hippias gewesen sei. Man wird es dieser Dame zu gut halten können, daß sie die Aufrichtigkeit ihres Berichts nicht so weit trieb, ihm das Complot einzugestehen, worein sie sich von dem Sophisten anfangs hatte ziehen lassen; und dessen Ausgang so weit von der Anlage des ersten Plans entfernt gewesen war. Die zärtlichste und vertrauteste Liebe verhindert nicht, daß man sich nicht kleine Geheimnisse vorbehalten sollte, bei deren Entdeckung die Eigenliebe ihre Rechnung nicht finden würde. Sie begnügte sich also ihm zu sagen, daß Hippias viel Gutes von ihm gesprochen, und sie versichert habe, daß er ihn weit aufgeweckter und artiger finde als er vorher gewesen, es hätte sie bedünkt, daß er mehr damit sagen wollen, als seine Worte an sich selbst gesagt hätten; sie hätte aber eben so wenig daran gedacht ihn zum Vertrauten ihrer Liebe zu machen, als sie Ursache hätte, eine Achtung zu verbergen, welche man den persönlichen Verdiensten des Callias nicht versagen könne, im übrigen hätte sie seine Munterkeit auf die Rechnung der Zeit, welche das Andenken seiner Unglücksfälle schwäche, und der vollkommnern Freiheit geschrieben, die er in ihrem Hause hätte. Agathon ließ sich durch diese Erzählung nicht nur beruhigen; sondern, wie seine Einbildungskraft gewohnt war, ihn immer weiter zu führen, als er im Sinne hatte zu gehen, so fühlte er sich, nachdem sie eine Zeitlang von dieser Materie gesprochen hatten, so mutig, daß er sich vornahm den Scherzen des Hippias, wofern es demselben je einfallen sollte über seine Freundschaft mit Danae zu scherzen, in gleichem Ton zu antworten; eine Entschließung, welche (ob er es gleich nicht gewahr wurde) in der Tat mehr Unverschämtheit voraussetzte, als selbst ein langwieriger Fortgang auf den Abwegen, auf die er verirrt war, einem Agathon jemals geben konnte.[534]

Quelle:
Christoph Martin Wieland: Werke. Band 1, München 1964 ff., S. 530-535.
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Geschichte des Agathon
C. M. Wielands Sammtliche Werke (2); Geschichte Des Agathon
Geschichte des Agathon (Dünndruck). Agathon und Hippias, ein Gespräch im Elysium ( 1799).
Romane. ( Geschichte des Agathon / Geschichte der Abderiten.)
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