Der Fuirlesreiter

[262] An einem Märztage war's, daß Enzio während der Schulpause zu mir sagte: »Willscht mitkomme? I han widder ebbes mit dem Gassemaier. Heut nachmittag wolle mr zur dicken Eich – dees ischt e kolossal alter Baum – zweitausend Jahr alt, sagt mr, seinsgleichen hab er net in Deutschland. Dr Sturm hat ihn omgschmisse. Kommscht mit?« Mich begeisterte die Aussicht, und ich sagte zu, falls meine Eltern nichts einzuwenden hätten.

Zur verabredeten Zeit traf ich an der Neckarmühle Enzio und Gassenmaier. Dieser trug Sonntagsanzug, Veilchenstrauß im Knopfloch, eine krumme Feder am Hütchen – roch nach Schnaps und trällerte. Den Ausgehtag hab der Meischter ihm bewillikt, weil seine Muetter gsagt hab, die Ahne in Nehren werd heut Siebenzik.

Neber die Neckarbrücke waren wir gegangen, vor uns öffnete sich das Steinlachtal. In Hufeisenform lagen die Vorberge, deren knospende Buchenwaldung lila schimmerte. Hinten blauten Kuppen und Schanzen der Alb. Wir gingen einen Pfad längs des breiten Kiesbettes, darin der Fluß schäumte. Die Halde des Galgenbergs war vom ersten Grün überhaucht. »Warum heißt er Galgenberg?« fragte ich, und Enzio antwortete: »Ha, weil da der Galge von Tübinge gestande ischt. Der letzte, den mr ghenkt hat, ischt dr Küferkarle gwä.« – »Ah!« sagte Gassenmaier[263] begierig – »von dem tu mir verzähle! Was war mit dem Küferkarle?« – »Halt e Gauner ischt 'r gwä, Spitzbub ond Brandstifter. Wie 'r auf dr Galgeleiter gschtande ischt, zwischen Himmel ond Erd, hat 'r zom Volk spreche wölle; ond hat, wie mr ihm dees erlaubt hat, zunäkscht glacht, zom Zeiche, daß er sich net fürchte tät, net vor Tod ond Teufel. I sterb in meim Beruf, hat er gsagt –, ond der 'scht net so übel, wie ihr meine tut, ihr Ssimpel! In eurem finschtere Oberstüble möcht i zu gueter Letzt e Laternle ahnzünde, gelt? Dees sei mei Vermächtnis. Also! Geb mir euner e Scheibe Brot mit Butter! – Guet, e Bäuerin ischt da gwä, die hat, was er begehrt, im Körble ghätt. Jetzt wie dr Küferkarle 's Brot dick mit Butter beklebt in der Hand hält, spricht 'r weiter: Fresse, dees ischt kei Kunscht – aber richtik fresse, ihr dumms Volk, dees verstandet ihr net. Wenn ihr Butterbrot fresset, stecket ihr's net richtik ins Maul. Himmelwärts lasset ihr die Butter schaun – aber gfehlt ischt dees! O m drehe müßt ihr die Brotscheibe, so daß die Butter zur Erd schaut! Auf die Art kommt die Butter grad auf eure Zung – ond dees ischt die Hauptsach im Leben, daß mr von seiner leckern Seit alleweil 's recht G'schmäckle hat – tut ihr dees begreife? – Ha freili! hänt die Leut gschrie ond hänt sich ausgschüttet vor Lachen, wie dr Delinquent 's Butterbrot auffällik auf seine Art verspeist hat, die Butter nach unte! Drauf hat ihm dr Henker die Schling um den Hals tan – ond zappelnd hat dr Küferkarle zwischen Himmel ond Erd geschwebt.«

»Bravo, bravo!« rief Gassenmaier entzückt. »Der Teufelskerle hat die rechte Philosophie!« – »Aber sie hat ihn an den Galgen gebracht,« wandte ich ein. Doch Gassenmaier meinte, sterben müsse halt jeder, auf irgendeine Art – ond wer so unerschrocken sterb wie dr Küferkarl, dem sei's Sterben kaum anders, als ob mr sich zum Schnarchen aufs Ohr leg. – Enzio gab seinen[264] Senf dazu: Wann dooch jeder von seim Glaasbergle abrutsche müss, sei net viel Unterschied, auf welche Art er sich's Genick brech, so oder so!

»Sag mr au,« meinte Gassenmaier, »warum hat sich dr Küferkarle aufs Brandstifte verlegt?« – »Warom? denk wohl, 's Fuirlesmache hat ihm wie Butter gschmeckt – ond manchem, so heißt's, hockt der Fuirlesreiter auf.« – »Fuirlesreiter?« stutzte ich, indem ich an die Ballade von Mörike dachte. Ich glaubte, etwas über die Sage erfahren zu können, doch Enzio wußte bloß, der Feuerreiter sei ein Kobold mit roter Kappe – hinterrücks überfall' er einen, der Neigung zum Brandstiften spür', und reit ihn wie ein Pferd zur Stell', wo er den Brand stiften soll. Die Ballade vom Feuerreiter kannte weder Enzio noch Gassenmaier. Ich berichtete ihren Inhalt und fuhr fort: »Weißt du, Enzio, wie Mörike auf diese Idee geraten ist? Herr Hainlin hat's von einem Repetenten, der mit Mörike zusammen Stiftler war. Wie Mörike einmal in der Platanenallee spazierenging, fiel ihm etwas Wunderliches in die Augen: Am offenen Fenster des Stadtmauerturms stand der geisteskranke Hölderlin, die rote Jakobinermütze auf, die er von Bordeaux mitgebracht hatte. Sie wippte auf und nieder – wahrscheinlich hat Hölderlin, wie er sich aus dem Fenster lehnte, mit dem einen Bein gezappelt – es sah aus, als ob ein Kobold mit roter Kappe wie ein Reiter auf und nieder wippt.«

»Dr Hölderlin?« meinte Gassenmaier – »ischt der net e Narr gwä?« – »Ein Dichter! Ein ganz bedeutender,« entgegnete ich – »wenn auch lange Jahre geisteskrank.« – Gassenmaier grinste: »Komisch ischt dees: Also net wahr? dr Narr mit seiner raute Kapp, wenn 'r damals net grad am Fenschter gstande wär ond mit dem Bein zappelt hätt, na wär der andre Dichter, der Mörike, net drauf verfalle, sei[265] Gedichtle zu mache vom Fuirlesreiter, gelt?« – »Allerdings! So spielt manchmal der Zufall.« – »Jai jai jai!« nickte Gassenmaier lächelnd – »dr Zufall! Fatal kann 'r sei – ond 's Große Los kann 'r bringe! Daß mr da jetzt vom Fuirlesreiter schwätze, ischt au bloß Zufall, gelt? Ond wer weiß, waas dieser Zufall mir bringe kann – zeh-, zwanziktausend Mark – jai jai jai! Vielleicht werd i Millionähr – 's könnt mir au gschehe wie em Küferkarle – bloß daß dr Brandstifter heuer net aufs Galgebergle, sondern ins Zuchthaus spaziere tut. So oder so! Jedenfalls stimmt, waas dr Küferkarle gsagt hat: daß mr 's Butterbrot soll richtik ins Maul stecke.«

Als wir durch das Dorf Dußlingen kamen, stahl sich Gassenmaier in eine Scheune, dann in eine zweite und dritte! Er wußte, wohin die Hennen ihre Eier legen, und mauste deren ein Stücker zehn.

Unweit des Dorfes Nehren fanden wir die Rieseneiche, die der Sturm umgebrochen hatte, weil vor Alter der Stamm hohl war. Die Eiche war nicht hoch, aber so dick, daß man – wie sie lag – an die sieben Schritt hineingehen konnte, ohne sich zu bücken. Gassenmaier hatte wieder sein höhnisches Grinsen: »Einer Göttin sei die Eich heilik gwä, sagt dr Schulmeischter von Nehren. Mit fufzeh Kinder von seiner Schul hat 'r vorigen Sommer, als die Eich noch aufrecht gschtande ischt, im Innern Platz gehätt – ond hat singe lasse: Wer hat dich, du schöner Wald, aufgebaut so hoch da droben? Jetzt aber – do leit sie, aus ischt die Herrlichkeit! Ond wenn mr jetzt täten den Hölderlin tanze lasse ...« Unter listigem Augenzwinkern raunte Gassenmaier diese letzten Worte. Stutzig sah ihn Enzio an – und Gassenmaier erklärte, die Geschicht vom Fuirlesreiter hab ihm Lust gemacht, in der Eich da e Fuirle zu mache – vielleicht sei der Stamm trocken genug, um in Asche aufzugehen.[266]

Zum Andenken an den gewaltigsten Baum Deutschlands schnitt ich mir ein dürres Zweiglein ab – draus wollt ich einen Federhalter machen. Wir gingen nun ins Dörflein Nehren und kehrten im Wirtshaus ein. Da ließ sich Gassenmaier von den gemausten Eiern einen Pfannkuchen backen. Der Birnenmost, an dem wir Knaben uns labten, war dem Gesellen zu fad; Schwarzwälder Kirsch trank er, bis er lallte. War dann plötzlich verschwunden und blieb es für eine Stunde. Als wir ohne ihn den Heimweg antraten, fand er sich wieder ein und schmunzelte, bei seinem Schatz sei er gwä. Dies Mariale sei halt verschossen in ihn – er hab sie bloß zum Karessieren, net zum Heiraten – Geld hab sie halt keins ond sei saumäßik dumm. Ja, wär sie wie Enzios Schweschter, na möcht er zugreife.

Es dunkelte bereits, flott marschierten wir, im Takt unserer Schritte wurden Lieder gesungen. Gassenmaier brachte Zoten vor und renommierte mit unsauberen Liebesabenteuern. Ich dachte an mein Gespräch mit Wendelin – wie ich damals so unbesonnen gewesen, alles Natürliche zu beschönigen, während ich vor Gassenmaiers Natürlichkeiten Ekel empfand ...


*


Gestalten wie Mosel, Pia und Berta erhielten mir damals den Glauben an heilige Weiblichkeit. Auch Rickele gehörte dazu, meine rehäugige Konfirmandin, die ich auf der Eisbahn wiedersah. Ein süßes Weh, dem Heimweh ähnlich, durchschauerte mich, wenn ich nur an sie dachte. Hingezogen fühlte ich mich, obwohl ich nicht im mindesten wußte, was ich von ihr wollte; ratlos wär ich gewesen, hätte ich sie sprechen dürfen. Ich glaube, unschuldige Verliebtheit meint etwas, das über irdisches Leben hinausgeht, daher dem unreifen Geiste unfaßbar ist. – Wie mir damals, als meine Stimme männlich wurde, Ahnungen aufgingen vom himmlischen Wesen der Liebe, regte sich der Trieb, etwas[267] davon festzuhalten in bunten Bildern und süßen Klängen; erste Lyrik entstand.

In einer Märznacht, als lauer Wind durch die kahlen Platanenwipfel brauste und dazu der Neckar rauschte, war auch im jungen Herzen ein Frühlingswogen. Ich lag im Bett, glaubte Flötenschluchzen zu hören und formte Verse:


Es harft die hauchende Lenznacht

Im knospenden Weidenbaum –

Vorüber wallen die Wasser

Und raunen

In meinen Traum.


Von fern ein Flötenseufzer

Zittert das Tal entlang –

Da beichtet wer im Dunkeln

Süßtraurigen Seelensang ...


Als ich weiterdichten wollte, unterbrach mich ein Schrei, der vom Neckar her gellte. Eine weibliche Stimme. Mein Kammerfenster war halb offen, und wie jetzt der Märzwind für ein Weilchen schwieg, hörte ich einen Ruf voll Angst und Flehen: »Lui! Luile!« Es stockte mir der Atem. Louis hieß Gassenmaier – was war mit dem draußen am finstern Wasser? Ich lauschte und grübelte – alles blieb still – aber dann hob das Frühlingswogen wieder an, und des weiteren versank ich in bangsüße Träumerei. Rickele gaukelte mir vor – dann Pia, wie sie mit Uli getanzt hatte, als ob zwei Falter kosend umeinander gaukeln. Fortwährend glaubte ich, Hainlins Flötenspiel zu hören. Mein Gedicht wollte ich zu Rande bringen, schlief aber darüber ein – so fest ...

Morgens aufgestanden, hörte ich die Schreckensmär, es sei ein Mädchen im Neckar ertrunken – Gassenmaiers Braut. Sie[268] habe sich mit einer Sorge getragen und sei von Nehren, wo sie wohne, abends nach Tübingen gekommen, um ihr bekümmertes Herz dem Bräutigam zu eröffnen. Von der Platanenallee aus habe sie Licht gesehn in seinem Stüble, hinterm Hölderlin-Turm, in der Brauerei von Betz. Sie habe »Louis« gerufen, sei gehört und in der Arche von ihm geholt worden. Gegen Morgen habe er sie zurückbefördert, wieder in der Arche. Fast schon sei sie am andern Ufer gewesen, da habe die Braut, infolge einer Ungeschicklichkeit beim Aufstehen, das Gleichgewicht verloren und das Fahrzeug zum Umschlagen gebracht. Im hochgeschwollenen Wasser sei sie rasch ertrunken, obwohl Gassenmaier versucht habe, sie zu retten. Der Leichnam sei geborgen. Gassenmaier, zur Vernehmung auf der Polizei, habe sich anfangs schweigsam und verstockt benommen, dann frech. Der Tod des Mädchens rühre ihn kaum, und er habe gesagt, eigentlich sei's gar net seine Braut.

»Und mit solch einem gemeinen Kerl hast du Umgang gehabt?« sagte meine Mutter – »schämst du dich nicht?«

Meine Bestürzung wurde noch peinlicher, als ich nach der Schule von Wilhelm Hebsacker erfuhr, es liege Verdacht vor, daß Gassenmaier die Arche mit Fleiß umgeworfen habe, um seine Braut, weil sie in anderen Umständen, loszuwerden. Nachbar Spengler habe diese Ansicht auf der Polizei vertreten. Vom Hölderlin-Turm aus, wo er wohne, habe er Verdächtiges beobachtet: Gassenmaier habe, mit dem weinenden Mädel zur Arche gehend, leise mit ihr geschimpft – bald darauf sei ein Schrei erfolgt, das Mädel sei's gewesen, und erst zehn Minuten später habe Gassenmaier: »Hilfe!« gebrüllt, am Ufer drüben habe man ihn gefunden, mit nassen Kleidern. Nach seiner ersten Aussage hab' er, wie's Mädel ins Wasser gefallen sei, sofort um Hilfe geschrien. Später, auf dem Polizeibüro, als der Nachbar Spengler bei seiner Behauptung blieb, der Hilferuf sei erst zehn[269] Minuten später erfolgt, hab' er gesagt: so lange mög's gedauert haben, bis er selber ans Land gelangt und von der Erschöpfung zu sich gekommen sei. Da sich gegen diese Darstellung nichts Wesentliches einwenden ließ, wurde keine Anklage gegen Gassenmaier erhoben.


*


Um diese Gassenmaier-Geschichte zum Abschluß zu bringen, muß ich ein Jahr überspringen. Meine Tübinger Zeit war zu Ende, die Eltern waren mit mir nach Aachen übergesiedelt, wo mein Bruder die Technische Hochschule besuchen sollte. Ein Brief Jahns unterrichtete mich nun über folgende Begebenheiten:

Gassenmaier war nicht mehr Müllergesell, sondern Diener des Korps »Rhenania«, das in der Betzei kneipte. In diesem Hause mit seiner Mutter wohnhaft, hatte Gassenmaier zunächst als Aushilfe bei den Kneipereien bedient und durch Unterwürfigkeit die Gunst der Studenten gewonnen. Bald darauf trug er, fest angestellt, die bunte Dienermütze, führte vormit tags die Korpshunde spazieren und war ein Faktotum, das den Vergnügungstaumel der wohlhabenden Burschen mitmachte. Plötzlich aber verlor er seine Stelle, weil er verdächtig war, einen betrunkenen Studenten bestohlen zu haben. Indessen beschäftigte ihn der Brauer Betz, dem er das Projekt eingeredet hatte, das Hölderlin-Haus vom Nachbar Spengler zu kaufen und umgebaut mit der Betzei zu vereinigen. Neben dem Turm sollte eine Veranda für die Studenten sein – das werde, wie Gassenmaier in Aussicht stellte, der Brauerei zum Aufschwung verhelfen. Recht ärgerlich war's nun für Gassenmaier wie für den Brauer Betz, daß Spengler sich weigerte, zu verkaufen.

Da brach eines Nachts Feuer im Hölderlin-Turm aus – der Dachstuhl brannte ab – ein Student, der oben wohnte, entging den Flammen, indem er am Blitzableiter abwärts rutschte,[270] daß ihm die Hände bluteten. Auf diese Feuersbrunst folgten andere im Ammertal und wieder andere hier und dort – eine Epidemie von Brandstiftung schien zu grassieren, und die Stadt war derart besorgt vor neuen Einäscherungen, daß freiwillige Wachtposten, Studenten wie Bürger, nachts durch die Gassen patrouillierten. Plötzlich hieß es, man habe den Brandstifter – Gassenmaier sei es. Schon beim Brande des Hölderlin-Turms war er verdächtig gewesen, und Frau Spengler hatte, während die Lohe zum Himmel sprühte, vor den Nachbarn ge rufen: »'s Louile hat's tan – mei Häusle will er für den Betz!« Das Gerede über Gassenmaier wollte nicht zur Ruhe kommen, und nun war er verhaftet. Es kam aber nichts weiter heraus, als daß Gassenmaier drohend zu Spengler gesagt hatte: »Wart no! Dir werd i den Hölderlin tanze lasse!« Verdächtig waren diese Worte, insofern sie irgendein Vorhaben in bezug auf den Hölderlin-Turm andeuteten.

»Den Hölderlin wollten Sie tanzen lassen? Wie stellen Sie sich das vor?« fragte der untersuchende Beamte. Und Gassenmaier redete sich heraus: Er hab gemeint, früher oder später werd's Hölderlin-Haus halt in e Kneip umgewandelt werden, wo Studenten ihre Luschtbarkeit hänt. Obwohl diese Deutung etwas Gewundenes hatte, war sie nicht zu widerlegen.

Daß die Redensart vom tanzenden Hölderlin den rotbemützten Kobold der Brandstiftung meine, konnte niemand wissen als Enzio und ich, die wir mit Gassenmaier über den Anlaß zur Feuerreiter-Ballade geredet hatten. Meine Mutter, der ich alles gestand, erwiderte darauf: »Hiernach möcht' ich schwören: Gassenmaier hat das Feuer angelegt. Schon seine ertrunkene Braut läßt darauf schließen, daß er eine Verbrechernatur ist. Den Hölderlin-Turm hat er beseitigen wollen, aus Rache an Spengler, auch weil er sich Vorteil versprach von der[271] vergrößerten Kneipe. Mit dieser Brandstiftung ist ihm der Appetit auf dergleichen gekommen. Daß er schuld an all den Bränden ist, geht auch aus Jahns Brief hervor – da heißt es: Seit Gassenmaier in Amerika ist, hat die Brandseuche aufgehört. Also! Da siehst du, wie recht ich hatte, vor dem Kerl zu warnen. Hinfort sei vorsichtig in der Wahl deines Umgangs! Und an Jahn schreibe lieber nichts! Du wirst sonst in die Sache verwickelt.« – Immerhin – wandte ich ein – sei's von Wert, den Schuldigen herauszubringen. Doch in den Hintergrund meiner Interessen geriet diese Angelegenheit, so daß ich nichts darin tat.


*


Was mich damals – wie gesagt, in Aachen, nicht in Tübingen – in Anspruch nahm, war die schwere Erkrankung meines Vaters und eine Nervosität meines Herzens, die es mir zur Pflicht machte, Aufregung zu meiden. An Tübingen zu denken, tat dem Entfernten weh, als werde von einer Wunde das Pflaster abgerissen. Ueber diese Wunde, den überaus traurigen Abschluß meiner Tübinger Schulzeit, habe ich nunmehr zu berichten.

Quelle:
Bruno Wille: Glasberg. Berlin [o. J.], S. 262-272.
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