Siebentes Capitel

Agathon wird von Athen verbannt

[610] Der Zeitpunct meines Lebens, auf den ich nunmehr gekommen bin, führt allzuunangenehme Erinnerungen mit sich, als daß ich nicht entschuldiget sein sollte, wenn ich so schnell davon wegeile, als es die Gerechtigkeit zulassen wird, die ich mir selbst schuldig bin. Es mag sein, daß einige von meinen Feinden aus Beweggründen eines republicanischen Eifers gegen mich aufgestanden sind, und sich durch meinen Sturz eben so verdient um ihr Vaterland zu machen geglaubt haben, als Harmodius und Aristogiton durch die Ermordung der Pisistratiden. Aber es ist doch gewiß, daß diejenige, welche die Sache mit der größesten Wut betrieben, keinen andern Beweggrund hatten, als die Eifersucht über das Ansehen, welches mir die allgemeine Gunst des Volkes gab, und welches sie, nicht ohne Ursache, für ein Hinternis ihrer ehrgeizigen und gewinnsüchtigen Absichten[610] hielten. Die meisten glaubten auch, daß sie Privatbeleidigungen zu rächen hätten. Einige nährten noch den alten Groll, den sie bei meinem ersten Auftritt in der Republik gegen mich faßten, da ich meinen rechtschaffenen Freund, den Wirkungen ihrer Bosheit entriß; andere schmerzte es, daß ich ihnen bei der Wahl eines Befehlshabers gegen die Empörten Inseln vorgezogen worden war; viele waren durch den Verlust des Vorteils, welchen sie von den ungerechten Bedrückungen derselben gezogen hatten, beleidiget worden. Bei diesen allen half mir nichts, daß ich keine Absicht gehabt hatte sie zu beleidigen, und daß es nur zufälliger Weise dadurch geschehen war, daß ich meiner Überzeugung und meinen Pflichten gemäß gehandelt hatte. Sie beurteilten meine Handlungen aus einem ganz andern Gesichtspuncte, und es war bei ihnen ein ausgemachter Grundsatz, daß derjenige kein ehrlicher Mann sein könne, der ihren Privatabsichten Schranken setzte. Zum Unglück für mich, machten diese Leute einen großen Teil von den Edelsten und Reichesten in Athen aus. Hiezu kam noch, daß ich meiner immer fortdauernden Liebe zu Psyche, die vorteilhaftesten Verbindungen, welche mir angeboten worden waren, aufgeopfert, und mich dadurch der Unterstützung und des Schutzes beraubet hatte, den ich mir von der Verschwägerung mit einem mächtigen Geschlechte hätte versprechen können. Ich hatte nichts, was ich den Ränken und der vereinigten Gewalt so vieler Feinde entgegen setzen konnte, als meine Unschuld, einige Verdienste, und die Zuneigung des Volks; schwache Brustwehren, welche noch nie gegen die Angriffe des Neides, der Arglist und der Gewalttätigkeit ausgehalten haben. Die Unschuld kann verdächtig gemacht, und Verdiensten selbst durch ein falsches Licht das Ansehen von Verbrechen gegeben werden; und was ist die Gunst eines enthusiastischen Volkes, dessen Bewegungen immer seinen Überlegungen zuvorkommen; welches mit gleichem Übermaß liebet und hasset, und wenn es einmal in eine fiebrische Hitze gesetzt ist, gleich geneigt ist, dieser oder einer entgegengesetzten Direction, je nachdem es gestoßen wird, zu folgen? Was konnte ich mir von der Gunst eines Volkes versprechen, welches den großen Beschützer der griechischen Freiheit im Gefängnis hatte verschmachten lassen? Welches den[611] tugendhaften Aristides, bloß darum, weil er den Beinamen des Gerechten verdiente, verbannet, und in einer von seinen gewöhnlichen Launen so gar den Socrates zum Gift-Becher verurteilt hatte, weil er der weiseste und tugendhafteste Mann seines Jahrhunderts war. Diese Beispiele sagten mir sogleich bei der ersten Nachricht, die ich von dem über mir sich zusammenziehenden Ungewitter erhielt, zuverlässig vorher, was ich von den Atheniensern zu erwarten hätte; sie machten, daß ich ihnen nicht mehr zutraute, als sie leisteten; und trugen nicht wenig dazu bei, mich ein Unglück mit Standhaftigkeit ertragen zu machen, in welchem ich so vortreffliche Männer zu Vorgängern gehabt hatte.

Derjenige, den meine Feinde zu meinem Ankläger auserkoren hatten, war einer von diesen witzigen Schwätzern, deren feiles Talent gleich fertig ist, Recht oder Unrecht zu verfechten. Er hatte in der Schule des berüchtigten Gorgias gelernt, durch die Zaubergriffe der Rede-Kunst den Verstand seiner Zuhörer zu blenden, und sie zu bereden, daß sie sähen, was sie nicht sahen. Er bekümmerte sich wenig darum, dasjenige zu beweisen, was er mit der größesten Dreistigkeit behauptete; aber er wußte ihm einen so lebhaften Schein zu geben, und durch eine zwar willkürliche, aber desto künstlichere Verbindung seiner Sätze die Schwäche eines jeden, wenn er an sich und allein betrachtet würde, so geschickt zu verbergen, daß man, so gar mit einer gründlichen Beurteilungs-Kraft, auf seiner Hut sein mußte, um nicht von ihm überrascht zu werden. Der hauptsächlichste Vorwurf seiner Anklage sollte, seinem Vorgeben nach, die schlimme Verwaltung sein, deren ich mich als Ober-Befehlshaber in der Angelegenheit der empörten Schutz Verwandten schuldig gemacht haben sollte; denn er bewies mit großem Wort-Gepränge, daß ich in dieser ganzen Expedition nichts getan hätte, das der Rede wert wäre; daß ich vielmehr, anstatt die Empörten zu züchtigen und zum Gehorsam zu bringen, ihren Sachwalter vorgestellt; sie für ihren Aufruhr belohnt; ihnen noch mehr, als sie selbst zu fodern die Verwegenheit gehabt, zugestanden; und durch diese unbegreifliche Art zu verfahren, ihnen Mut und Kräfte gegeben hätte, bei der ersten Gelegenheit sich von Athen gänzlich unabhängig zu[612] machen; er bewies (sage ich) alles dieses nach den Grundsätzen einer Politik, welche das Widerspiel von der meinigen war, aber den Leidenschaften der Athenienser und eines jeden andern Volks allzusehr schmeichelte, um nicht Eingang zu finden. Er hatte noch die Bosheit, nicht entscheiden zu wollen, ob ich aus Unverstand oder geflissentlich so gehandelt habe; doch erhub er auf der einen Seite meine Fähigkeiten so sehr, und legte so viel Wahrscheinlichkeiten in die andere Waag-Schale, daß sich der Ausschlag von selbst geben mußte. Dieses führte ihn zu dem zweiten Teil seiner Anklage, welcher in der Tat (ob er es gleich nicht gestehen wollte) das Hauptwerk davon ausmachte. Und hier wurden Beschuldigungen auf Beschuldigungen gehäuft, um mich dem Volk als einen Ehrsüchtigen abzumalen, der sich einen Plan gemacht habe, sein Vaterland zu unterdrücken, und unter dem Schein der Großmut, der Freigebigkeit und der Popularität, sich zum unumschränkten Herrn desselben aufzuwerfen. Eine jede meiner Tugenden war die Maske eines Lasters, welches im Verborgenen am Untergang der Freiheit und Glückseligkeit der Athenienser arbeitete. In der Tat hatte die Beredsamkeit meines Anklägers hier ein schönes Feld, sich zu ihrem Vorteil zu zeigen, und seinen Zuhörern das republicanische Vergnügen zu machen, eine Tugend, welche mir zu große Vorzüge vor meinen Mitbürgern zu gehen schien, heruntergesetzt zu sehen. Indessen, ob er gleich keinen Teil meines Privat-Lebens (so untadelhaft es ehemals meinen Gönnern geschienen hatte) unbeschmitzt ließ; so mochte er doch besorgen, daß die Kunstgriffe, deren er sich dazu bedienen mußte, zu stark in die Augen fallen möchten. Er raffte also alles zusammen, was nur immer fähig sein konnte, mich in ein verhaßtes Licht zu stellen; und da es ihm an Verbrechen, die er mir mit einiger Wahrscheinlichkeit hätte aufbürden können, mangelte, so legte er mir fremde Torheiten, und selbst die ausschweifenden Ehren-Bezeugungen zur Last, welche mir in der Flut meines Glückes und meiner Gunst bei dem Volk aufgedrungen worden waren. Ich mußte izt so gar für die elenden Verse Rechenschaft geben, womit einige Dichter, denen ich aus einem vielleicht zu weit getriebenen Mitleiden erlaubte, mir täglich um die Essens-Zeit ihren Besuch abzustatten, mir die Dankbarkeit[613] ihres Magens, auf Unkosten ihres Ruhms und des meinigen, zu beweisen gesucht hatten. Man beschuldigte mich in ganzem Ernst, daß ich übermütig und gottlos genug gewesen sei, mich für einen Sohn des delphischen Apollo auszugeben; und mein Ankläger ließ diese Gelegenheit nicht entgehen, über meine wahre Geburt Zweifel zu erregen, und, unter vielen scherzhaften Wendungen, die Meinung derjenigen wahrscheinlich zu finden, welche (wie er sagte) benachrichtigt zu sein glaubten, daß ich mein Dasein den verstohlenen Liebes-Händeln irgend eines delphischen Priesters zu danken hätte. In dieser ganzen Rede ersetzte ein von Bosheit beseelter Witz den Abgang gründlicher Beweise; aber die Athenienser waren schon lange gewohnt, sich Witz für Wahrheit verkaufen zu lassen, und sich einzubilden, daß sie überzeugt würden, wenn ihr Geschmack belustigt und ihre Ohren gekitzelt wurden. Sie machte also allen den Eindruck, und vielleicht noch mehr, als meine Feinde sich davon versprochen hatten. Die Eifersucht, welche sie in den Gemütern anblies, verwandelte die übermäßige Zuneigung, deren Gegenstand ich zwei Jahre lang gewesen war, in einer Zeit von zwo Stunden in den bittersten Haß. Die Athenienser erschraken vor dem Abgrund, an dessen Rand sie sich, durch ihre Verblendung für mich, unvermerkt hingezogen sahen. – – Sie erstaunten, daß sie meine Unfähigkeit zur Staats-Verwaltung, meine Begierde nach einer unumschränkten Gewalt, meine weit aussehenden Absichten, und mein heimliches Verständnis mit ihren Feinden nicht eher wahrgenommen hätten; und da es nicht natürlich gewesen wäre, die Schuld davon auf sich selbst zu nehmen, so schrieben sie es lieber einer Bezauberung zu, wodurch ich ihre Augen eine Zeit lang zu verschließen gewußt hätte. Ein jeder glaubte nun, durch die verderblichen Anschläge, welche ich gegen die Republik gefaßt habe, von der Dankbarkeit vollkommen losgezählt zu sein, die er mir für Dienste oder Wohltaten schuldig sein mochte; welche nun als die Lockspeise angesehen wurden, womit ich die Freiheit, und mit ihr das Eigentum meiner Mitbürger, wegzuangeln getrachtet. Kurz: Eben dieses Volk, welches vor wenigen Monaten mehr als menschliche Vollkommenheiten an mir bewunderte, war izt unbillig genug, mir nicht das geringste Verdienst übrig[614] zu lassen; und eben diejenigen, welche auf den ersten Wink bereit gewesen wären, mir die Oberherrschaft in einem allgemeinen Zusammenlauf aufzudringen, waren izt begierig, mich einen Anschlag, den ich nie gefaßt, gegen eine Freiheit, deren sie sich in diesem Augenblicke selbst begaben, mit meinem Blute büßen zu sehen. Mein Urteil war zu eben der Zeit, da mir die gewöhnliche Frist zur Verantwortung gegeben wurde, durch die Mehrheit der Stimmen schon gefällt; und das Vergnügen, womit ich von einer unzählbaren Menge Volks ins Gefängnis begleitet wurde, würde vollkommen gewesen sein, wenn die Gesetze gestattet hätten, mich, anstatt dahin, ohne weitere Proceß-Förmlichkeiten, zum Richt-Platz zu führen.

So glücklich meinen Feinden ihr Anschlag von statten gegangen war, so glaubten sie doch, sich meines Untergangs noch nicht genug versichert zu haben; sie fürchteten die Unbeständigkeit eines Volks, von welchem sie allzuwohl wußten, wie leicht es in entgegengesetzte Bewegungen zu setzen war. Es blieb möglich, daß ich mit einer bloßen Verbannung auf einige Jahre durchwischen konnte; und diese ließ eine Veränderung der Scene besorgen, bei welcher weder ihr Haß gegen mich, noch ihre Sicherheit, ihre Rechnung fanden. Man mußte also noch eine andere Mine springen lassen, durch die mir, wenn ich einmal aus Athen vertrieben wäre, alle Hoffnung, jemals wieder zurückzukommen, abgeschnitten würde. Man mußte beweisen, daß ich kein Bürger von Athen sei; daß meine Mutter keine Bürgerin, und Stratonicus nicht mein Vater gewesen; daß er mich, in Ermanglung eines Erben von seinem eigenen Blute, aus Haß gegen denjenigen, der es, den Gesetzen nach, gewesen wäre, angenommen und unterschoben habe; und daß also die Gesetze mir kein Recht an seine Erbschaft zugestünden. Da es zu Athen an Leuten niemal fehlt, welche gegen eine proportionierte Belohnung alles gesehen und gehört haben, was man will; und da alle diejenigen gestorben waren, welche der Wahrheit das beste Zeugnis hätten geben können: so war es meinen Gegnern ein Leichtes, alles dieses eben so gut zu beweisen, als sie meine Staats-Verbrechen bewiesen hatten. Es wurde also eine neue Klage angestellt. Der jenige, der sich zum Kläger wider mich aufwarf, war ein Neffe von meinem Vater, durch nichts als[615] durch die lüderlichste Lebens-Art bekannt, wodurch er sein Erb Gut schon vor einigen Jahren verprasset hatte. Seine Unverbesserlichkeit hatte ihn endlich der Freundschaft meines Vaters, so wie der Achtung aller rechtschaffenen Leute, beraubt; und dieses Umstands bediente er sich nun, mich um eine Erbschaft zu bringen, die er, als der nächste Erbe, eh mich Stratonicus für seinen Sohn erklärte, in seinen Gedanken schon verschlungen hatte. Die Geschicklichkeit des Redners, dessen Dienste er zu Ausführung seines Bubenstücks erkaufte, der mächtige Beistand meiner Feinde, die Umstände selbst, in denen er mich unvermutet überfiel, und vornehmlich die Gefälligkeit seiner Zeugen, alle die Unwahrheiten zu beschwören, welche er zu seiner Absicht nötig hatte: Alles dieses zusammen genommen, versicherte ihn des glücklichen Ausgangs seiner Verräterei; und die Reichtümer, die ihm dadurch zufielen, waren in den Augen eines gefühllosen Elenden, wie er war, wichtig genug, um mit Verbrechen, die ihn so wenig kosteten, erkauft zu werden.

Dieser letzte Streich, der vollständigste Beweis, auf was für einen Grad die Wut meiner Feinde gestiegen war, und wie gewiß sie sich des Erfolgs hielten, ließ mir keine Hoffnung übrig, die ihrige zu Schanden zu machen. Denn alle meine vermeinten Freunde, bis auf wenige, deren guter Wille ohne Vermögen war, hatten, so bald sie mich vom Glück verlassen sahen, mich auch verlassen; andere, welche zwar von dem Unrecht, das mir angetan wurde, überzeugt waren, hatten den Mut nicht, sich für eine Sache, welche sie nicht unmittelbar anging, in Gefahr zu setzen; und der einzige, dessen Character, Ansehen und Freundschaft mir vielleicht hätte zu statten kommen können, befand sich seit einiger Zeit am Hofe des jungen Dionysius zu Syracus. Ich gestehe, daß ich, so lange die ersten Bewegungen dauerten, mein Unglück in seinem ganzen Umfang fühlte. Für ein redliches, und dabei noch wenig erfahrnes Gemüt ist es entsetzlich zu empfinden, daß man sich in seiner guten Meinung von den Menschen betrogen, habe, und sich zu der abscheulichen Wahl genötiget zu sehen, entweder in einer beständigen Unsicherheit vor der Schwachheit der einen, und vor der Bosheit der andern zu leben, oder sich gänzlich aus ihrer Gesellschaft zu verbannen. Aber die Kleinmütigkeit, welche eine Folge[616] meiner ersten melancholischen Betrachtungen war, dauerte nicht lange. Die Erfahrungen, die ich seit meiner Versetzung auf den Schauplatz einer größern Welt, in so kurzer Zeit gemacht hatte, weckten die Erinnerungen meiner glücklichen Jugend in Delphi mit einer Lebhaftigkeit wieder auf, worin sie sich mir unter dem Getümmel des Städtischen und politischen Lebens niemals dargestellt hatten. Die Bewegung meines Gemüts, die Wehmut, wovon es durchdrungen war, die Gewißheit, daß ich in wenigen Tagen von allen den Gunstbezeugungen, womit mich das Glück so schnell, und mit solchem Übermaß überschüttet hatte, nichts, als die Erinnerung, die uns von einem Traum übrig bleibt, und von allem, was ich mein genannt hatte, nichts als das Bewußtsein meiner Redlichkeit, aus Athen mit mir nehmen würde; setzten mich auf einmal wieder in diesen glückseligen Enthusiasmus, worin wir fähig sind, dem Äußersten, was die vereinigte Gewalt des Glücks und der menschlichen Bosheit gegen uns vermag, ein standhaftes Herz und ein heiters Gesicht entgegen zu stellen. Der unmittelbare Trost, den meine Grundsätze über mein Gemüt ergossen, die Wärme und neubeseelte Stärke die sie meiner Seele gaben, überzeugten mich von neuem von ihrer Wahrheit. Ich verwies es der Tugend nicht, daß sie mir den Haß und die Verfolgungen der Bösen zugezogen hatte; ich fühlte, daß sie sich selbst belohnt. Das Unglück schien mich nur desto stärker mit ihr zu verbinden; so wie uns eine geliebte Person desto teurer wird, je mehr wir um ihrentwillen leiden. Die Betrachtungen, auf welche mich diese Gesinnungen leiteten, lehrten mich, wie geringhaltig auf der Waage der Weisheit, alle diese schimmernden Güter sind, welche ich im Begriff war, dem Glück wieder zurückzugeben, und wie wichtig diejenige seien, welche mir keine republicanische Cabale, kein Decret des Volks zu Athen, keine Macht in der Welt nehmen konnte. Ich verglich meinen Zustand in der höchsten Flut meines Glückes zu Athen mit der seligen Ruhe des contemplativen Lebens, worin ich in einer glücklichen Unwissenheit des glänzenden Elends und der wahren Beschwerden einer beneideten Größe, meine schuldlose Jugend hinweggelebt; worin ich meines Daseins, und der innern Reichtümer meines Geistes, meiner Gedanken, meiner Empfindungen,[617] der eigentümlichen und von aller äußerlichen Gewalt unabhängigen Wirksamkeit meiner Seele froh geworden war, – und glaubte bei dieser Vergleichung, alles gewonnen zu haben, wenn ich mich, mit freiwilliger Hingabe der Vorteile, die mir indessen zugefallen waren, wieder in einen Zustand zurückkaufen könnte, den mir meine Einbildungskraft mit ihren schönsten Farben, und in diesem überirdischen Lichte, wenn er dem Zustande der himmlischen Wesen ähnlich schien, vormalte. Der Gedanke, daß diese Seligkeit nicht an die Haine von Delphi gebunden sei, daß die Quellen davon in mir selbst lägen, und daß eben diese vermeintlichen Güter, welche mir mitten in ihrem Genuß so viel Unruhe zugezogen, und mich in einem immerwährenden Wirbel von mir selbst hinweggerissen hatten, die einzigen Hinternisse meines wahren Glücks gewesen seien. Dieser Gedanke setzte mich in eine Entzückung, die mich, zum Erstaunen meiner wenigen noch übriggebliebenen Freunde, gegen alle Bitterkeiten meines widrigen Schicksals unempfindlich machte; und dieses ging zuletzt so weit, daß ich nach dem Tage meiner Verurteilung ganz ungeduldig wurde.

Allein eben diese Denkart, welche mir so viel Gleichgültigkeit gegen den Verlust meines Ansehens und Vermögens gab, machte, daß ich das Betragen der Athenienser in einem moralischen Gesichtspunct ansah, aus welchem es mir Abscheu und Ekel erweckte. Meine Freunde schienen mir durch die Leidenschaften, von denen sie getrieben wurden, einigermaßen entschuldiget zu sein: Aber das Volk, welches bei meinem Umsturz nichts gewann, welches so viele Ursachen hatte, mich zu lieben, welches mich wirklich so sehr geliebt hatte, und izt durch eine bloße Folge seiner Unbeständigkeit und Schwachheit, ohne selbst recht zu wissen, warum, sich dummer Weise zum Werkzeug fremder Leidenschaften und Absichten machen ließ; dieses Volk wurde mir so verächtlich, daß ich kein Vergnügen mehr an den Gedanken fand, ihm Gutes getan zu haben. Diese Athenienser, die auf ihre Vorzüge vor allen andern Nationen der Welt so eitel waren, stellten sich meiner beleidigten Eigenliebe, als ein abschätziger Haufen blöder Toren dar, die sich von einer kleinen Rotte verschmitzter Spitzbuben bereden ließen, weiß für schwarz anzusehen; die bei aller Feinheit ihres Geschmacks,[618] wenn es darauf ankam, über die Versification eines Trinklieds, oder die Füße einer Tänzerin zu urteilen, weder Kenntnis noch Empfindung von Tugend und wahrem Verdienst hatten; die bei der heftigsten Eifersucht über ihre Freiheit, niemals größere Sclaven waren, als wenn sie ihr schimärisches Palladium am tapfersten behauptet haben; die sich jederzeit der Führung ihrer übelgesinntesten Schmeichler mit dem blindesten Vertrauen überlassen, und nur in ihre tugendhaftesten Mitbürger, in ihre zuverlässigsten Freunde, das größeste Mißtrauen gesetzt hatten. Sie verdienen es, sagte ich zu mir selbst, daß sie betrogen werden; aber diesen Triumph sollen sie nicht haben, zu erleben, daß Agathon sich vor ihnen demütige. Sie sollen fühlen, was für ein Unterschied zwischen ihm und ihnen ist; sie sollen fühlen, daß er nur desto größer ist, wenn sie ihm alle diese kindischen Zieraten von Flittergold, womit sie ihn, wie Kinder, eine auf kurze Zeit geliebte Puppe, umhängt haben wieder abnehmen; und eine zu späte Rene soll sie vielleicht in kurzem lehren, daß Agathon ihrer leichter, als sie des Agathons entbehren können. Du siehest, schöne Danae, daß ich mich nicht scheue, dir auch meine Schwachheiten zu gestehen. Dieser Stolz, der zu einer desto riesenmäßigern Gestalt aufschwoll, je mehr mich die Athenienser zu Boden drücken wollten, hatte ohne Zweifel einen guten Teil von eben der Eitelkeit in sich, welche ich ihnen zum Verbrechen machte; aber vielleicht gehört er auch unter die Triebfedern, womit die Natur edle Gemüter versehen hat, um dem Druck widerwärtiger Zufälle mit gleich starker Reaction zu widerstehen, und sich dadurch in ihrer eigenen Gestalt und Größe zu erhalten. Die Athenienser rühmten ehmals meine Bescheidenheit und Mäßigung zu einer Zeit, da sie alles taten, was mich diese Tugenden verlieren machen konnte; diese Bescheidenheit hatte mit dem Stolz, der ihnen izt so anstößig an mir war, daß er vielleicht mehr, als alle Bemühungen meiner Feinde zu meinem Fall beitrug, einerlei Quelle; ich war mir eben so wohl bewußt, daß ich ihre Mißhandlungen nicht verdiente, wie ich ehmals fühlte, daß die Achtung übertrieben war, die sie mir bewiesen; desto bescheidener, je mehr sie mich erhuben; desto stolzer und trotziger, je mehr sie mich herunter setzen wollten.[619]

Meine Freunde hatten sich inzwischen in der Stille so eifrig zu meinem Besten verwendet, daß sie mir Hoffnung machten, alles könne noch gut gehen, wenn ich mich entschließen könne, meine Apologie nach dem Geschmack, und der Erwartung des Volks einzurichten. Ich sollte mich zwar von Punkt zu Punkt so vollständig rechtfertigen, als es immer möglich wäre; aber am Ende sollte ich mich doch den Atheniensern auf Gnade oder Ungnade zu Füßen werfen; meinen Feinden dürfte ich nach aller Schärfe des Selbstverteidigungs- und Wiedervergeltungsrechts begegnen; aber den Atheniensern sollte ich schmeicheln, und anstatt ihre Eigenliebe durch den mindesten Vorwurf zu beleidigen, sollte ich bloß ihr Mitleiden zu erregen suchen. Es ist zu vermuten, daß der Erfolg diesen Rat meiner Freunde, der sich auf die Kenntnis des Characters eines freien Volks gründete, gerechtfertiget hätte: Wenigstens ist gewiß, daß die erste Bewegungen dieser Unbeständigen bereits angefangen hatten, dem Mitleiden und den Regungen ihrer vormaligen Liebe zu weichen. Ich lase es, da ich das Gerüste bestieg, von welchem ich zu dem Volk redete, in vieler Augen, wie sie nur darauf warteten, daß ich ihnen einen Weg zeigen möchte, mit guter Art, und ohne etwas von ihrer democratischen Majestät zu vergeben, wieder zurück zu kommen. Aber sie fanden sich in ihrer Erwartung sehr betrogen. Die Verachtung, womit mein Gemüt beim Anblick dieses Volkes erfüllt wurde, welches mich vor wenigen Tagen mit so ausschweifender Freude ins Gefängnis begleitet hatte, und das Gefühl meines eigenen Wertes, waren beide zu lebhaft; die Begierde, ihnen gutes zu tun, welche die Seele aller meiner Handlungen und Entwürfe gewesen war, hatte aufgehört; ich würdigte sie nicht, eine Apologie zu machen, die ich für eine Beschimpfung meines Characters und Lebens gehalten hätte; aber ich wollte ihnen zum letztenmal die Wahrheit sagen: Ehmals, wenn es darum zu tun gewesen war, sie von ihren eignen wahren Vorteilen zu überzeugen, hatte ich aller meiner Beredsamkeit aufgeboten; aber izo, da die Rede bloß von mir selbst war, verschmähte ich den Beistand einer Kunst, worin der Ruf mir einige Geschicklichkeit zuschrieb. In diesem Stücke blieb ich meinem gefaßten Vorsatz getreu; aber nicht der Kürze und Gelassenheit,[620] die ich mir vorgeschrieben hatte; der Affect, in den ich unvermerkt geriet, machte mich weitläufig und etlichemal bitter.

Meine Rede enthielt eine zusammengezogene Erzählung meines ganzen Lebenslaufs in Athen; der Grundsätze, welchen ich in der Republik gefolgt war; und meiner Gedanken von dem wahren Interesse der Athenienser. Ich ging bei dieser Gelegenheit ein wenig strenge mit ihren Urteilen und Lieblingsprojecten um; und sagte ihnen, daß ich in der Sache der Schutzverwandten eine Probe gegeben hätte, nach was für Maximen ich jederzeit in Verwaltung des Staats gehandelt haben würde; und da diese Maximen so weit von ihrer Gemütsbeschaffenheit und Denkart entfernt wären: So würden sie sehr weislich handeln, einen Menschen aus ihrem Mittel zu verbannen, welcher nicht gesonnen sei, der Wahrheit und den Pflichten eines allgemeinen Freunds der Menschen zu entsagen, um ein guter Bürger von Athen zu sein.

Der Schluß meiner Rede liegt mir noch so lebhaft im Gedächtnis, daß ich ihn, zu einer Probe des Ganzen, wiederholen will. Die Götter, (sagte ich) haben mich zu einer Zeit, da ich es am wenigsten hoffte, meinen Vater finden lassen: Sein Ansehen und seine Reichtümer gaben mir viel weniger Freude, als die Entdeckung, daß ich mein Leben einem rechtschaffenen Mann zu danken hatte. Athen wurde durch ihn mein Vaterland. Ich sah es als den Platz an, den mir die Götter angewiesen, um das Beste der Menschen zu befödern. Das Interesse dieser einzelnen Stadt, war in meinen Augen ein zu kleiner Gegenstand, um dem allgemeinen Besten der Menschheit vorgesetzt zu werden; aber ich sah beides so genau mit einander verknüpft, daß ich nur alsdenn gewiß sein konnte, jenes wirklich zu erhalten, wenn ich dieses beföderte. Nach diesen Grundsätzen habe ich in meinem öffentlichen Leben gehandelt, und diese Handlungen, deren sich selbst belohnendes Bewußtsein mir in eine bessere Welt, den unvergänglichen Wohnplatz der tugendhaften Seelen, folgen wird; diese Handlungen haben mir euern Unwillen zugezogen. Die Athenienser wollen auf Unkosten des menschlichen Geschlechts groß sein; und das werden sie so lange sein wollen, bis sie in Ketten, welche sie sich selbst schmieden, und deren sie[621] würdig sind, sobald sie über Sclaven gebieten wollen, allen ihren Ehrgeiz auf den rühmlichen Vorzug einschränken werden, die besten Sprachlehrer, und die gelenkigsten Pantomimen in der Welt zu sein. Aber Agathon ist nicht dazu gemacht, euern Lauf auf diesem Wege, den die Gefälligkeit eurer Redner mit Blumen bestreut, beschleunigen zu helfen. Mein Privatleben hat euch bewiesen, daß die Grundsätze, nach welchen ich eure öffentlichen Handlungen zu leiten gewünscht hätte, die Maßregeln meines eigenen Verhaltens sind. Mein Vermögen hat mehr zum Gebrauch eines jeden unter euch, als zu meinem eigenen gedienet. Ich habe mir Undankbare verbindlich gemacht, und diese Erfahrung lehrt mich, Güter mit Gleichgültigkeit zurückzulassen, welche ich übel anwendete, da ich sie am besten anzuwenden glaubte. Dieses, ihr Athenienser, ist alles, was ich zu meiner Verteidigung zu sagen habe. Ihr seid nun, weil euch die Menge eurer Arme zu meinen Herren macht, Meister über meine Umstände, und wenn ihr wollt, über mein Leben. Verlangt ihr meinen Tod, so meldet mir nur, was ich in euerm Namen, dem weisen und guten Socrates sagen soll, zu dem ihr mich schicken werdet. Begnügt ihr euch aber, mich aus euern Augen zu verbannen, so werde ich mit dem letzten Blicke nach einem einst geliebten Vaterland, eine Träne auf das Grab eurer Glückseligkeit fallen lassen; und, indem ich aufhöre ein Athenienser zu sein, in der Welt, die mir offen steht, in einem jeden Winkel, wo es der Tugend erlaubt ist, sich zu verbergen, ein besseres Vaterland finden.

Es ist leicht zu vermuten, schöne Danae, daß eine Apologie aus diesem Ton nicht geschickt war, mir ein günstiges Urteil auszuwirken. Die Erbitterung, die dadurch in den Gemütern der meisten erregt wurde, welche das angenehme Schauspiel, mich vor ihnen gedemütiget zu sehen, zu genießen erwartet hatten, war auf ihren Gesichtern ausgedrückt. Dem ungeachtet sah ich niemal eine größere Stille unter dem Volk, als da ich aufgehört hatte zu reden. Sie fühlten, wie es schien, wider ihren Willen, daß die Tugend auch ihren Hässern Ehrfurcht einpräget; aber eben dadurch wurde sie ihnen nur desto verhaßter, je stärker sie den Vorzug fühlten, den sie dem beklagten, verlassenen und von allen Auszierungen des Glücks entblößten[622] Agathon über die Herren seines Schicksals gab. Ich weiß selbst nicht, wie es zuging, daß mir mein guter Genius aus dieser Gefahr heraushalf: Aber, wie die Stimmen gesammelt wurden, so fand sich, daß die Richter, gegen die Hoffnung meiner Ankläger sich begnügten, mich auf ewig aus Griechenland zu verbannen, die Hälfte meiner Güter zum gemeinen Wesen zu ziehen, und die andere Hälfte meinen Verwandten zuzusprechen. Die Gleichgültigkeit, womit ich mich diesem Urteil unterwarf, wurde in diesem fatalen Augenblick, der alle meine Handlungen in ein falsches Licht setzte, für einen Trotz aufgenommen, welcher mich alles Mitleidens unwürdig machte; doch erlaubte man meinen Freunden, sich um mich zu versammeln, mir ihre Dienste anzubieten, und mich aus Athen zu begleiten: welches ich, ungeachtet mir eine längere Frist gegeben worden war, noch in eben der Stunde, mit so leichtem Hetzen verließ, als wie ein Gefangener den Kerker verläßt, aus dem er unverhofft in Freiheit gesetzt wird. Die Tränen der wenigen, welche mein Fall nicht von mir verscheucht hatte, und meiner guten Hausgenossen, waren das einzige, was bei einem Abschiede, den wir auf ewig von einander nahmen, mein Herz erweichte; und ihre guten Wünsche alles, was ich von den Wirkungen ihrer mitleidigen und dankbaren Sorgfalt annahm.

Ich befand mich nun wieder ungefähr in eben den Umständen, worin ich vor einigen Jahren unter dem Cypressenbaum im Vorhofe meines noch unbekannten Vaters zu Corinth gelegen war. Die großen Veränderungen, die manchfaltigen Scenen von Reichtum, Ansehen, Gewalt und äußerlichem Schimmer, durch welche mich das Glück in dieser kurzen Zwischenzeit herumgedreht hatte, waren nun wie ein Traum vorüber; aber die wesentlichen Vorteile, die von allen diesen Begegnissen in meinem Geist und Herzen zurückgeblieben waren, überzeugten mich, daß ich nicht geträumt hatte. Ich fand mich um eine Menge nützlicher und angenehmer Kenntnisse, um die Entwicklung meiner Fähigkeiten, um das Bewußtsein vieler guten Handlungen, und um eine Reihe wichtiger Erfahrungen, reicher als zuvor. Ich hatte den Geist der Republiken, den Character des Volks, und die Eigenschaften und Wirkungen vieler mir vorher unbekannten Leidenschaften[623] kennen gelernt, und Gelegenheiten genug gehabt, vieler irrigen Einbildungen los zu werden, welche man sich von der Welt zu machen pflegt, wenn man sie nur von Ferne, und ohne selbst in ihre Geschäfte eingeflochten zu sein, betrachtet. Zu Delphi hatte man mich (zum Exempel) gelehrt, daß sich das ganze Gebäude der Republicanischen Verfassung auf die Tugend gründe; die Athenienser lehrten mich hingegen, daß die Tugend an sich selbst nirgends weniger geschätzt wird, als in einer Republik; den Fall ausgenommen, da man ihrer vonnöten hat; und in diesem Fall wird sie unter einem jeden Tyrannen eben so hoch geschätzt, und oft besser belohnt. Überhaupt hatte mein Aufenthalt in Athen, die erhabene Theorie von der Vortrefflichkeit und Würde der menschlichen Natur, wovon ich eingenommen war, sehr schlecht bestätiget; aber ich fand mich nichts desto geneigter von ihr zurückzukommen. Ich legte alle Schuld auf die Contagion allzugroßer Gesellschaften, auf die Mängel der Gesetzgebung, auf das Privatinteresse, welches bei allen policierten Völkern, durch ein unbegreifliches Versehen ihrer Gesetzgeber, in einem beständigen Streit mit dem gemeinen Besten liegt. Kurz, ich dachte darum nicht schlimmer von der Menschheit, weil sich die Athenienser unbeständig, ungerecht und undankbar gegen mich bewiesen hatten; aber ich faßte einen desto stärkern Widerwillen gegen eine jede andere Gesellschaft, als eine solche, welche sich auf übereinstimmende Grundsätze, Tugend und Bestrebung nach moralischer Vollkommenheit gründete. Der Verlust meiner Güter, und die Verbannung aus Athen schien mir die wohltätige Veranstaltung einer für mich besorgten Gottheit zu sein, welche mich dadurch meiner wahren Bestimmung habe wiedergeben wollen. Es ist sehr vermutlich, daß ich durch Anwendung gehöriger Mittel, durch das Ansehen meiner auswärtigen Freunde, und selbst durch die Unterstützung der Feinde der Athenienser, welche mir gleich anfangs meines Processes, heimlich angeboten worden war, vielleicht in kurzem wieder Woge gefunden haben könnte, meine Gegner in dem Genuß der Früchte ihrer Bosheit zu stören, und im Triumphe wieder nach Athen zurück zu kehren. Allein solche Anschläge, und solche Mittel schickten sich nur für einen Ehrgeizigen, welcher regieren will, um seine Leidenschaften zu[624] befriedigen. Mir fiel es nicht ein, die Athenienser zwingen zu wollen, daß sie sich von mir gutes tun lassen sollten. Ich glaubte durch einen Versuch, der mir durch ihre eigene Schuld mißlungen war, meiner Pflicht gegen die bürgerliche Gesellschaft ein Genüge getan zu haben, und nun vollkommen berechtiget zu sein, die natürliche Freiheit, welche mir meine Verbannung wieder gab, zum Vorteil meiner eigenen Glückseligkeit anzuwenden. Ich beschloß also den Vorsatz, welchen ich zu Delphi schon gefaßt hatte, nunmehr ins Werk zu setzen, und die Quellen der morgenländischen Weisheit, die Magier, und die Gymnosophisten in Indien zu besuchen, in deren geheiligten Einöden ich die wahren Gottheiten meiner Seele, die Weisheit und die Tugend, von denen, wie ich glaubte, nur unwesentliche Phantomen unter den übrigen Menschen herumschwärmten, zu finden hoffte.

Aber eh ich auf die Zufälle komme, durch welche ich an der Ausführung dieses Vorhabens gehintert, und in Gestalt eines Sclaven nach Smyrna gebracht wurde; muß ich mich meiner jungen Freundin wieder erinnern, die wir seit meiner Versetzung nach Athen aus dem Gesichte verloren haben.

Quelle:
Christoph Martin Wieland: Werke. Band 1, München 1964 ff., S. 610-625.
Lizenz:
Kategorien:
Ausgewählte Ausgaben von
Geschichte des Agathon
C. M. Wielands Sammtliche Werke (2); Geschichte Des Agathon
Geschichte des Agathon (Dünndruck). Agathon und Hippias, ein Gespräch im Elysium ( 1799).
Romane. ( Geschichte des Agathon / Geschichte der Abderiten.)
Werke in zwölf Bänden: Band 3: Geschichte des Agathon
Werke in zwölf Bänden: Band 3:Geschichte des Agathon

Buchempfehlung

Hoffmann, E. T. A.

Die Serapionsbrüder

Die Serapionsbrüder

Als Hoffmanns Verleger Reimer ihn 1818 zu einem dritten Erzählzyklus - nach den Fantasie- und den Nachtstücken - animiert, entscheidet sich der Autor, die Sammlung in eine Rahmenhandlung zu kleiden, die seiner Lebenswelt entlehnt ist. In den Jahren von 1814 bis 1818 traf sich E.T.A. Hoffmann regelmäßig mit literarischen Freunden, zu denen u.a. Fouqué und Chamisso gehörten, zu sogenannten Seraphinen-Abenden. Daraus entwickelt er die Serapionsbrüder, die sich gegenseitig als vermeintliche Autoren ihre Erzählungen vortragen und dabei dem serapiontischen Prinzip folgen, jede Form von Nachahmungspoetik und jeden sogenannten Realismus zu unterlassen, sondern allein das im Inneren des Künstlers geschaute Bild durch die Kunst der Poesie der Außenwelt zu zeigen. Der Zyklus enthält unter anderen diese Erzählungen: Rat Krespel, Die Fermate, Der Dichter und der Komponist, Ein Fragment aus dem Leben dreier Freunde, Der Artushof, Die Bergwerke zu Falun, Nußknacker und Mausekönig, Der Kampf der Sänger, Die Automate, Doge und Dogaresse, Meister Martin der Küfner und seine Gesellen, Das fremde Kind, Der unheimliche Gast, Das Fräulein von Scuderi, Spieler-Glück, Der Baron von B., Signor Formica

746 Seiten, 24.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Große Erzählungen der Hochromantik

Große Erzählungen der Hochromantik

Zwischen 1804 und 1815 ist Heidelberg das intellektuelle Zentrum einer Bewegung, die sich von dort aus in der Welt verbreitet. Individuelles Erleben von Idylle und Harmonie, die Innerlichkeit der Seele sind die zentralen Themen der Hochromantik als Gegenbewegung zur von der Antike inspirierten Klassik und der vernunftgetriebenen Aufklärung. Acht der ganz großen Erzählungen der Hochromantik hat Michael Holzinger für diese Leseausgabe zusammengestellt.

390 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon