Auf den krancken Livio

[339] Was kommt doch vor ein Ruff von deinen Leben aus!

Man sagt, der Mensche kommt fast keine Nacht ins Hauß,

Bald säufft er da, bald dort, man hört ihn nächtlich schwärmen

Durch alle Gassen durch, mit ungeheuren Lärmen.

Der grimmge Degen haut auf alle Steine loß,

Und dadurch giebst du dich, elende Seele, bloß.

Du suchst ein Schlupff-Loch aus, die Geilheit auszudrücken.

Wo sich in Schleyer nur läst eine Ziege blicken,

Da trifft man dich gewiß, verliebter Ritter, an,

Wovon dein siecher Leib am besten zeugen kan.

Nun must du, Livio, davor das Bette hüten;

Hier hilfft kein kläglich thun, kein Brüllen, Fluchen, Wüten,

Mich dünckt der Vogel singt aus einen andern Thon,

Du spührst, ach allzuspäth, der geilen Böcke Lohn.

Erwege die verderbt und mehr als viehsche Sitten,

Kanst du, verliebter Geck, nun um Genesen bitten?[340]

Betrachte deinen Stand und deines Hauses Schein,

Den du so schändlich suchst mit Flecken zu bestreun.

Laß Tugend und Vernunfft dein Leit-Gestirne heissen,

Die werden dir gewiß gantz andre Wege weissen.

Man schliest dich nicht darum in Zell und Kloster ein,

Du kanst in Umgang doch mit schönen Kindern seyn,

Denn diese werden dich in keine Sünde führen,

Du wirst bey selbigen dein Ansehn nicht verliehren.

Dein abgezehrter Mund und fahles Angesicht

Weist nunmehr aller Welt, daß dir gar recht geschicht.

Man muß nicht jeden Busch, den Amor zeigt, entdecken,

Sonst kan so Roß als Mann gar leichte sich beflecken.

Quelle:
Christiane Mariane von Ziegler: Versuch In Gebundener Schreib-Art, Leipzig 1728, S. 339-341.
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