11. Vom reichen Grafensohne.

[53] Der reiche Grafensohn war schon ein stattlicher, schöner, junger Mann und seine Eltern wollten, daß er sich verheiraten sollte. Die Mutter sprach ihm morgens und abends zu, er solle sich eine schöne Braut und ihr eine Tochter holen; allein alles Reden und Mahnen war vergebens. Der gute Grafensohn hatte sich ein für allemal in den Kopf gesetzt, keine Braut, die von einer Mutter geboren worden, heimzuführen, und eine andere, wie er sie wollte, konnte er nicht finden. Er wollte sich dennoch eine solche suchen, ließ sich das Roß satteln, nahm von den traurigen Eltern Abschied und ritt in die Fremde.

Er war schon lange, sehr lange geritten und hatte noch die erwünschte Braut nicht finden können, da kam er zu einem Zwiewege, und wo sich die Wege kreuzten, da stand ein altes, altes Weiblein, krumm und klein und gebückt, und das hatte nur mehr einen Zahn im Munde und seine Augenwimpern waren gar so lang. Der reiche Grafensohn fragte das betagte Weiblein, wohin diese zwei Wege führten; da hatte er schreien müssen, denn das alte Weibchen war vor Alter fast taub, und dann erzählte er ihr auf ihre Frage auch sein Vorhaben. – Sie nickte und wackelte dann beifällig mit dem grauen Kopfe und wies mit dem Haselstöckchen auf den Weg, der rechts führte, und zugleich fing sie mit kreischender Stimme an, so daß er sie nur[54] schwer verstehen konnte: »Schmucker Knabe! geh den Weg und du wirst ein großes, großes Haus finden; in das geh, schmucker Knabe, hinein und hinter der Türe wirst du einen Kehrbesen finden. Diesen nimm und kehre die Stiege, und hast du die Stiege gekehrt, dann wirst du zu einem großen Löwen kommen, schmucker Bube! und der hält einen goldenen Schlüssel in seinem Rachen. Den Schlüssel mußt du mit Gewalt dem Löwen aus dem Rachen reißen und damit die Zimmertüre, vor der er steht, aufsperren; dann wirst du in ein prächtiges Zimmer kommen und wieder zu einem Löwen mit einem Schlüssel, der vor einer Türe steht. Und diesen Löwen mußt du, schmucker Knabe! erlegen und ihm wieder den Schlüssel nehmen und mit diesem mußt du die andere Türe aufschließen, und dann kommst du in die Küche und in der Küche wirst du drei schöne rotgelbe Pomeranzen und ein Messer mit einem Griffe aus Ebenholz finden. Nimm dann das Messer und schneide eine der drei Pomeranzen auf und es wird ein wunderschönes Fräulein, so schön wie die Sonne, herauskommen. Du mußt aber damit gleich zu dem frischen Brunnen, der vor dem Haustore unter den zwei Linden steht, eilen und deine Braut unter das Wasser halten, denn sonst wird sie gleich zusammenwelken und sterben.«

Der reiche Grafensohn nahm sich die Worte zu Herzen, ritt in den kühlen, dunkeln Wald hinein und kam immer tiefer und tiefer, bis er plötzlich vor einem großen Schlosse stand, das aus weißem Marmor erbaut war. Er trat durch das schöne Portal ein und fand hinter der Haustüre den Besen und diesen nahm er und vollzog den Auftrag der geheimnisvollen Wegweiserin. Als er dies getan hatte, kam er zum Löwen und diesem nahm er den goldenen Schlüssel aus dem Munde, sperrte die ebenholzene Saaltüre auf und durchschritt den weiten Saal, bis er zum zweiten Löwen kam, der wieder einen goldenen, noch schöneren Schlüssel im Rachen hielt. Er erlegte diesen[55] Wächter, nahm ihm den Schlüssel aus dem Rachen, öffnete damit die anstoßende Türe und kam in die Küche, wo er das Messer und drei wunderschöne Pomeranzen fand; die waren so gelb wie das reinste Gold und glänzten wie die Sonne. Er wagte es kaum, die wunderschönen Früchte anzugreifen, denn sie waren gar zu glänzend. Endlich übermannte er sich doch und griff nach der nächsten und ersten Pomeranze und nach dem blanken Messer und schnitt den goldenen Apfel entzwei, denn er hatte sich den Rat des alten Weibleins gar wohl gemerkt. Aber kaum hatte er die obere Hälfte der Schale abgelöst, als ein wunderschönes Mädchen vor ihm in der untern Hälfte der Pomeranze, die er in den Händen hielt, stand, und es war so schön als der Tag und seine Augen so blau als der heitere Himmel im Sommer. Dem reichen Grafensohne war es gar wunderlich ums Herz und er vergaß der Mahnung des alten Mütterchens ganz und gar und schaute und schaute nur die schöne Jungfrau an und dachte nicht an den Brunnen. Wie er so dastund, da welkte das schöne Bild zusammen und die Jungfrau starb vor seinen Blicken.

»Warte nur, mit der zweiten will ich es gescheiter machen«, dachte sich der reiche Grafensohn, nahm die zweite Pomeranze und das blanke Messer und stieg die weiße Marmorstiege hinab in den Hof. Als er bei dem Brunnen unter den zwei Linden angelangt war, schnitt er die goldene Frucht entzwei und, es blendete ihm fast die Augen, eine Jungfrau stand vor ihm, so schön, wie die Sonne noch nie eine beschienen hat. Er hielt das schöne Wesen unter den Strahl des Wassers und es wurde immer größer und größer, so daß seine Hände sie nicht mehr halten konnten und sie auf dem Boden stand und endlich so groß war wie der reiche Grafensohn. Da nahm er sie bei den weißen Armen und führte sie in das weiße Marmorhaus und hieß sie dort bleiben, bis er wieder mit Roß und Wagen kommen[56] würde, und dann nahm er von der schönen Jungfrau Abschied, küßte sie und wanderte weiter zu seinen Eltern, um von ihnen Roß und Wagen zu holen. Die schöne Pomeranzenjungfrau aber wohnte nun allein im Palaste und mußte sich selbst das Wasser holen und das Essen bereiten und hatte so ganz allein wohl oft Langweile.

Neben dem großen, schönen Marmorhause stund aber auch ein kleines Häuschen und in dem wohnte eine Hexe mit ihren zwei Töchtern. Diese sahen die schöne Jungfrau öfters zum Brunnen unter den Linden gehen und kamen auch zu ihr herauf und fragten und forschten um dies und das, und das Pomeranzenkind war gar unschuldig, kindlich und einfältig und erzählte ihnen alles unverhohlen, gerade wie es Kinder tun.

»Komm mit uns,« sagte einmal die ältere der beiden Hexentöchter, »die Mutter hat Kuchen gebacken und die sind gar gut.« – Das arglose Kind ließ sich bereden und ging mit den beiden Schwestern. Sie spielten allerlei Spiele, und da sollte das Mädchen einmal Königin werden und mußte sich umkleiden und die Haare flechten lassen, und wie es so da saß, da drückte ihm eine der beiden Schwestern eine Nadel in den Kopf, das war eine Zaubernadel, und das arme Kind ward in eine Taube verwandelt. – Eine der zwei häßlichen Schwestern ging nun in das große Haus hinüber und wartete, bis endlich der Bräutigam kam. Dieser kam angefahren, staunte aber nicht wenig, als er anstatt seiner schönen Braut die garstige Hexentochter fand. Allein diese wußte allerlei Ausreden und er wollte sein gegebenes Versprechen halten und meinte, ihn könnten doch nur die Augen täuschen, und nahm also die garstige Braut zu sich in den Wagen und fuhr sinnend damit fort.

Während sie auf dem Wege waren kam der alten Hexe die Taube aus und flog dem Wagen nach und schlug die weißen Flügelchen, daß[57] es schwirrte, und der reiche Grafensohn hatte Mitleid mit dem armen Tierchen und streckte die Hand aus, um es hereinzulangen. Allein seine Braut war darüber sehr böse, denn sie kannte das Tierchen. Der reiche Grafensohn hatte aber Erbarmnis und ließ sich es nicht nehmen, sondern nahm das Täubchen herein, hielt es auf seinem Schoße und streichelte es, daß es zu girren anfing. – Und wie er es so streichelte und das Täubchen ihn mit seinen schwarzen, klugen Äuglein anblickte, griff er eine Nadel auf dem Köpflein des Tierchens und er zog sie voll Mitleid heraus und das schöne Fräulein stund wiederum vor ihm in dem Wagen. Da freute sich der reiche Grafensohn erst recht und hatte sie noch einmal so lieb; die böse garstige Hexentochter warf er aber zum Wagen hinaus, daß sie beide Beine brach. Das Brautpaar fuhr nun voll Freude nach Hause und die alten Eltern freuten sich mit ihrem Sohne und es gab eine gar stattliche Hochzeit.


(Bozen.)

Quelle:
Zingerle, Ignaz Vinc. und Josef: Kinder- und Hausmärchen aus Tirol. Innsbruck: Schwick, 1911, S. 53-58.
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