Als der verliebte Schäfer Amyntas seine geliebte Schäferin verlohren hatte, und ungefehr wieder fande

[182] Geist, Leben, Hertz und Muth, und alles ist verlohren,

Seit dem ich das vermist, was unentbehrlich heist

Myrtille, meine Lust, der ich die Treu geschworen,

Sag an, durch welche Fluhr dein liebster Fuß jetzt reist.

Wie schmertzt mich dein Verlust, ich darf ihn nicht erwehnen,

Ihr Schäfgen schertzt und spielt, bey meiner Noth und Pein;

Ich Armer aber muß, bey Grämen, Seuffzen, Sehnen,

Von eurer Freud und Lust ein Schmertzens-Zeuge seyn.

Ach! freylich wißt ihr nicht den Quell von meinen Leiden,

Das mehr als Centner schwer und unerträglich ist,

Wie soll mein Auge sich an dieser Gegend weiden?

Die meine Schäferin mit mir zugleich vermist.[183]

Myrtylle, deine Flucht, worauf du bist gekommen,

Macht, daß Vernunfft und Geist von mir auch leider flieht.

Du hast mein Hertz mit dir, Abtrünnige, genommen,

Das über Berg und Thal mit dir im Lauffen zieht.

Die Heerde steht verwäyßt, mein Schutz hat sie verlassen,

Ich sorge gar nicht mehr vor sie, wie sonst geschicht

Denn da dein Auge mich scheint, Flüchtige, zu hassen,

So acht ich auch nunmehr vor Schmertz der Heerde nicht.

Such ich dein Bildniß vor, so muß ich, Schönste, sagen,

Daß jeder Blick darnach mich aus mir selber setzt.

Mir ist, als wolten mich die Rosen-Lippen fragen,

Ob sich mein Augen-Paar noch mit den Deingen letzt.

Du rufst mir, denck ich zu, wie? hast du mich vergessen,

Dein lasser Fuß hat ja sich noch nicht aufgemacht.

Du hast in sichrer Ruh und Rast bisher gesessen

Und an Myrtillen wohl noch nicht einmahl gedacht.

Ach nein! dein Vorwurff ist recht sündlich zu benennen,

Ich gehe, wie du siehst, im Traume stets herum.

Die Sehnsucht heisset mich durch Fluhr und Wälder rennen,

Ich sehe mich nach dir in den Gebüschen um.[184]

Mich schreckt ein rauschend Blatt, es zittern alle Glieder,

Angst, Zweifel, Furcht und Noth, nimmt die Gedancken ein,

Voll Kummer leg ich mich in meine Hütte nieder,

Voll Sorgen findet mich auch des Orions Schein.

Ihr Sterne, saget doch, wer hat sie mir entrissen?

Ist ihr was widriges von ungefehr geschehn?

Hat sie ein wildes Thier vielleicht wohl gar zerrissen?

So last mich doch von ihr das Uberbleibsel sehn.

Indem er dieses sprach, so zeigte sich Myrtille;

Hilff Himmel! rufft er aus, ist diß der Geist von ihr?

Doch ward er wiederum im Augenblicke stille

Und stellte sich erfreut ihr holdes Wesen für,

Sie lag im grünen Klee, im allertieffsten Schlummer,

Drum setzt er sich gemach an ihre Lagerstatt:

Was machst du, sprach er, mir, mein Kind / vor Sorg und Kummer?

Den dein Amyntas doch nunmehr nicht nöthig hat.

Heißt dich ein süsser Schlaf hier deine Glieder strecken,

So will ich, gönn es mir, ein treuer Wächter seyn,

Und deine Schwahnen-Brust vor Hitz und Strahlen decken;

Ach stimme, Schäferin, in mein Verlangen ein![185]

Er küßte Hand und Mund gantz unvermerckt und sachte,

Damit die Schöne nicht, die hier so sanffte schlieff,

Und im Gebüsche lag, von dem Geräusch erwachte

Und ihm nicht wiederum aus Garn und Netze lieff.

Doch eh er sichs versah, so regten sich die Glieder,

Er sah sie gantz entzückt, sie ihn halb schamroth, an.

Ach! find ich, brach er aus, dich hier, mein Engel, wieder,

Dich, die ich auf der Welt gar nicht entbehren kan.

Du glaubst nicht, was mein Hertz bisher um dich gelitten;

Ich suchte dich mit Schmertz, und habe Tag und Nacht,

Durch meiner Thränen-Naß, das Graß, auf Tritt und Schritten,

Weit stärcker angefeucht, als es Aurora macht.

Myrtillens Hertze brach vor Mitleid und Erbarmen,

Die Gegenwehr war hin, sie merckte seine Pein;

Drum ließ sie sich von ihm in reiner Lieb umarmen,

Und schwuren beyderseits einander treu zu seyn.

Quelle:
Christiane Mariane von Ziegler: Versuch In Gebundener Schreib-Art, Leipzig 1728, S. 182-186.
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