12. Ode

[55] Als die gelehrte Laura Maria Catharina Bassi

in Bologna den Doctorhuth erhielt.


So still ihr Dichter unsrer Zeit!

Seyd ihr auf einmal stumm geworden?

Klingt denn gar keine Flöte heut

In eurem ganzem Musenorden?

Und ihr besonders, die ihr hier

In unsrer Linden Lustrevier

Die helle Leyer laßt erschallen,

Ist euch zum Dichten Sinn und Muth,

Lust, Neigung, Lieb und alle Gluth

Auf einmal gleich so schnell entfallen?


Macht etwan euch des Titans Brand,

Der seiner Stralen Macht entdecket,

So laß, daß ihr euch an den Strand

Der trägen Pleisse schläfrig strecket?

Ihr seyd ja sonsten munter gnug,

Und fühlt den heissen Trieb und Zug,

Die Thöne hell und rein zu zwingen;

So bald Minerva nur ein Fest

Durch ihre Freunde feyren läßt,

Hört man euch ja gar männlich singen.
[56]

O matte Geister! wißt ihr nicht,

Was man, so weit der Ruf nur gehet,

Von jenem Wunderbilde spricht,

Das Welschlands alten Ruhm erhöhet?

Ein jeder Sitz, der Musen nährt,

Bewundert dessen hohen Werth,

Und wünscht sich selbiges zu kennen:

Wo man in der Gelehrten Reich

Sich nur bespricht, hört man so gleich

Der Weisen Bassi Namen nennen.


Dies wißt ihr längst, so gut als wir;

Und dennoch stocken eure Flöten,

Ihr werdet, hoff ich doch, vor ihr,

Und ihren Lorbern nicht erröthen;

Zwingt ja das Rohr, damit die Welt

Nicht auf den Argwohn einst verfällt,

Ob hättet ihr das was geschehen,

Von Neid und Misgunst angeflammt,

Geschickte Dichter insgesammt,

Mit schelen Augen angesehen.


Denkt nicht, als müste Pallas nur

Vor Männer Ehrenkleider weben.

Meynt ihr, euch hätte die Natur

Das Recht darzu allein gegeben?

Ach weit gefehlt. Wisst ihr denn nicht,

Was Seneca von Weibern spricht?

Der kann euch euren Stolz benehmen.

Befragt nur diesen weisen Greis,

Ob nicht ein Frauenzimmer weis

Die Männer vielmals zu beschämen?
[57]

Ja wohl, sie haben nichts voraus:

Was fänden wir denn zu beneiden?

Der Körper nur, das Seelenhaus,

Kann uns von ihnen unterscheiden;

Sagt, wie viel Sinne habet ihr?

Zählt sie nur selbst: Nicht mehr, als wir.

Wohnt Witz in einer Männer Stirne,

So hat auch dieser Satz sein Recht:

Es steckt dem weiblichen Geschlecht

Kein Spinngeweb in dem Gehirne.


Geehrtes Mitglied unsrer Schaar,

Du beste Zierde unsrer Reihen;

Dergleichen Lorbern sind zwar rar,

Man sieht sie nicht so häufig streuen;

Doch hat vorlängst das Alterthum

Zu unserm allgemeinen Ruhm

Schon deren Bilder abgerissen,

Die sich in der Gelehrten Tracht

Zugleich auch weltberühmt gemacht,

Und die wir noch verehren müssen.


Ich glaub, es hat bey diesem Fest

Da man den Lehrstuhl Dir gesetzet

Sich der Cassandra Aschenrest

Geregt, und sich zugleich ergetzet.

Ja, ja, der Gotzadinen Geist

Ist diesem Wunder nachgereist,

Sein Ebenbild allda zu finden.

Und Losa Schatten war nicht weit,

Als Pallas Deiner Trefflichkeit

Ließ die verdienten Kränze winden.
[58]

Des Kleeblat stand o Heldinn, Dir

Unfehlbar immer für den Augen;

Dies konnte deiner Ehrbegier

Gewiß zum schönsten Muster taugen.

O schöner Neid, der Dich entflammt,

Und wirklich von der Tugend stammt!

Du trittst nunmehr in jener Orden,

Und bist den Wundern jener Welt,

Den man dich an die Seite stellt,

An Witz und Würde gleich geworden.


So hoch sich der Olympus zieht,

Der fast die Wolken kann erreichen

So muß er doch, wie man itzt sieht,

Bologna, deinem Pindus weichen.

Der raubet nun durch Famens Schall,

Den Preis und Vorzug überall

Den Musenhügeln unsrer Erden.

Durch Laurens Weisheit, Kunst und Fleiß

Wird künftig deiner Mauren Kreis

Das Haupt der hohen Schulen werden.


Auf! welsche Musen, säumet nicht,

Ein Opferlied ihr anzustimmen;

Hört ihr nicht, was Apollo spricht?

Laßt euer Rauchfaß helle glimmen.

Verehrt dies Wunder unsrer Zeit

Durch eurer Seiten Lieblichkeit;

Brecht Aest und Zweige von den Höhen,

Den Weg zum Hörsaal zu bestreun;

Es wird einst euer Lorberhayn

Dadurch in schönerm Wachsthum stehen.
[59]

Schmückt ihren Lehrstuhl tief gebückt,

Und setzet euch zu ihren Füssen,

Der Weisheit Nectar höchst beglückt

Von ihren Lippen zu geniessen.

Wer Ohren hat, der öffne sie;

Und habt ihr einst durch Fleiß und Müh

Minervens Heiligthum erstiegen;

So sprecht: Der Bassi kluger Kiel,

Der uns und aller Welt gefiel,

Gab uns die Kraft dahin zu fliegen.

Quelle:
Christiane Mariane von Ziegler: Vermischte Schriften in gebundener und ungebundener Rede, Göttingen 1739, S. 55-60.
Lizenz:
Kategorien:

Buchempfehlung

Pascal, Blaise

Gedanken über die Religion

Gedanken über die Religion

Als Blaise Pascal stirbt hinterlässt er rund 1000 ungeordnete Zettel, die er in den letzten Jahren vor seinem frühen Tode als Skizze für ein großes Werk zur Verteidigung des christlichen Glaubens angelegt hatte. In akribischer Feinarbeit wurde aus den nachgelassenen Fragmenten 1670 die sogenannte Port-Royal-Ausgabe, die 1710 erstmalig ins Deutsche übersetzt wurde. Diese Ausgabe folgt der Übersetzung von Karl Adolf Blech von 1840.

246 Seiten, 9.80 Euro

Im Buch blättern
Ansehen bei Amazon

Buchempfehlung

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Geschichten aus dem Biedermeier III. Neun weitere Erzählungen

Biedermeier - das klingt in heutigen Ohren nach langweiligem Spießertum, nach geschmacklosen rosa Teetässchen in Wohnzimmern, die aussehen wie Puppenstuben und in denen es irgendwie nach »Omma« riecht. Zu Recht. Aber nicht nur. Biedermeier ist auch die Zeit einer zarten Literatur der Flucht ins Idyll, des Rückzuges ins private Glück und der Tugenden. Die Menschen im Europa nach Napoleon hatten die Nase voll von großen neuen Ideen, das aufstrebende Bürgertum forderte und entwickelte eine eigene Kunst und Kultur für sich, die unabhängig von feudaler Großmannssucht bestehen sollte. Für den dritten Band hat Michael Holzinger neun weitere Meistererzählungen aus dem Biedermeier zusammengefasst.

444 Seiten, 19.80 Euro

Ansehen bei Amazon