Cantata

[73] Aria.


Armseligster! ach möchtst du sterben,

Mein Kummer warlich ist zu groß,

Das Schicksal suchet mein Verderben

Vorher saß ich dem Glück in Schooß,

Jetzt aber speist es mich mit Thränen,

Es raubt mir Ruhe, Schlaff und Lust,

Und will ich meinen Schmertz erwehnen,

Entkräfft ich vollends meine Brust.


Das Schicksal hat sich wider mich verschworen,

Mein Liebstes flieht, wohin! das weiß ich nicht.

O weh! Ich bin verlohren,

Wo find ich dich verborgnes Licht,

Ich suche dich vom Abend biß zum Morgen,

Sag an, wo hältst du dich verborgen?


[74] Aria.


Erblaster Mund, hör auf zu klagen,

Was wilst du Thäl und Wälder fragen?

Wo fliehet mein Vergnügen hin?

Ach unter diesen kalten Steine

Find ich vielleicht noch die Gebeine

Von meiner liebsten Schäfferin.


Doch nein!

Es kan nicht seyn,

Sie würde, läg sie hier verscharrt,

In ihres Damons Gegenwart,

Ihm doch das letzte Liebes-Zeichen,

Durch Regung und Empfindung reichen,

Ihr Sternen! Weiset doch bey der verwirrten Bahn,

Mir ihr verborgnes Grab bald aus Erbarmung an,

Damit ich ihr mein letztes Opfer bringen,

Und noch diß Abschieds-Lied mag auf den Steine singen:


[75] Aria.


Fliehst du von mir, geliebte Seele,

So soll nunmehr auch deine Höle,

Mein Leib-Gedinge künfftig seyn.

Das gantze weite Rund der Erden,

Will mir zu bang und enge werden,

O räume mir

Doch neben dir,

So schmal es heist, ein Plätzgen ein.

Die Helffte liegt von mir mit dir bereits begraben,

Drum hohle mich nur nach, du solst mich völlig haben.

Quelle:
Christiane Mariane von Ziegler: Versuch In Gebundener Schreib-Art, Leipzig 1728, S. 73-76.
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