Erster Auftritt.

[69] Nacht. Bewaffnete junge Bürger gehn vor Gracchus' Hause auf und ab; zwei Fackeln, an der Hauswand befestigt, beleuchten den Platz nur schwach. Pomponius sitzt auf einem Schemel vor der Thür, in sich versunken. Gleich darauf tritt Licinnia aus dem Hause, hinter ihr Euporus, eine Fackel in der Hand.


LICINNIA. O ihr Götter! Kommt Gajus niemals nach Haus? – Euporus, siehst du nichts?

EUPORUS. Liebe Herrin, nichts.

LICINNIA. Keine Fackeln dort die Straße herauf? Geh an die Ecke, sieh ob er kommt. Vielleicht kommt er vom Capitol herab! – – Nichts?

EUPORUS kommt zurück. Nichts.

LICINNIA. Geh, sieh durchs Thor! – – O Gajus – Scipio – O welche Nacht![69]

POMPONIUS trübsinnig aufblickend. Es werden noch schlimmere kommen; fasse dich, gute Frau.

LICINNIA. Wie? Du bist da? Du, und ohne Gajus?

POMPONIUS. 'S sind genug Köpfe und Fäuste um ihn her, die ihn schützen; dazu braucht's die Muskeln des Pomponius nicht! – Und so sitz' ich hier Kummervoll. und philosophire auf meine eigene Hand.

LICINNIA. Warum kommt er nicht nach Haus? Wo hast du meinen Gajus gelassen?

POMPONIUS. Wo? – Sorge dich nicht um deinen Gajus; sie stehn ja um ihn her, viele Hunderte, nennen ihn ihren Gott, zerstampfen seine Feinde zu Kleie, setzen ihn zu oberst aufs Capitol und geben ihm den Donnerkeil in die Hand! Wenn das ihre Worte sind, was werden erst ihre Thaten sein? – O wir Glücklichen, die wir diese Dinge erleben – und was da noch kommen wird!

LICINNIA. Still! Warum quälst du mich? – Wo ist Gajus, frag' ich?

POMPONIUS. Rom hat sich getheilt: die Einen, mit deinem Gajus, verstopfen alle Gänge und Poren des großen Circus, rufen die Götter an und verwünschen den abscheulichen Senat; und die Andern, mit Scipio, sitzen in der großen Halle vor dem Jupitertempel, rufen die Götter an und verwünschen das abscheuliche Volk. Warte noch eine Weile, gute Licinnia; dann wirst du sehen, wie die klugen Richter im Olymp sich entscheiden, ohne die betenden Parteien zu verletzen!

EUPORUS kommt vom Thor zurück. Ich sehe nichts, liebe Herrin.[70]

LICINNIA. Nichts! – Treibt denn auch die Nacht sie nicht nach Haus? Erblickt die Bewaffneten, erschrickt. Was wollen diese hier vor unsrer Thür?

POMPONIUS. Gute Freunde, mit guten Schwertern! Das römische Volk hat sie hergeschickt, damit sie den Volkstribun vor seinen Gönnern im Senat bewachen. Mitleidig. Gute Licinnia, warum zitterst du? Fürchte dich nicht. Dein Gajus wird nach Hause kommen, wird schlafen wie sonst, du wirst seinen Athem hören und Morgens erwachen wie sonst. Diese Unwetter auf dem Marktplatz kommen und gehn! – Mit ausbrechendem Kummer. Warum mußte er sich auch zuletzt noch reizen lassen, wie ein Stier in der Arena? Er stand wie ein olympischer Sieger da: warum ließ er sich den Kranz von der Stirn herunterreißen?

LICINNIA. Still, still! Er kommt. Mein Ohr erkennt seinen Tritt! Ihm entgegen. Gajus, Gajus!


Quelle:
Adolf Wilbrandt: Gracchus der Volkstribun. Berlin [1872], S. 69-71.
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