Als Sylvia dem Krancken Lesbus

Ihr Mitleiden bezeigete

[112] Das Schicksal scheinet mich mit dir zugleich zu hassen,

Und des Verhängniß Schluß benimmt mir allen Muth.

Ich weiß bey deinen Schertz mich, Liebster, nicht zu lassen,

Weil deine Wunde mir zugleich mit wehe thut.

Was Fama mich zuvor ließ mit Erschrecken wissen,

Das ist es, was dein Brief mir selbsten zugesteht.

Ich soll, bedenck es selbst, dein Antlitz leider! missen,

Dein Fuß, der sonst so schnell gleich muntern Rehen geht,

Muß, weil man ihn verletzt, in Band und Fesseln liegen;

Ein recht verfluchter Stahl streckt seine Freyheit hin.

O! dürfft ich mich zu dir, Annehmlichster, verfügen,

Du würdest warlich sehn, wie Jammers-voll ich bin,[113]

Mein Hertze fühlt zugleich durch Sympathie das Eisen,

Daß dir und deinen Fuß so grossen Tort gethan.

Ach könt ich mir ein Glied von meinen Leibe reissen,

Ich böth es dir zum Dienst mit allen Freuden an,

Nur daß ich dich vom Schmertz befreyet könte sehen,

Denn meine Leidenschafft ist, glaub es, allzu groß,

Doch was erbieth ich mich? Diß kan wohl nicht geschehen,

Ich gäbe, thät ich es, vor aller Welt mich bloß.

Drum muß ich heimlich nur mit dir die Schmertzen theilen;

Was darf die gantze Welt hiervon ein Zeuge seyn?

Gnug, daß dir diese bang- und halb verwirrten Zeilen

Mein Beyleid ins geheim, Geliebter Lesbus, weyhn.

Hygäa wird indeß vor deine Heilung sorgen,

Ich flehe selbige hierum mit Thränen an.

Mein Vorspruch plagt sie recht von Abend biß an Morgen,

Weil ich dich länger nicht, mein Freund, entbehren kan.

Ich schliesse meinen Brief und wart auf dein Genesen,

Ich zehle Stund und Tag, wenn ich dich sprechen kan.

Du solst die Freud alsdenn aus meinen Augen lesen,

So sehr als Sylvia zuvor um dich gethan.

Quelle:
Christiane Mariane von Ziegler: Versuch In Gebundener Schreib-Art, Leipzig 1728, S. 112-114.
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