Der Spatziergang im Busch.

[22] Unmittelbar an den Haag stößt ein Gehölz, Busch genannt, in Holland sehr berühmt, weil man darin eine Viertelstunde lang unter nichts als unter Bäumen geht, welche glückliche Vereinigung von Bäumen hier zu Lande sich nur in der Nachbarschaft von Harlem1 wiederholt. In diesem Busch wandelt an heitern Tagen die schöne und elegante Welt vom Haag, und es war ein sehr schöner Tag, als ich am Arm eines Bekannten die bunten Reihen durchstrich, welche sehen und gesehen werden wollten.

Wer ist die vornehme Dame, die hinter uns fährt, sie hat einen Fuchs und einen Schimmel vor dem Wagen und einen Malayen mit afgespanntem Sonnenschirm hinter sich. – Die Frau[23] des vorletzten Gouverneurs von Batavia, sagte mein Begleiter. Eine liebe Frau.

Als Mijnheer Kapellen in seiner Jugend sich um ihre Hand bewarb, widerriethen ihre Verwandten die Heirath, weil er ein armer Teufel war. Sie hat ihn aus Liebe genommen, ein unerhörtes Beispiel in den Annalen der patrizischen Ehen, für welche Plutus und nicht Amor den Contract aufsetzt. Jetzt ist er aber ein steinreicher Mann, so reich wie Lucull, nach seiner Statthalterschaft in Klein-Asien. Er bewohnt ein fürstliches Landhaus in der Nähe von Utrecht und besucht nur alljährlich auf kurze Zeit die Residenz, um der königlichen Familie seine Aufwartung zu machen. Haben sie seinen arabischen Hengst noch nicht gesehen? Der wirft seinen Schweif wie ein Pfauenrad, sprüht Feuer aus den Rüstern, tanzt wie Vestris und ist das Entzücken aller unserer jungen Messires, die nichts lieber wünschen, als einmal Gouverneure von Batavia zu werden. Der Gouverneur hat ihn von Gott weiß welchem asiatischen Sultan zum Geschenk bekommen. Pferde und Wagen spielen auf Batavia die Hauptrolle. Kein Holländer läßt sich zu Fuß sehen. Mir ist ein Fall bekannt, daß ein Mijnheer, der seinem Nachbarn in einer sechsspännigen Carosse einen Besuch abstattete, noch im Thorweg seines Hauses[24] saß, während die Vorderpferde schon in den Thorweg des Nachbarn einbogen. Durch diese Unsitte verlieren sie den Gebrauch ihrer Beine, wie durch die Unzahl ihrer mohrischen und malayischen Sclaven den Gebrauch ihrer Arme und Hände. Die vornehmen Holländerinnen leben dort auf demselben Fuß, nur auf einem bedeutend größeren (die Holländerinnen haben entsetzlich große und schwere Füße); wie ihre Schwestern in Japan und Hindostan. Sie behängen sich geschmacklos mit Perlen und Edelsteinen, liegen den langen lieben Tag auf dem Sopha, lassen sich die Mücken und Fliegen abwedeln, waschen sich viel und werden immer gelber, baden sich oft und werden immer welker, angeln gern nach jungen Europäern, welche sie reich und dürre machen, und sind im Uebrigen so geistlos und armselig in der Unterhaltung, daß man in ihrer Gesellschaft nicht ausdauern kann. Das sei nicht gesagt von der Gouverneurin, sie ist eine scharmante Frau, sie kann auch schon lange wieder zu Fuß gehen. Als sie erst zurück kam, war ihr dieses unmöglich. Sie wollte im Haag eine Jugendfreundin besuchen, auf deren Wiedersehen sie sich seit langer Zeit gefreut. Der Wagen fährt vor, der Bediente öffnet den Schlag und meldet seiner Gebieterin mit dem kläglichsten Gesichte, das Haus liege hinter einer Brücke und[25] man könne nur zu Fuß hinüberkommen. Dieser Umstand war für sie hinreichend, um den Besuch aufzugeben.

Kein Wunder, sagte ich, der Holländer ist schon von Natur kein Vogel, und wird er nun aus seinen nebelkalten Sümpfen unter die brennende Sonne Indiens versetzt, so muß ihm ungefähr so schlaff zu Muth werden, wie Einem, der mit durchnäßten Kleidern sich an die Gluth des Caminfeuers setzt.

Aber sagen Sie, wer ist der kleine Herr vor uns auf? – Wer? – Der mit dem grandiösen, familien-aristokratischen Schritt aus alter guter Zeit. – Das ist unser Bürgermeister, Mijnheer Kobbes van Kattendyk, ein kleiner lebhafter Mann, sehr beliebt am Hofe, thut viel für's französische Theater, für die Verschönerungen der Stadt. Mein Barbier behauptet, daß er zu wenig Bart und zu viele und zu kostbare Ideen hat. Er meint damit den neuen Canal, den Mijnheer Kobbes van Kattendyk mitten durch die Dünen bis beinahe an die See geführt hat, ein Werk, gegen dessen Vollendung die Herren Wasserstaaten von Delfland eingekommen sind, weil sie behaupten, Holland dürfe nicht ohne die höchste Noth sein kostbares Palladium, die Dünenkette, durchbrechen. Dieser Canal ist auch ohne Ende und Schiffarth,[26] welche auf jeden Fall wegen Sandbänken und Brandung nicht erzielt werden möchte, für den Kenner und Liebhaber der schönen Natur sehr schätzenswerth. Die schönen Töchter des Sir Charles Bagot, des englischen Ambassadeurs, gehen hier jeden Tag spatzieren, oder vielmehr, sie schweben spatzieren, denn die Jüngste vor Allen ist ein schwebender Engel. – Ach, sehn Sie, da geht der ehrliche Bernhard von Sachsen-Weimar, der vor einigen Jahren seine Reise in die nord – amerikanischen Staaten in den Druck gegeben hat; ein alter deutscher Degenknopf, über dessen Besitz die Holländer sich Glück wünschen. – Der Prinz Oranien mit seinen Söhnen – ach, er möchte so gern König von Belgien werden, weil er fühlt, daß er für die trockenen, ökonomischen Holländer nicht geschaffen ist. Seltsam, das Land ist so naß und die Menschen hier so trocken. Sein Bruder Friedrich ist dagegen mit Haut und Haar ein Holländer; man kann auch sagen, er ist das im Dünnen, was sein Vater im Dicken ist. – Das halbe holländische Lager ist hier auf den Beinen. Wer ist der junge Offizier, mit dem Sie sich grüßten, ein bildschöner Mann. – Sagen Sie, der Adonis von Holland, das Wehgeschrei aller Damen, seit er seinen Arm verloren; nicht im Krieg, im Duell. Sie sehn daraus, daß auch[27] die holländischen Offiziere sich duelliren. Ah bon jour, monsieur la baron, sagte mein Begleiter zu einem Männchen, das von aller Welt gegrüßt ward und alle Welt mit unendlich vielen hastigen und possirlichen Bücklingen wieder grüßte. Glücklicher Zufall, daß ich Sie treffe, ich wünsche mir Ihre Belehrung über einen Punkt aus den holländischen Alterthümern. Gestern Mittag speiste ich im alten Dulen an der Wirthstafel, das Gespräch fiel vom Hundertsten ins Tausendste und endlich sogar auf das alte Thule, jene famose Insel, die ein Kaufmann von Marseille, ich weiß nicht wie viel Jahre vor Christi Geburt, in der Nordsee entdeckt haben wollte und deren Name und Lage so vielen Gelehrten den Kopf zerbrochen. Da meinte ein junger Doctor der Philosophie, unter Thule sei weder Island, noch Norwegen, noch eine der schottischen Inseln zu verstehen, sondern – was meinen Sie wohl – Holland, die batavische Insel. Vermuthlich, sagte er, ist dieser griechische Kaufmann bei Schevelingen ans Land gestiegen und zwar zur Zeit eines starken Seenebels, wie er hier zu Lande nicht selten einfällt, hat dann einige Nächte im alten Dulen logirt, wie noch jetzt die reisenden Kaufleute zu thun pflegen und bei seiner Abreise den Namen eines einzelnen Wirthshauses für den Namen des Landes gehalten,[28] das vielleicht auch damals noch gar keinen Namen führte. Eh bien, monsieur le baron, was sagen Sie dazu? Der Baron räusperte sich und sagte, die Conjectur ist artig und ingeniös, auf den ersten Anblick sehr glänzend und dabei schmeichelhaft für Holland. Allein so guter Patriot ich bin, so scheinen mir doch bei näherer Betrachtung die angeführten Gründe nicht haltbar genug, um unserm Lande den Ruhm anzueignen, von Pytheas, der ungefähr um die Zeit des Aristoteles lebte, besucht worden zu sein. Das Wort Dul ist allerdings so alt, wie unsere Sprache, und also so alt, wie unsere Vorfahren selbst, welche in diesem heiligen Hain, worin wir jetzt friedlich spatzieren gehen, ihren Göttern blutige Opfer darbrachten. Allein die Wirthshäuser, welche man unter dem Namen Dulen in ganz Holland findet, steigen ohne Zweifel nicht höher hinauf, als bis zur Gründung der Städte und der Stiftung der Schützengilden, welche in diesen Wirthshäusern zusammenkamen, um nach dem Dul, id est, nach dem Ziel, nach der Scheibe zu schießen. A propos, mon ami, beim Schießen – hier fiel er sich in ganz verändertem Ton in die Rede, indem er sich kriegerisch in die Brust warf – à propos beim Schießen, haben Sie meine Kanoniere schießen hören? Die Kerle schießen majestätisch, klassisch sag'[29] ich Ihnen. Dulce est pro patria mori. Falle ich, so sollen sie den Kopf der Livia haben, der Ihnen so sehr gefällt. Haben Sie meine ägyptischen Papyrusrollen schon gesehen? Besuchen Sie mich doch, mon cher. A revoir, à revoir.

Ist das ein Offizier von der Artillerie, fragte ich, als der kleine Baron sich entfernt hatte. Bewahre, sagte mein Begleiter, seine Kanoniere sind eine unschuldige Spielerei, die man ihm aus Rücksichten für seine Person einstweilen erlaubt. Er ist reich, von alter Familie, besitzt ein Paar große Hotels, sammelt Münzen, Steine, chinesische Puppen, römische und batavische Alterthümer und besitzt unter Anderm eine schöne Büste der augustäischen Livia, auch ein Paar köstliche Holzschnitte von der Hand Albrecht Dürer's, was er Alles mit dem größten Vergnügen den Fremden und Einheimischen sehen und bewundern läßt, wie auch ein Bild, das ihn selbst vorstellt, als er noch im Flügelkleide und ein Knabe von sieben bis acht Jahren war, er trägt als Amor Bogen und Pfeile, einen rothen Rock mit goldenen Tressen und sieht unter den gepuderten und gebrannten Locken schon eben so antiquarisch aus, wie gegenwärtig. Von seiner Frau ist er geschieden, sie wollte den Staub und seine alte Amme nicht an der Stelle liegen lassen, wo sie seit Alters lagen,[30] den Staub nicht auf seinen chinesischen Puppen, die alte Amme nicht in ihrer gemeinschaftlichen Schlafkammer. Wie ich höre, ist sie aus dem heiligen Schooß der Antiquitäten in sehr profane Arme gestürzt, sie soll verheirathet sein an einen holländischen Unteroffizier, der ohne Zweifel seine alte Amme nicht bei sich hat und es auch nicht ungern sehen wird, wenn sie seinen Antiquitäten, alten Kamaschen und sonstigen alten Scharteken, den Staub ausklopft.

Wir schlugen uns aus dem Gedränge und kamen an einen mit hohen Buchen umringten Teich mit der Aussicht nach dem Hause im Busch, einem Lustschloß der oranischen Familie, das sich von dieser Seite sehr anmuthig hinter mehrern Brücken darstellt. Schwäne ruderten im Teich und aus einem Gebüsch ließ sich plötzlich die Nachtigall hören, einige Schritt weiter sahen wir die Königin der Nachtigallen, die kleine liebenswürdige Henriette Sonntag oder Gräfin Rossi, oder Gräfin Rossignol, wie ich sie am liebsten nenne. Sie hing am Arm ihres hübschen Mannes, und ich will nicht darauf schwören, daß sie sang, sie schien eher mit ihrem Manne zu sprechen; aber ich hörte sie singen und die langhalsigen Schwäne, die ihr nachruderten und mit den Flügeln schlugen, als wären sie ganz außer sich vor Vergnügen,[31] hörten sie offen bar auch singen. Vielleicht hatte die kleine Zauberin nur aus Scherz die Luft und die Gesträuche mit Musik angesteckt. Den Abend aber hörte ich sie wirklich singen. Sie sang im Salon des **schen Gesandten auf allgemeines Bitten das Schweizer Alpenlied: »steh nur auf, steh nur auf,« so himmlisch schön, daß ergraute Minister in die Welt hineinlächelten, wie die Kinder, so schmachtend, daß dem Legationssecretair der **schen Gesandtschaft die Brust bis an die Watten stieg, so schmelzend, daß einem dicken Fräulein das schiere Fett von der Wange träufelte, so zum Vergessen, daß Herr Qouvrard von Paris seine letzte Speculation, seine Schulden und Saint Pelagie vergaß, und ich selber ausrief: Herr Gott, Madame, wäre ich der Schweizerbu, ich würde meine Lebtage nicht aufstehen, aus purem Vergnügen, sie so schön jodeln zu hören: »steh nur auf, steht nur auf, du Schweizerbu.«

Fußnoten

1 het Harlemmer hout ist ein Lustholz vor den Thoren Harlems.


Quelle:
Ludolf Wienbarg: Holland in den Jahren 1831 und 1832. Erster und Zweiter Theil, Hamburg 1833, S. 32.
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