Schertz-Gedichte. Statt eines Antwort-Schreibens

[291] 1.

Mein Bruder,

Es bleibt bey dem alten

Credo, wie du mir selber schreibst,

Und unsre Gunst soll nicht erkalten,

Weil du mein lieber Bruder bleibst.

Wer hat dir wohl den Kiel geschnitten?

Du bist ein schlau und loser Dieb,

Und doch deswegen wohl gelitten.

Wer hat nicht den Orontes lieb?


2.

Du schreibst, daß sie dich schertzend heissen,

L'Amant glace, diß klingt gar schön.

Dadurch will jede dir beweisen,

Du schienest ihr wohl anzustehn;

Und soltst dich stets mit ihnen zäcken,

Denn dieses ist der Frantzen Air,

Sie wollen immerdar sich näcken,

Und diß von alten Zeiten her.
[292]

3.

Daß du zu Reimen nicht verdrossen,

Das zeigt dein mehr als artges Blat,

Bey welchen ich viel Lust genossen,

Und das viel schönes in sich hat.

Ich dachte schon, ich hieß vergessen,

Die Gunst wär anderweit verschenckt;

Jedoch ich kan nunmehr ermessen,

Daß noch Orontes an mich denckt.


4.

Drum bin ich gantz wie neu gebohren,

Ich schelte mich nun selber aus,

Und hab zur Strafe mich verschwohren,

Zu keinem eingen Caffee-Schmauß,

Als nach Verlauff von einem Jahre,

Zu gehen, schau den tollen Lauff,

Wie hart ich mit mir selbst verfahre,

Doch leg ich dir auch etwas auf.


5.

Du solst nicht so die Damen lieben,

Die Schuld an dem Versäumniß seyn.

Wie bald ist doch ein Brief geschrieben?

Stell künfftig die Visiten ein,

Damit sie dir die Zeit nicht stehlen,

Die zu dem Schreiben nöthig ist;

Denn wo dir die will vollends fehlen,

So weiß ich, daß du mich vergißt.
[293]

6.

Indeß muß ich auf dein Befragen:

Was der N--- vor ein Mann

In Umgang sey? so viel dir sagen:

Daß selbger, wie man schliessen kan,

Sich an den Hof am besten schicket,

Weil er polit und munter scheint;

Doch ist er, wie man leicht erblicket,

Kein abgesagter Weiber-Feind.


7.

In N--- hab ich ihn erblicket,

Und sprach ihn auch, doch meyne nicht,

Wie mir dein Schreiben vorgerücket,

Als würd ein Bündniß aufgericht.

Laß dir dergleichen Ding nicht träumen,

Als wär ich Willens ihm mein Hertz,

Wie man wohl dencket, einzuräumen.

O nein! Es ist ein blosser Schertz.


8.

Ich dichte nicht auf solche Räncke,

Mein fest-gesetzter Wittben-Sinn

Denckt nicht auf tolle Liebes-Schwäncke,

Wenn ich gleich manchmahl lustig bin.

Du fragst: wie hält es um die Reise?

Und meinst vielleicht, als ob ich dich

Mit Wind und leerer Hoffnung speisse;

Mein Bruder, höre nur auf mich.
[294]

9.

Mit meinem Lufft-Schiff bin ich kommen,

Biß auf dem Knopff von unsern Hauß;

Als ich das Dach schon eingenommen,

So war die Reise wieder aus;

Ich blieb auf dieser Sand-Banck sitzen,

Und sah die Wolcken kläglich an,

Ob Jupiter mich würde schützen,

Denn dieser hieß mein Steuermann.


10.

Allein, indem ich dieses dachte,

Fiel mir das Ruder aus der Hand,

Drum wußt ich selbst nicht, was ich machte,

Biß ich, bey so betrübten Stand,

Mich wiederum herunter liesse,

Da sah ich, daß mein Traum und Schlaf

Die Reise nach dem Monde hiesse,

Weil ich den rechten Weg nicht traf.


11.

Jedoch ich muß zum Schluß nun eilen,

Bleib liebes Brüdergen gesund,

Und scheiden uns gleich so viel Meilen,

So dauret doch der Freundschaffts-Bund.

Wir schreiben unter Schertz und Lachen

Und reimen mit Bescheidenheit,

Drum muß die Welt das Facit machen,

Wir liebten Lust- und Redlichkeit.

Quelle:
Christiane Mariane von Ziegler: Versuch In Gebundener Schreib-Art, Leipzig 1728, S. 291-295.
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