Daß alles der Vergänglichkeit und Veränderung unterworffen sey

[250] Was ist wohl auf dem Rund? das ächte Dauer hält,

Und nicht durch Unbestand in kurtzer Zeit verfällt?

Was offtermahls zur Welt am Morgen wird gebohren,

Das geht zur Abends-Zeit schon wiederum verlohren.

Das Glück ist wandelbahr, wie leicht ist es geschehn,

Daß sich ein Schooß-Kind muß gestürtzet wieder sehn;

So hoch es öffters den und jenen hiesse steigen,

So tief hieß ihn sein Fall wiederum auch neigen.

Ein Reicher baue nicht auf Schätze, Gut und Geld

Dieweil der Unbestand auch hier nicht Dauer hält.

Wie bald kan Crösus nicht, das Wunder unsrer Erden,

Wenn ihn das Glück verläst, zum armen Iro werden.[251]

Die Schönheit dauret nicht, sie welckt den Blumen gleich;

Was heute Purpur weißt, sieht morgen tod und bleich.

Der Wechsel und die Zeit weiß durch gar leichte Sachen,

Aus einer Helena die Hecubam zu machen.

Die Weißheit zähmet nicht des Schicksals Tyraney,

Denn auch ein Salomon ist nicht vom Tode frey,

Und die Gelehrsamkeit kan, wenn wir es bedencken,

So hoch auch selbge stieg, uns keinen Frey-Brief schencken.

Und eben dieses flammt den Socrates dort an,

Daß selbiger behertzt, und als ein weiser Mann,

Den Becher voller Gifft an Mund und Lippen drückte,

Er sahe, daß er nichts beständiges erblickte.

Quelle:
Christiane Mariane von Ziegler: Versuch In Gebundener Schreib-Art, Leipzig 1728, S. 250-252.
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