52. Bey einer Visite von dem itzigen Herrn Abt zu Bergen, in Dresden

[152] 1726.


O Gott! der Liebe Wunder-Quell,

Du Mensch in Gnaden, ohne Sünde,

Und unser Fürst Immanuel,

Du Geist der Höhen und der Gründe!

Es setzt uns Deiner Wege Lauf

In ehrerbietiges Erstaunen;

Doch thun sich unsre Lippen auf,

Von Dir recht muthig zu posaunen,

Du König aller Welt,

Du zwey-gestammter Held,

Du unsers Lebens beste Freude,

Du Schrekken der Vernunft,

Und der verkehrten Zunft,

Der Deinen wahre Seelen-Weyde.


Du wilst, daß unsre Herzen Dir

Mit Lob-Gesängen und mit Liedern,

Ins Creutzes-Reiches Blut-Revier,

Und mitten unter unsren Brüdern,

Bey aufgestiegner Frölichkeit,

Die ersten Früchte zinsen sollen,

Wenn sie des Lebens kurze Zeit

Ins Ewige verwandeln wollen.

Nim unsern frohen Sinn

In diesem Liede hin,

Und gonn uns gar geringen Knechten,

Daß wir um Deine Treu,

(Denn sie wird immer neu,)

Mit Dir, und mit uns selber rechten.


Ihr Herzen, die da reine Lieb

In Christo Jesu vest verknüpfet![152]

Der aufgeregte Liebes-Trieb,

So sehr er itzt dem Herren hüpfet,

(So heftig ihn das Bruder-Band

In Jesu Liebes-Arme ziehet,

So sehr auch nach dem Vaterland

Sein sehnliches Verlangen glühet;)

So träg erweist er sich,

So wenig ritterlich,

Wenns an ein rechtes Ringen gehet,

Wenn unversehner Kampf

Und unbequemer Dampf

Ihm vor den blöden Augen stehet.


Wir wollen diesen Abend noch

Uns dieser Trägheit schämen lernen,

Und uns von Jesu sanftem Joch

Nicht einen Augenblik entfernen,

Ihr Herzen, ach! begreiffet euch,

Der Herr verdienet eure Treue:

Ein Unterthan in Seinem Reich,

Trinkt einst mit Jesu auch das Neue.

So viel nun euer sind,

Die Jesus träge findt,

Die wekke doch Sein theures Leiden.

O! Du der Seelen Mann,

Nim unsre Seelen an,

Laß sie in Deinen Schmerzen weyden.


Quelle:
Nikolaus Ludwig von Zinzendorf: Ergänzungsbände zu den Hauptschriften, Band 2, Hildesheim 1964, S. 152-153.
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