8. Geschwind wie der Wind, Pack-an, Eisenfest.

[38] Es lag einmal ein alter, alter Vater, der einen Sohn hatte, auf dem Todbette. Als er dem Sterben nahe war, sprach er zu seinem Knaben, der am Bette stund und weinte, daß es ihm fast das Herz abstieß: »Jörgl, ich muß nun von dir fort in die Ewigkeit und kann dir nichts hinterlassen als die drei Hunde im Hundestalle drunten. Sie werden dir treu und redlich dienen, und wenn du brav und redlich bist, wirst du noch einmal dein Glück in der Welt machen.« – Bei den letzten Worten verließ den Alten die Stimme, er sank ganz aufs Lager zurück und die Augen waren geschlossen für immer. – Jörg wußte wohl, was das zu bedeuten habe, und weinte vom Morgen bis zum Abend bei seinem toten Vater, und so trieb er es zwei Tage lang. Am dritten Tage aber kamen zwei schwarze Totengräber, und die trugen den Vater vom weinenden Knaben weg und begruben ihn. In das Stübchen, in dem der Vater gestorben, kamen aber andere Leute und der Jörgl, der wohl recht arm war, mußte sich forttrollen. Er nahm den Stecken seines Vaters und ein Stücklein verschimmeltes Brot, das von den Lebzeiten des Vaters her noch da war, und die drei Hunde mit sich und ging in die weite Welt. Die Hunde hießen aber: Geschwind wie der Wind, Pack-an, Eisenfest; denn der erste lief wie der Wind, der zweite stürzte mit solcher Kraft auf die wildesten[39] Tiere los, daß ihm keines widerstehen konnte, und der dritte war so stark, daß er nichts, was er einmal gefaßt hatte, losließ und alles zermalmte. Jörgl war mit seinen drei Begleitern schon weit, weit gegangen und bettelte sich Brot vor den Türen oder half, wo er konnte, auf dem Felde arbeiten, Heu mähen und Korn schneiden. Wie er einmal wieder, es war gerade Sommer und die Sonne schien sehr heiß, mit seinen drei Begleitern weiterwanderte und der Schweiß in großen Tropfen ihm von der Stirn rann, sah er eine große Stadt mit hohen Türmen und großen, schönen Häusern. Er ging auf sie zu, und als er näher kam, sah er, daß alle Gebäude mit schwarzem Flor behangen waren, und die Türme waren auch mit schwarzem Zeuge überzogen, so daß man nur die goldenen Knöpfe glänzen sah. Es kam ihm dieses so sonderbar vor, und noch sonderbarer schien ihm die Stille, die er ringsum bemerkte, als er in die Stadt gekommen war. Da war alles öde und wie ausgestorben, kein Wagen rollte über das Straßenpflaster, kein Schmied hämmerte, kein Binder polterte, keine Seele regte sich.

Als er auf den Platz gekommen war, sah er ein Mädchen, das schwarz angezogen in einem irdenen Kruge Wasser vom Brunnen holte. Auf das ging er zu und fragte es, was das alles zu bedeuten habe. Das Mädchen erzählte ihm bestürzt, daß in der Nähe ein fürchterlicher Drache hause, der die ganze Gegend weitum verheere und täglich zwei Jungfrauen mit Haut und Haar auffresse. Jeden Morgen würde das Los geworfen und die Jungfrauen, die das Los treffe, würden dem unersättlichen Wurme geopfert. Heute sei das Los auf die einzige, schöne Königstochter gefallen, und deshalb sei alles in Trauer, selbst die Stadttürme. Der König sei ganz trostlos und habe dem, welcher die schöne Prinzessin befreien würde, seine Tochter und das ganze Königreich versprochen. Aber alles umsonst, denn jeder meide den[40] gewissen Tod und niemand fände Lust, um die Königstochter zu werben. Der alte König sei deshalb noch bestürzter und zerraufe sich den greisgrauen Bart. Es dauere nur noch eine Stunde, dann sei Mittag und der scheußliche Drache müsse abgefüttert werden. Wie das Mädchen ihm so erzählte, hörte er plötzlich Trompetenstöße und es kamen Herolde und ein Wagen, den sechs Schimmel zogen, und darin saß eine schöne, schöne Jungfrau mit goldenen Haaren und blauen, verweinten Augen, die so schwarz wie die Nacht gekleidet war. Der Wagen hielt mitten auf dem Platze still, ein Herold trat vor und rief: »Das ist des Königs Wille und Begehr: Wer seine schöne Tochter vom Drachen befreit, soll sein geliebter Eidam und Nachfolger werden.« Und wieder war es stille und öde. Wie aber Jörg die schöne Königstochter so weinen sah, wurde ihm das Herz so weich, daß ihm selbst die Augen übergingen und er dachte, ich will es in Gottes Namen wagen; denn wird die Königstochter vom wüsten Drachen gefressen, kann ich des Lebens doch nimmer froh werden. Er trat deshalb vor den Herold und sagte: »Wenn es so ist, wie du sagst, will ich es mit dem Drachen probieren.«

Die holde Königstochter wischte, als sie dieses hörte, ihre blauen Augen aus und sie lächelte dem Jörg so lieb und bittend zu, daß er vor Freude zitterte. Sie führte ihn nun zum alten, greisgrauen Könige, und als dieser den Jörg sah und von seinem Vorhaben hörte, umarmte er ihn weinend und gab ihm seinen Segen. Indessen war die Stunde verflossen und es schlug zwölf Uhr, und da mußte Jörg hinaus zum Drachen, denn dieser fraß auch um die zwölfte Stunde zu Mittag. Jörg pfiff seinen drei Hunden, dem Geschwind wie der Wind, dem Pack-an und dem Eisenfest, und ging eine Viertelstunde gegen Norden, bis er in die Nähe der Drachenhöhle kam. Kaum war er dort angekommen, so kroch der Drache aus der Höhle, um[41] das Essen in Empfang zu nehmen, und spie vor Hunger so viel Feuer aus, daß es dampfte wie in einer Esse. Kaum war Jörg des Ungetüms ansichtig, so rief er dem ersten Hunde zu: »Geschwind wie der Wind!« und der Geschwind wie der Wind stürzte sich schnell wie der Wind auf den Drachen los, daß dieser ganz und gar erschrak. Gleich rief Jörg dem zweiten Hunde zu: »Pack an!« und dieser packte den wüsten Drachen mit solcher Kraft, daß der Wurm ihm nicht widerstehen konnte und nicht vom Flecke kam. »Eisenfest!« rief Jörg dem dritten zu, und Eisenfest schlug seine Zähne in die harten Schuppen des Drachen ein, daß sie zersprangen wie Glas, und zerfleischte das Ungetüm, bis es tot war. Jörg schnitt dem im Blute daliegenden Wurme die lange Zunge heraus und brachte sie dem traurigen Könige. Als dieser die Zunge sah, weinte er vor Freude, fiel dem Jörg um den Hals und ließ ihn wie seinen eigenen Sohn kleiden. Dann führte er ihn zur schönen Prinzeß, die nun das schwarze Kleid abgelegt hatte, und die so schön war wie der Tag, und sagte: »Weil du mein alles mir gegeben, so gebe ich dir alles.« Er legte dann die Hände beider ineinander und segnete sie. Und wie er das getan hatte, fiel draußen die Musik ein und beide hielten sich lange an der Hand und sprachen kein Wörtchen, sondern sahen und sahen sich nur einander an, als ob sie sich in alle Ewigkeit nicht satt sehen könnten, und ihre Augen glänzten vor Freude, als ob sie beide im Himmel wären. Und abends war Hochzeit und da hatten die drei Hunde auch einen recht guten Tag und fraßen, als ob sie gewußt hätten, was für ein Fest wäre. Jörg lebte aber viele, viele Jahre mit der Königstochter recht glücklich, und als der alte König gestorben war, wurde er König und regierte, daß es eine Art hatte, und die drei Hunde wachten an seinem Throne Tag und Nacht, bis auch er dem alten Könige folgte.


(Bozen.)

Quelle:
Zingerle, Ignaz Vinc. und Josef: Kinder- und Hausmärchen aus Tirol. Innsbruck: Schwick, 1911, S. 38-42.
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