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[152] Apollo, laß dem Fluß sich dißmahl starck ergiessen,

Und führ mit eigner Hand mich zum Parnaß hinan;

Dein Zuspruch wird gewiß mir Furcht und Schmertz versüssen,

Daß ich mit bessern Muth auf Reime dencken kan.

Wer dir nicht lange Zeit zu Füssen hat gesessen,

Der trifft doch nicht den Zweck, so hefftig er auch rennt,

Denn auch das kleinste Kind kan, dünckt mich, leicht ermessen,

Daß Ihn Calliope nur einen Stümper nennt.

Ich pflege, wie du weist, in Tag hinein zu schmieren,

Wie es die Phantasie mir ins Gehirne bringt;

O lerne mir doch recht den Thon der Flöthe rühren,

Der leider! noch gar lahm in deinen Ohren klingt,

Wiewohl was will ich mich nach Phoebi Beystand reissen,

Da du, hochwerther Freund, wofern es mir vergönnt,

Am allerbesten köntst mich nach dem Pindus weisen,

Der dich von Alters her noch seine Zierde nennt.[153]

Ich würde, thätst du diß, den grösten Vortheil ziehen,

Denn dein geschicktes Thun ist aller Welt bekannt,

Was würde mir vor Glück bey deinen Musen blühen,

Reichst du, geschickter Freund, mir die gelehrte Hand.

Allein dis wird wohl nicht nach meinen Wunsch geschehen,

Dieweil ich leider dich gar sparsam sehen kan.

Dein König, welcher dich zum Beystand ausersehen,

Wend deine Hand und Kiel zu etwas wichtgern an.

O! schade, daß ich nicht, du Ausbund kluger Seelen,

Ich wünsch es tausendmahl, bey dir soll nahe seyn.

Ich würde dich gewiß zum Leit-Gestirn erwehlen,

Dein Umgang prägte mir viel kluge Lehren ein.

Wie herb und bitter mir dein Abschied eingegangen,

Verschweigt die Feder hier, denn wer dich hier erblickt,

Der trägt mit mir nach dir ein sehnliches Verlangen,

Weil deine Trefflichkeit uns Seel und Geist bestrickt.

Wie viele wünschten dir, und diß bey vielen Klagen,

Worzu dein Scheiden sie mehr als zu billig trieb,[154]

Die Zephyr möchten dich recht sanfft nach N-- tragen,

Damit dein edler Fuß befreyt von Unfall blieb.

Jedoch wir müssen uns bey solchen Schicksal fassen,

Wer weiß, ob man nicht einst auch Rosen wieder bricht.

Ich werde niemahls dich aus dem Gedächtniß lassen,

Denn deine Trefflichkeit hat mich darzu verpflicht.

Quelle:
Christiane Mariane von Ziegler: Versuch In Gebundener Schreib-Art, Leipzig 1728, S. 152-155.
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