Sechster Auftritt.

[16] Die Vorigen, Gracchus, Pomponius.


OPIMIUS. Ich beweis' es: hier steht er vor eurem Antlitz! Als wäre nichts geschehen, wagt er vor Göttern und Menschen zu erscheinen.

POMPONIUS leise. Gajus! du wirst dich verderben; die letzte Hoffnung Roms wird untergehn! – Wärst du deiner Mutter gefolgt!

GRACCHUS. Laß mich! Nachdem er Opimius und den Senat mit stolzen Blicken betrachtet. Lucius Opimius –[16]

AGRICOLA. Still! Er spricht.

GRACCHUS. Ich lese die Klageschrift gegen mich auf deinem Gesicht. Ich kam nicht her, dich zu unterbrechen! Sprich. Hier steht nur Ein Bürger mehr, deine Klage zu hören.

OPIMIUS für sich. Die Pest über deine dreiste Zunge! Laut. Will ich reden, Gracchus, so bedarf ich deiner Ermuthigung nicht! – Censoren und Volk! Die Sache ist hell und klar wie der lichte Tag. Was ist Gesetz in Rom? Daß der Senat beschließt, wer als Consul oder an Consuls Statt unsere Heere führt. Was ist Gesetz in Rom? Daß der Quästor ist, wo der Consul ist. Hier steht Gajus Gracchus, der Quästor unseres sardinischen Heers! Daß er hier steht, ist sein Urtheil. Ich überantworte ihn eurem Gericht; ich habe geredet! Setzt sich.

CARBO. Er steht hier gegen das Gesetz; – er ist verurtheilt!

VOLK durcheinander. Er ist verurtheilt – verurtheilt!

POMPONIUS. Hört – Hört mich an! Bürger, Römer –

VOLK. Still! – Genug!

POMPONIUS. Wollt ihr ihn verdammen, ohne ihn zu hören –

CARBO. Die Sache ist klar wie der Tag; fort mit ihm ins Gefängniß!

VOLK. Fort mit ihm ins Gefängniß!

METELLUS. Stille da! – Gajus Gracchus, wünschest du zu reden?[17]

GRACCHUS. Deshalb kam ich her. Das römische Volk –

OPIMIUS. Er soll nicht! Er ist verurtheilt! Das Volk hört ihn nicht an!

CARBO. Er soll nicht!

SENAT UND VOLK durcheinander. Wir wollen nichts hören! Er ist verurtheilt, verurtheilt!

GRACCHUS steigt auf die Rednerbühne. Das römische Volk –

VOLK wild. Herunter mit ihm! – Nieder, nieder mit ihm!

GRACCHUS mit mächtiger Stimme. Das große römische Volk ist stolz und gerecht; es verweigert keinem Beklagten das Recht der Rede! Das große römische Volk, das über den halben Erdkreis herrscht, herrscht auch über sich selbst! Stille. Sanfter. Hier stehe ich und bitte das versammelte Volk, mich, den römischen Bürger Gajus Gracchus, anzuhören, eh' es über mich richtet.

METELLUS. Er bittet das versammelte Volk! – Wird es ihm verweigert, oder nicht? Schweigen. So rede!

GRACCHUS steht eine Weile stumm und sieht über die Menge hin.

AGRICOLA halblaut. Er hat sich mächtig verändert! Wie ein rechter Jüngling ging er fort, jetzt sieht er aus wie ein Mann.

LÄTORIUS. Wie ein König!

CARBO. Stille![18]

GRACCHUS. Ihr römischen Senatoren: ich denke nicht, mich zu vertheidigen, sondern anzuklagen. Ihr römischen Bürger: ich habe nicht vor, euch zu schmeicheln, sondern zu eurem Gewissen zu reden.

CARBO halblaut. Nun, dreist und stolz – das muß man ihm lassen!

LÄTORIUS. Hört ihn an!

GRACCHUS. Was ist Gesetz in Rom? Daß wir zehn Jahre lang unter dem römischen Adler zu Felde ziehen, wenn der Staat unsrer bedarf. Ich, Gajus Gracchus, habe zwölf Jahre lang als Krieger gedient! – Was ist Gesetz in Rom? Daß die Quästoren nach Einem Jahr vom Feld nach Haus ziehen dürfen. Ich, Gajus Gracchus, habe drei Jahre beim Proconsul verharrt! Wenn das Gesetz mich entließ, wer hielt mich in Sardinien fest? Das Unrecht! – Wer klagt mich hier an? Das Unrecht! – Wer will mich hier durch eure Stimmen verdammen? Das Unrecht! – Kann mir Einer widersprechen, steh' er auf und rede!

OPIMIUS ohne aufzustehen. Wo der Feldherr ist, soll auch der Quästor sein! Dem Senat gefiel es, den Proconsul in Sardinien zu lassen; so war es offene Widersetzlichkeit von dir, dich zu entfernen!

GRACCHUS. Warum ließ man uns dort? – Hört mich an, werthe Bürger: ich sage euch ein wenig von den Geheimnissen des Senats! – Warum ließ man den Proconsul in Sardinien, statt ihn abzulösen, wie es Pflicht war? Damit der römische Adler auch mich, den Quästor, in seinen Fängen festhielte! Warum eben mich? Ist kein zweiter Kopf im römischen Reich, des Quästors Bücher zu führen? Die Bürger lachen. Warum soll ich nicht hier auf dem Forum stehn, wie ihr, und die großen Staatsreden des Opimius hören? Neues Lachen. Warum? Sagt mir Einer von euch, warum, – oder muß ich es sagen?

VOLK durcheinander. Sag' es! – Sprich![19]

GRACCHUS. Wer bin ich, ihr Bürger? Was ist es, das mich dem Senat so wichtig, so bemerkbar, – laßt mich sagen: so furchtbar macht? Sind es meine neunundzwanzig Jahre, ehrgeizlos in der Einsamkeit der Wissenschaften oder beim Lärm der Kriegstrompeten hingebracht? Mit wachsender Empfindung. Ist es mein hinabgegangener Vater, er edle Sempronius, der zweimal Consul, zweimal Triumphator, und sein Leben lang der Römer Stolz war? Ist's meine Mutter Cornelia, die ihr so oft um ihr Loos gepriesen habt, weiblich wie die edelste Frau, weise wie der tapferste Mann zu sein? Oder ist's meiner Mutter Vater, der große Scipio, der über Hannibal siegte? Oder meiner Schwester Gemahl, Scipio der Jüngere, der Carthago und Numantia, die beiden Schrecken Roms, vom Erdboden vertilgt hat? – Bürger! Die größten Ahnen sehen auf mich herab: wer kann mich drum hassen und verfolgen?

LÄTORIUS. Niemand! Niemand!

OPIMIUS. Was sprichst du von deinen Ahnen? Warum nennst du deinen Bruder Tiberius nicht, – den Empörer, den Frevler, den Verräther?

GRACCHUS. Es ist wahr: ich vergaß meinen Bruder Tiberius, den Empörer, den Frevler, den Verräther! – Warum vergaß ich ihn auch? Weiß nicht doch Jeder, was für ein Frevler er war? Daß er den armen Bürgern ihre Aecker nahm, die ihnen der großherzige Senat verliehen hatte –

AGRICOLA. Nein, nein!

VOLK. Umgekehrt war's!

GRACCHUS. Und wer von euch wüßte nicht, daß mein Bruder Tiberius mit bewaffneter Hand den Senat überfiel und ihrer dreihundert erschlug?[20]

VOLK. Nein, nein, nein!

LÄTORIUS. Sie erschlugen ihn!

AGRICOLA. Unsern Freund, den Tiberius, haben sie erschlagen!

OPIMIUS grimmig auffahrend. Stille im Volk! – Ein Frevler war er, und man erschlug ihn mit Recht!

GRACCHUS. Hört ihr's, Bürger; Lucius Opimius sagt's: man erschlug ihn mit Recht! Denn da er sah, daß alles Land, das dem römischen Staat, also uns allen gehörte, wider Recht und Gesetz in den Händen weniger Hunderte war; und daß die wilden Thiere, die in Italien hausen, ihre Gruben haben, aber die Hunderttausende tapferer Bürger, die für Italiens Freiheit fechten und sterben, nichts ihr eigen nannten, als Luft und Licht; und daß von dem größten Volk der Erde so viele Tausende ohne väterlichen Herd, ohne eine Grabstätte ihrer Vorfahren, unstet umherschweifend dahinlebten: so erhob er für euch seine gewaltige Stimme! So hauchte er den Muth in euer Herz, Mit einer Geberde gegen den Senat. von diesen lächelnden Tyrannen euer Recht zu fordern! So gab er euch, den Kindern der Republik, euer Erbe zurück! – Dafür starb er; dafür starb er mit Recht!

VOLK in starker Bewegung. Nein! nein! nein!

LÄTORIUS. Sie erschlugen uns unsern Befreier! Fluch über seine Mörder!

OPIMIUS auffahrend, zum Senat gewandt. Wie! Dulden wir, daß dieser zweite Gracchus uns das Volk empört –

AGRICOLA. Still! Gracchus redet![21]

LÄTORIUS. Nieder mit Jedem, der ihn unterbricht!

VOLK wild. Gracchus, Gracchus soll reden!

GRACCHUS. Euer Freund, Tiberius Gracchus, ist todt. Zu eurem Tribun hattet ihr ihn gewählt; es giebt nichts Heiligeres auf der Erde, als das Amt des Tribuns! Doch vor euren sehenden Augen schlug man ihn todt Das gab einen Festtag des Senats, ihr römischen Bürger! Auf die Senatoren zeigend. Diese Männer hier, die hundert Könige unseres Reichs, mit Knütteln bewaffnet wie die berauschten Bauern im Apennin, – so stürmten sie dort aufs Capitol hinauf, sich von dem großen Feind ihrer Tyrannei zu befreien! Und fielen alle über den wehrlosen Mann – und vor euren Augen, Bürger, vom ersten Knüttelschlag gegen die Schläfe gefällt, am Tempel der Treue stürzte er in den Staub! Vor euren Augen ward sein blutender Leib, wie des großen Hektor's Leiche, durch die Straßen geschleift, vor euren Augen in die Tiber versenkt! Vor euren Augen griff man seine Freunde, Mann für Mann, und ohne Urtheil, ohne Gericht, wie Schlachtopfer unter des Metzgers Faust, fielen sie, dreihundert an der Zahl, unter Knüttelstreichen – römisches Volk! vor deinen sehenden Augen!

VOLK in wilder Bewegung durcheinander. Das war Mord, Mord! – Rache! – Wir wollen es rächen! – Ja, wir wollen es rächen!

OPIMIUS vortretend. Bürger, hört mich an –

VOLK. Wir wollen nichts hören!

LÄTORIUS. Zurück mit dir! Gajus Gracchus spricht!

VOLK. Rache, Rache für Tiberius Gracchus![22]

GRACCHUS. Dreihundert Männer, schuldlos wie die Götter – voran euer geheiligter Tribun – fielen durch rechtlos viehische Gewalt, – und mit ihnen sank unsre Ehre hin! Es ging eine blutige Morgenröthe heraus! In wachsender, wilder Leidenschaft. Das Schwert der Gerechtigkeit zerbrachen sie, und drückten dem scheußlichen Dämon, dem Mord, den Dolch in die Hand! Die Pforte des Friedens schlugen sie donnernd zu, und öffneten das furchtbare, eherne Thor der Rache. Sie haben es aufgerissen, sie schließen es nun nicht mehr! Mord haben sie ausgesäet, Rache werden sie ernten!

OPIMIUS. Ihr hört's! Rache ist's, was er predigt!

METELLUS. Das ist zu viel – Steht auf. Der ganze Senat erhebt sich.

VOLK. Rache! Rache! Rache! Nieder mit dem Senat!

POMPONIUS zu Gracchus herantretend, halblaut. Gajus! Fassung, Fassung!

LÄTORIUS. Nieder mit dem Senat; es lebe Gracchus der zukünftige Tribun! Unser Tribun soll er sein!

VOLK durcheinander. Ja, ja, ja! – Er hat Recht! – Gracchus der Volkstribun! Gracchus der Volkstribun! – Er soll uns rächen, und wir wollen ihn wählen!

GRACCHUS. Still! – Wie kann ich euer Tribun sein? Wißt ihr nicht mehr, daß ich verklagt bin, daß ihr mich richten sollt als Feind des Gesetzes?

AGRICOLA. Nieder mit den Klägern!

CARBO. Der ist des Todes, der dich verklagt![23]

LÄTORIUS. Es lebe. Gajus Gracchus, unser Volkstribun! Sie jubeln ihm zu, werfen Hüte, Mützen, Tücher in die Höhe, dringen an die Rednerbühne heran, suchen Gracchus' Hände zu fassen. Die Senatoren brechen tumultuarisch auf, verlassen die Bühne.

METELLUS noch auf der Tribüne, will beschwichtigen. Opimius! – Gracchus! – Opimius!

OPIMIUS tritt vor; indem er drohend die Hand gegen Gracchus hebt. Gajus Gracchus, ich sage dir; du wirst den Weg wandeln, den dein Bruder ging! bei den ewigen Göttern! Ab, den Senatoren nach.

GRACCHUS mit mächtiger Stimme. Drohe, schwöre, weissage, krächzender Rabe! Ich bin meines Bruders Erbe, komme, was da komme! – Römer, unsere Rache sei, daß wir uns befreien: Rom und die Freiheit!

VOLK. Rom und die Freiheit!

AGRICOLA. Tragt ihn nach Hause!

VOLK. Gracchus unser Tribun! Gracchus unser Befreier!


Sie heben ihn auf ihre Schultern; unter wilder Bewegung und begeisterten Rufen.

Fällt der Vorhang.


Quelle:
Adolf Wilbrandt: Gracchus der Volkstribun. Berlin [1872], S. 16-24.
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