Liebe im Streit

[372] Es kam endlich doch zur Scheidung; die Geschwister Lisbeths hatten alles getan, sie zu fördern, und Georg tat nichts, sie zu hintertreiben. »'s ging nimmer,« versicherte er, wenn gute Freunde ihm zuredeten, er solle doch nicht so dumm sein und von einem Weibe gehen, die »Sach g'nug« habe; »'s geht nicht, ich werd' nimmer anders und sie vollends gar nicht; 's ist besser, wir sind voneinander.«[372]

Als sie vom letzten Gange vom Sitz des Gerichtshofes, wo die Scheidung vollzogen worden war, zusammen heimkehrten, sagte Lisbeth spitzig: »So, jetzt kannst nehmen, wen du willst.« – »Erst nicht,« sagte Georg, »ich bin der schuldig Teil, ich darf nicht heiraten ohne deine Erlaubnis.« – »Ich heb' dich nicht,« schnauzte sie mit glutrotem Gesicht. – »Du darfst heiraten, wenn d' willst,« sagte Georg, »aber,« indem er sich mit geballten Fäusten vor sie hinstellte, »guck, tot schlag' ich dich, maustot, wenn d' einen andern nimmst.« Schweigend zogen sie miteinander nach Haus, bis sie sich trennten vor Lisbeths Türe.
[373]

Georg hatte nichts von seinem Weibe anzusprechen, er hatte nicht viel beigebracht und noch weniger etwas errungen. Er hatte immer besonders gut mit Pferden umgehen können und verdingte sich nun als Kutscher zu einer Herrschaft in der Stadt. Ehe er ging, nahm Lisbeth, die karge Lisbeth, drei Wochen die Nähterin ins Haus und ließ ihn mit Weißzeug neu ausstaffieren. In der Nacht nahm er noch Abschied von ihr, und sein letztes Wort war wieder: »Totschlag' ich dich, wenn d' einen andern nimmst.«

Georg war fort, und bald erfuhr man, er sei mit seinem Herrn nach Frankfurt. Lisbeth, die einigemal heimlich vor seiner Abreise in der Stadt gewesen war, hatte das zum voraus schon gewußt; sie hatte auch erfahren, daß der Herr außer seinem Kutscher noch einen jungen Burschen zur Bedienung mitnehme. Durch allerlei Schleichwege, befreundete Mägde und dergleichen wußte sie dessen Bekanntschaft zu machen, und sie versprach ihm jährlich ein reiches Geschenk, wenn er ihr immer von Zeit zu Zeit Nachricht über den Georg gebe, über alles, was er tue, und besonders wenn er weibliche Bekanntschaften mache; nur die bestimmte Versicherung, daß er ihrem Wunsch entsprechen werde, konnte sie etwas beruhigen.

Dem Georg fiel das Heiraten nicht ein, obwohl ihn Lisbeth mit rastloser Angst bewachte oder bewachen ließ. So oft er in die Gegend kam, kehrte er bei ihr ein und brachte alle Zeit, die er von seinem Dienst abwesend sein konnte, bei ihr zu. Gewöhnlich sprang ihm der Sultan voran, und wenn Lisbeth den bellen hörte, kehrte sie vom dringendsten Feldgeschäft um und ging nach Hause. Die Nachbarn behaupteten, ihr Kamin rauche nur dann recht, wenn der Georg da sei; sonst steige das ganze Jahr nur so ein dünnes Schwänzle in die Höhe.

Georg hatte sehr einträgliche Dienste, und das Dorf erstaunte über die reichen Geschenke, die feinen Tuchkleider, warmen Halstücher und seidenen Schürzen, die er der Lisbeth brachte oder schickte. Sie machte ihm darüber Vorwürfe: »So[374] kommst du zu nichts und bleibst der alte Lump.« – »Wenn ich nichts mehr hab', so verhältst du mich,« sagte er lachend. – »So meinst?« – und doch zog sie mit besonderem Stolz die Sachen an und hatte nicht Ruhe, bis man sie darüber berufen und den Staat bewundert hatte.

So ging das lange Jahre fort; Georg hatte keinen Grund zur Eifersucht, Lisbeth bekümmerte sich um keinen Mann, die ihrige aber blieb rastlos wach. Der Fall kam freilich auch vor, daß Georg dienstlos war, und Ersparnisse konnte er jetzt noch so wenig machen wie vorzeiten. Dann nahm er seine Zuflucht zu Lisbeth, als ob sich das von selbst verstände, und sie wohnten zusammen wie in den alten Tagen, bis Georg wieder eine Stelle fand.

Einmal, nach einer längeren Abwesenheit Georgs, in tiefer Nacht hörte Lisbeth vor ihrer Tür das klägliche Winseln eines Hundes; sie sprang aus dem Bette und öffnete: es war der Sultan. Sie dachte an Geschichten, wo Hunde Hilfe zu Toten oder Verwundeten geholt, und zündete die Laterne an, um zu sehen, ob der Hund nicht auf eine Fährte leitete; aber er blieb da und hatte, wie's schien, keinen Willen, als ins Haus zu kommen; er legte sich oben ruhig vor Lisbeths Bett nieder, während er sonst in lustigem Aufhüpfen und wildem Hin- und Herspringen die Ankunft seines Herrn verkündet hatte.

»Mein Mann ist gestorben,« sagte Lisbeth am andern Morgen zum Bruder. – »Ach, was bild'st dir ein!« sagte der. – »Und ich weiß gewiß, daß er tot ist,« versicherte sie und rüstete ihre Trauerkleider.

Nach vierzehn Tagen erst kam der Totenschein des Kutschers, der im Ausland gestorben war. Das wenige, was er hinterlassen,[375] hatte er seinem Weibe vermacht. Lisbeth hat von der Zeit an nie mehr helle und farbige Kleider getragen. Sie war noch wohlerhalten und hatte ihr Besitztum durch Fleiß und Sparsamkeit wieder sehr gehoben, so daß es ihr jetzt noch nicht an Freiern gefehlt hätte. Aber sie sahen bald, daß da nichts zu hoffen war. Sie verkaufte ihre Güter und zog sich in die Hinterstube ihres Hauses zurück. Sie ist sehr alt geworden. Der Sultan blieb bis zu seinem Ende ihr einziger Gefährte, nachher war sie ganz allein.

Fußnoten

1 zornig.


Quelle:
Ottilie Wildermuth: Ausgewählte Werke. Band 1, Stuttgart, Berlin und Leipzig 1924.
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