Als der Krancke Quinto

Bey seiner unerbittlichen Schönen Abschied nahm

[35] Soltst du, mein Engel sehn, wie kranck ich mich befinde,

Und vor Melancholey die matten Hände winde;

So bliebe wahrlich nicht dein Hertz von Stahl und Stein,

Du würdest gegen mich nicht mehr tyrannisch seyn.

Die Zunge lechtzt vor Durst, sie weiß kaum mehr zu lallen,

Das Auge bricht, mein Leib ist schwach und so verfallen,

Daß noch ein schmahler Schritt nach meinen Grabmahl ist,

Worzu mir deine Hand die Steine selber list.[36]

Mein Engel, kanst du noch an mir so grausam handeln?

Läßt du mich sonder Trost nach meiner Grube wandeln?

Ists möglich, daß dich so nach meinen Blute dürst?

Bedencke, daß du nun an mir zum Mörder wirst.

Ist bis nunmehr der Danck vor meine Lieb' und Flammen,

Daß du zum Opfer-Heerd wilst selbsten mich verdammen,

Und rächend mich vertilgst, was hab ich denn gethan,

Das einen solchen Groll und Haß erregen kan?

Ich bin dir allezeit mit Ehrfurcht nachgegangen,

Die Frechheit hatte nie das Wappen ausgehangen;

Du warst mein andres ich, mein Angel-Stern und Licht,

Mein Auge suchte dich, und sonsten keine nicht.

Doch alles dieses will bey dir gar wenig taugen,

Es machet mich vielmehr in deinen schönen Augen

Zum Greuel, schönstes Kind, dein fest verstopftes Ohr

Bleibt bey den Klagen taub noch immer, wie zuvor.[37]

Dis ist was meinem Leib auf Sieche-Betten leget,

Und auf die Stirne schon des Todes Merckmahl präget.

Ist dir mit meinen Blut gedient, so nimm es hin,

Damit ich dir auch noch zuletzt gehorsam bin.

Tyrannin! nimm das Hertz, zerfleische Marck und Knochen,

Dein kalter Sinn hat mir das Leben abgesprochen;

Komm, komm und säume nicht, ich blöse schon die Brust,

Und wart auf meinen Tod mit gantz besondrer Lust.

Kan mein entseelter Leib dir Freud und Lust erwecken,

So weyde dich daran, ich will mich willig strecken,

Mein Geist empfindt vielleicht, hört gleich der Cörper nicht,

Was dein verstockter Mund zu meinen Leichnam spricht.

O! solte, Schönste, dir die Haut darbey nicht schauren;

Dich wird, wiewohl zu späth, mein armes Leben dauren.

Jedoch was hilfft es mir? mir nützt es nichts im Tod,

Gnug, mein beklemmter Geist entreißt sich aller Noth.[38]

Die Fesseln springen weg, die Band und Ketten reissen,

Der Tod erbarmet sich, so grausam du geheissen.

Die letzte Stunde schlägt, ich fühle schon den Stoß,

Mein Engel! lebe wohl! du wirst mich nunmehr loß.

Quelle:
Christiane Mariane von Ziegler: Versuch In Gebundener Schreib-Art, Leipzig 1728, S. 35-39.
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