Neunter Auftritt.

[48] Apelles, Pausanias; Zoe, Bürger, Weiber anfangs hinter der Scene.


ERSTER BÜRGER noch draußen, links.

Laßt sie nicht länger reden! Fort mit ihr!

ZWEITER BÜRGER draußen.

Nein, sie soll reden! uns das Heil verkünden! –

Laß dich nicht irren: sprich![48]

APELLES.

Was für ein Lärm

Und Streit – nach solchem Tag?

ZOE draußen.

Ihr Männer und

Ihr Frauen von Palmyra –

ERSTE BÜRGER draußen.

Nein, sie schweige!

Fort aus Palmyra! Fort aus unsrer Stadt!

VOLK draußen.

Fort mit ihr! Fort mit ihr!

ERSTER BÜRGER.

Hinaus die Christin –

Sonst steinigt, steinigt sie!

ZWEITER BÜRGER.

Wir retten dich!

Hierher! Hierher!


Der zweite Bürger und andre eilen von links herbei, Zoe mit sich fortziehend; der erste Bürger und ein großer Haufe stürmen ihnen nach.


APELLES.

Was gibt's? Wen hetzt ihr so

Durch unsre Gassen?[49]

ZWEITE BÜRGER.

Hilf, Apelles, hilf!

ERSTER BÜRGER.

Hinweg mit ihr! – Ergreift sie!

VOLK durcheinander.

Weg mit ihr!

Schlagt sie zu Boden!

APELLES mit mächtiger Stimme.

Halt! Der ist des Todes,

Der sie noch anrührt! – Ich, Apelles, Sohn

Des Hermes, sag' es! ich, der sie beschützt!


Allgemeine Stille.


Wer bist du, Mädchen?

ZWEITER BÜRGER.

Heil dir, Trefflichster!

Die Jungfrau hier –

APELLES.

Sie selber frag' ich. – Rede.

Wer und von wannen bist du?

ZOE sanft, mit bescheidener Würde.

Zoe heiß' ich,

Und von Damaskus komm' ich, durch die Wüste

Denn da der Geist mich antrieb –[50]

APELLES.

Welcher Geist?

Der wilde Schwämergeist von Nazareth,

Der unermüdlich durch die Länder wandert,

Von Dorf zu Dorf, von Thür zu Thür die Lehre

Von Sünd' und Not und Kreuzesopfer trägt

Und alle die verdammt, die euch nicht glauben?

ZOE.

Wir thun, was uns des heiligen Geistes Stimme

In unsrer Brust gebietet. Heil empfingen wir,

Um Heil zu predigen; nur Steine schweigen.

Das bange Harren aller Kreatur

Ersehnt die Offenbarung, dürstet nach

Befreiung aus den Banden dieser Welt

Und nach der Seligkeit der Kinder Gottes.

Und wer sie bringen kann, der sollte zaudern,

Weil's den da ärgert oder den?

APELLES.

Wir hängen

Hier in Palmyra an den alten Göttern

Und rufen nicht nach euch. In allen Städten

Des römischen Reiches habt ihr euch verbreitet,

In unserm Wüstenland gedeiht ihr nicht.

So bleibt denn draußen! Predigt, mehrt euch, wachst

Wie Samenkörner – nur in unsern Mauern

Laßt uns den Frieden und die alten Götter!

ERSTER BÜRGER.

So sag' auch ich –[51]

APELLES gebietend.

Nur still!

ZOE.

Wer ist Palmyra?

Nicht bloß die Weisen, noch die Glücklichen;

Auch Angst und Trübsal wohnt in eurer Stadt,

Und Not der Seelen, die nach Balsam dürstet.

Für diese komm' ich; so befiehlt der Herr mir.

Willst du mir's wehren?

APELLES.

Wunderliches Wesen:

So jung und ernst; so schön und erdenfremd.

Du, eine Jungfrau, solltest freien, denk' ich,

Statt los und ledig durch die Welt zu pilgern –

ZOE.

Es lebe jeder, denk' ich, wie er muß.

Die freiet, sorgt, wie sie dem Mann gefalle;

Die nicht freit, sorgt, wie sie sich heilige,

Dem Himmel zu gefallen. Wenn der Herr mich

Berufen, muß ich nicht?

APELLES.

Ein Weib, ein schwaches –

ZOE.

Nicht nur die Starken, Weisen sind berufen;

Was schwach ist, klein und thöricht vor der Welt,[52]

Hat Gott erwählt, daß es zu Schanden mache,

Was weis' und stark ist. Doch ich bitt' dich: ärgre

Dich nicht an mir –

APELLES stolz.

Nicht ich. Wer bist du mir?

Doch vor den andern hüte dich. Ihr seid

Im Reich zu groß geworden, Volk und Kaiser

Bedrohn euch, wenn ihr nicht verstummen lernt –

ZOE.

Ich weiß: uns droht ein neues Blutgericht;

Der Kaiser Diocletianus wird

Das Schwert erheben gegen uns. Die Heiden

Sind zornig worden, denn sie fürchten uns; –

Wir fürchten nichts. Sie werden streiten mit

Dem Lamm, doch wird das Lamm sie überwinden.

Mit uns ist Gott!

ERSTER BÜRGER.

Wer bist du, so zu lästern?

Landstreichrin! Dirne! Wahre deine Zunge!

ZOE mit einem fragenden Blick auf Apelles.

Hier dieser schützt mich –

APELLES.

Ja; doch hüte dich.

Such nicht, nach Christenart, in Trotz und Hoffart[53]

Den Leu'n zu reizen, der das Lamm zerreiße;

Ruf nicht den Opfertod. Ein junges Lamm

Ist leicht geopfert –

ZOE.

Wohl! Das fürcht' ich nicht.


Die Hand auf ihren Arm legend.


Dies hier ist Staub. Die Kinder Gottes haben

Ihr Leben nicht geliebt bis in den Tod;

Drum sind sie nun im Herrn!

APELLES.

Unsinnig Mädchen!

Wirfst du so leicht das sichre Leben hin

Für das, was niemand kennt? die blühnde Jugend,

Der Glieder Kraft und Schönheit, Aug' und Ohr

Und Fühlen, Denken, Lieben für ein dunkel,

Geträumt »Vielleicht«?

ZOE.

Dir mag es dunkel sein,

Mir nicht.


Wendet sich von ihm.


Ihr Fraun und Männer von Palmyra,

Folgt mir und hört mich! Denn der Tag will kommen.

Laßt ab vom Irrtum! Eure Götter sind

Geträumte Bilder, Stein und Erz, nicht Leben,

Nicht Kraft, nicht Liebe, Hoffnung, noch Erbarmen.

Sie geben euch nicht Trost in eurem Leid,

Sie opfern sich für eure Sünden nicht,

In ewigem Tode lassen sie euch sterben –[54]

ERSTER BÜRGER.

Genug der Lästrung! Schweig!

ZWEITER BÜRGER.

Nein, rede, rede!

ZOE.

Was baut ihr Tempel? Der die Welt gemacht,

Wohnt nicht in Häusern, welche Hände machten.

In euren goldnen Bildern wohnt er nicht,

Die Götter heißen; sie sind Menschenwerk

Und schmelzen hin wie ihr. Und fallen werden

Die Tempel alle, die ihr baut –

APELLES.

Genug!

Beim Donnrer Zeus, genug! »Die Tempel fallen« – –

Wer bist du, Unhold, so zu schmähn, was du

Nicht Augen hast zu sehen und zu fassen?

Der Tempel Herrlichkeit, der Bilder Pracht

Und Kunst und Hoheit –

ERSTER BÜRGER.

Weg mit ihr!

APELLES.

Was schreit

Ihr Blindgebornen gegen Augenweide

Und ruft! »Fall hin!« weil ihr's nicht schaffen könnt? –[55]

Hinweg mit euch, ihr Feinde dieser Welt!

Blutscheue Lämmer, die dem Kaiser trotzen;

Geschorne Bleichgesichter ohne Blut

In ihren Adern, doch voll Gift –

ZOE wie mit warnender Stimme.

Apelles!

Apelles!

APELLES.

Weg mit dir! Palmyra braucht

Nicht deinesgleichen! Weg aus diesen Mauern!

ERSTER BÜRGER.

Apelles selbst verdammt sie! Weg mit ihr!

VOLK.

Fort aus Palmyra!


Sie ergreifen sie.


ZOE reißt sich los.

Nein! Was that ich euch?


Vor dem andrängenden Volk zurückweichend und die Stufen im Hintergrund ersteigend.


Statt mich zu greifen, reinigt eure Hände,

Ihr Sünder! Seid ihr rein? Ist nicht Palmyra,

Auf das ihr stolz seid, aller Laster voll?

Das Fleisch ist euer Gott, der Leib sein Tempel –

ERSTER BÜRGER.

Steinigt sie![56]

VOLK einige.

Steinigt sie!

ZOE.

Was ruft ihr so,

Weltgier im Herzen, Blutgier auf den Lippen?

Ihr Gottvelaßnen – Wolken ohne Wasser,

Vom Wind getrieben –

VOLK durcheinander.

Macht die Zunge still! –

Sie soll nicht leben!


Neues Volk erscheint oben rechts und links an den Kulissen, zum Teil mit Schwertern, Bogen und Pfeilen bewaffnet.


ZOE fortfahrend.

Wilde Meereswellen,

Die ihre Schand' ausschäumen ... Darum rufen

Die Engel Wehe, Wehe über euch!

Fallen wird Babylon, Palmyra fallen –

ERSTER BÜRGER.

Werft Steine! Pfeile! Schwerter!

APELLES in die Menge eindringend.

Haltet ein!

Nicht weiter![57]

VOLK auch an und in den Kulissen.

Sie muß sterben! Sie muß sterben!


Sie heben Steine auf, werfen; Pfeile fliegen aus der Kulisse auf die Bühne.


ZOE.

Der Herr – –


Von einem Pfeil getroffen, seufzt sie auf.


Mein Heiland!


Bricht zusammen.


APELLES.

Haltet ein! – Sie fällt! –

Verruchte Mörder! wer hat sie getroffen?


Drängt das Volk zurück, hebt Zoe vom Boden auf; sie hat die Augen geschlossen.


Niemand berührt sie mehr!


Führt sie, halb tragend, seinem Hause zu. Sie legt eine Hand aufs Herz, sinkt ihm aus den Armen.


ZOE.

Ich sterbe; laß mich.


Die Geistermusik aus dem ersten und zweiten Auftritt beginnt wieder; Zoe schlägt die Augen auf, sieht den neben ihr niederknieenden Apelles. Ihr Gesicht verändert den Ausdruck; mit großem, geisterhaftem Blicke.


Du bist's. – Dich sah mein Traum. – Was schiltst du jene:

Du gabst mich preis, drum haben sie's gethan.

Doch straft dich Gott an dem, was du begehrst:

Dich erhört der Herr des Lebens,

Hält dich fest auf dieser Erde –

APELLES sie fassungslos anstarrend.

Wer bist du? – So erklang's aus jener Höhle –[58]

ZOE.

An de Stirn gezeichnet wirst du

Wachen ohne Schlaf des Todes.

Ich aber sterbe –


Die Musik hört auf.


APELLES.

Nein! Bist du ein Geist,

So ist dies Blendwerk, und du kannst nicht sterben!

ZOE den sterbend verklärten Blick gen Himmel richtend.

Und eine Stimme ging vom Himmel aus,

Die sprach: es ist geschehn. – Blutzeugen Gottes,

Zum Martertode gingt ihr Psalmen singend;

So sing' auch ich im Tod!


Singt mit fester, dann ermattender Stimme.


»Richte mich, Gott,

Und führe meine Sache wider das

Unheilige Volk – und rette mich« –


Sie stirbt. Der zweite Bürger und einige mit ihm knieen neben ihr nieder, zum Teil weinend, zum Teil das Gesicht verhüllend. Apelles starrt, wie unfähig, es zu fassen, auf die Tote herab.


APELLES.

Beim Zeus –

Das ist der Tod!

PAUSANIAS war inzwischen im Volk verschwunden, steht jetzt hinter Zoe.

Er ist's.

APELLES.

Auch du noch hier?[59]

PAUSANIAS.

Du hast nun, was du wolltest. Fahre wohl.


Wendet sich zum Gehen.


AURELIUS hinter der Scene.

Platz dem Statthalter Publius Saturninus!


Der Vorhang fällt.


Quelle:
Adolf Wilbrandt: Der Meister von Palmyra. Stuttgart 61896, S. 48-60.
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