Dritter Auftritt

[336] Karl aus der Mitte und bleibt, beiden nachsehend, stehen.


JUDITH wendet sich, gewahrt ihn.

Ah – du kamst wieder?


Geht auf ihn zu.


Sprich, wo gingst du hin?

KARL tritt einen Schritt zurück, da sie die Arme ausbreitet, um ihn zu umarmen.

Bernhard war bei dir?

JUDITH.

Ja, er ging hinaus,

Im Lager dich zu suchen; sag', wo warst du?

KARL.

Bernhard war bei dir?

JUDITH.

Also sagte ich.


Pause.


JUDITH.

Dein Aug' ist düster, was geschah dort draußen?

Du blickst mich an, als kenntest du mich nicht?

KARL.

Die Augen sind's voll süßer Majestät –

Die Stimme – alles ist's was ich besaß –

O nein – nicht wahr, du bist noch meine Mutter?

JUDITH.

Welch düstre Geister zeugte diese Nacht,

Die zwischen dich und deine Mutter traten?

KARL.

Geister von Fleisch und Blut. – Er war bei dir,

Was war's, wovon Ihr spracht?

JUDITH.

Du warst es.

KARL.

Ich?[337]

JUDITH.

Ja, trauter Sohn, dein Heil und deine Größe,

Die ihm am Herzen ruhn.

KARL.

An seinem Herzen

Will ich nicht ruhn! Verdammt sei der Gedanke!

JUDITH.

O, dies ist undankbare Unnatur!

Du weißt, was er getan, so höre denn

Das Größte, was er dir zu tun gedenkt:

Die Großen unsres Heeres sind gewonnen,

Bereit ist alles, wenn dein Vater stirbt,

So wirst du Kaiser sein des Frankenreiches

KARL.

Ah – sagt' er das?

JUDITH.

Er hat es mir gesagt.

O du, mein Kind, für das ich jahrelang

In Angst gelebt, die Stunde ist gekommen,

Die all mein Sehnen krönt in dir – o Kind,

Vergälle nicht der Mutter diese Stunde!

KARL.

Und nannt' er auch den Preis für diese Krone?

JUDITH.

Den Preis? Was meinst du?

KARL.

Mutter – was ich meine?

JUDITH.

Um Gott – was lauert dir im Auge?

KARL.

Mutter,

Die Krone will ich nicht, die du mir bietest,

Viel Höh'res, Teureres verlang' ich![338]

JUDITH.

Was?

KARL fällt vor ihr nieder, sie umschlingend.

Mutter, gib meine Mutter mir zurück!

JUDITH.

Gott helfe mir!

KARL.

Weißt du, was du mir warst?

Dies Licht des Lebens, das du mir geschenkt,

Es einte alle seine holden Strahlen

In einem himmlisch leuchtenden Juwel.

Dein Tun und Denken Muster war's des meinen,

Und wenn ich betete, so trat dein Bild

Dicht neben Gottes Bildnis. – Mutter – Mutter –

Gib das mir wieder.

JUDITH.

Karl – verlorst du es?

KARL.

Sage mir du, ob ich es noch besitze!

War's Dankbarkeit, war's Mutterliebe nur,

Die dir für ihn so heiß das Wort entflammte,

Oder –

JUDITH.

Karl! Karl!

KARL.

Oder – o einen Raum mir

Öde und leer, wo nie der süße Laut

Der Menschlichkeit erklang – oder ist's wahr,

Daß sich ein Räuber schlich in meinen Himmel?

Mutter, man sagt – weh, unter diesem Worte

Zerbricht die Zunge wie ein Scherben mir

Mutter, man sagt mir, daß du Bernhard liebst?


Pause. Judith wendet sich zum Abgehen.


KARL springt auf.

Mutter![339]

JUDITH bleibt stehen.

Darfst du der Richter deiner Mutter sein?

KARL.

Nacht, wirf dich über die entweihte Erde,

Das Heilige ist tot! So sei die Krone

Verflucht, die Ihr mir botet, und die Hände,

Die sie mir reichten –

JUDITH.

Karl – was tust du mir?

Willst du der Mutter fluchen?

KARL.

Sage »nein«,

Und Segen einem jeden, der dich segnet!

O, nur die Lippen rege, denn mein Herz

Spart deinem Wort den Weg und ruft »unschuldig«.

JUDITH.

Denk', o gedenk', im Lauf so vieler Jahre

Wie viele Bitten hab' ich dir erfüllt,

Für all die tausende, nur eine einz'ge:

Karl, frage nicht!

KARL.

Ah!

JUDITH.

Bohre nicht die Augen

Ins Herz, an dem ich dich getragen!

KARL.

Ah!

JUDITH sinkt in die Knie.

Natur, sieh mich nicht knien vor meinem Kinde.

In Schmerzen gab ich Leben dir, in Schmerzen

Bewahrte ich dein Leben unter Feinden,

Sei dankbar, Sohn; ich lernte Haß ertragen,

Nur deinen nicht; Karl, Karl, nicht deinen Haß.

KARL tritt zurück.

Ich habe nichts zu schaffen mehr mit dir.[340]

JUDITH.

Das meines Kindes Dank.

KARL.

Dank dir? Wofür?

Für diese Krone? Ah, des schändlichen

Ersatzes für mein Herz! Für dieses Leben?

O, eine Blume war's, die ihren Duft

Aus deinem Leben sog – heut aus der Wurzel,

Aus der vergifteten, sog es sich Gift.

Die Schuld ist abgetragen – Weib, steh auf.

JUDITH.

Schrecklicher Sohn! Gott, sprich zu ihm!

KARL zeigt nach links.

Sieh dorthin!

So redet Gott! – – Sieh an, o sieh ihn an,

Den alten, heil'gen Mann. – Mutter, o Mutter,

Heut muß auch ich ihn hintergehen, komm,

Vor seinem Antlitz bin ich noch dein Sohn.


Judith erhebt sich, von Karl unterstützt.


JUDITH.

Betrug ist seine Liebe, nur sein Haß

Ist Wahrheit – so erfüllte sich mein Sehnen.


Quelle:
Ernst von Wildenbruch: Gesammelte Werke. Band 7, Berlin 1911–1918, S. 336-341.
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