Wer bekommt das Haus?

[55] Es war einmal ein Bauer, der hatte drei Söhne mit Namen Michel, Jackel und Hansl. Hansl war anscheinend ein dummer Bursch; er war aber hie und da sehr pfiffig. Eines Tages sagte der alte Bauer zu seinen Söhnen: »Wer mir einen Widder bringt,[55] der bekommt die Erbschaft. Aber er darf nicht gekauft, sondern er muß gestohlen sein.«

Die zwei Söhne antworteten: »Oh, wir werden dir schon einen bringen, aber der Hansl darf nicht mit, sonst könnte er uns den ganzen Fang verderben.«

Der Hansl war sehr über den Schimpf erbittert und dachte: Wartet nur, wir wollen schon sehen. Hansl paßte nun auf, wo die Brüder hingehen wollten, lief voraus und sagte zum Eigentümer: »Hörst du, heute kommen Diebe, die dir einen Widder stehlen wollen. Gib mir einen Widder und einen Hammer, so werde ich ihnen das Wiederkommen schon verleiden.«

Gesagt, getan. Hansl nahm den Hammer und ging damit in den Widderstall, setzte sich vor die Öffnung, wo man das Licht hereinläßt, und wartete auf die Diebe. Um Mitternacht kamen sie wirklich. Der Michel sagte zum Jackel: »Geh du hinein, ich werde heraußen warten und dir den Widder abnehmen!«

Der Jackel kroch nun hinein; kaum hatte er aber den Kopf in das Loch gesteckt, als er einen Schlag empfing, daß ihm der Kopf brummte. »O weh«, schrie er, »Michel, Michel, zieh mich zurück, sonst stoßen mir die Widder den Kopf ein!«

Michel gab ihm einen Puff und flüsterte: »Bist ruhig, oder ich haue dich windelweich. Du bist ein nichtsnutziger Tropf! Laß mich hinein.«

Jedoch auch dem Michel ging es nicht besser, und so mußten sie unverrichteter Sache wieder forttrollen. Hansl aber kehrte mit einem Widder zurück und hatte somit das Haus geerbt.

Aber seine Brüder ließen dem Vater keine Ruhe, bis er ihnen wieder eine Probe auferlegte, nämlich die schönste Gans gestohlen nach Hause zu bringen. Die Brüder sagten wieder: »Den Hansl lassen wir nicht mit.« Jedoch Hansl wußte den Ort, wo sie die Gans stehlen wollten, lief voraus und sagte zum Eigentümer der Gänse: »Du, heute kommen Gänsediebe. Gib mir eine große Zange und eine Gans, so werde ich dir die Diebe vom Hals schaffen.«

Der Bauer gab dem Hansl das Verlangte, worauf er sich in den Stall begab. Am Abend kamen richtig die Brüder. Diesmal mußte zuerst der Michel hinein, denn Jackel sagte: »Ich habe das vorige Mal zuerst hinein müssen!«[56]

Der Michel kroch also hinein; doch kaum war er mit dem Kopf darin, als schon der Hansl seine Nase mit der Zange dermaßen kneipte, daß Michel laut um Hilfe schrie. Diesmal kroch aber der Jackel nicht mehr hinein, sondern machte sich Hals über Kopf davon. Also kamen Michel und Jackel mit leeren Händen, Hansl aber mit seiner feisten Gans heim.

Aber die Brüder ließen nicht ab, den Vater zu bitten, bis er ihnen noch eine dritte Probe auferlegte, die war: Wer am meisten Geld nach Hause bringt, würde Erbe werden.

Diesmal nahmen die Brüder den Hansl mit. Alle drei nahmen etwas mit sich. Michel nahm einen Kübel voll Wasser mit, Jackel einen Sack voller kleiner Steine, und Hansl schleppte eine schwere Eisentür. So kamen sie in den Wald, als es schon dunkel war. Sie fürchteten sich vor wilden Tieren und stiegen auf eine hohe Eiche. Hansl war zuunterst.

Um Mitternacht kamen auf einmal drei Hexen auf ihren Besen durch die Luft dahergefahren, mit großen Geldsäcken unter den Armen, und setzten sich unter die Eiche, um das Geld zu zählen. Michel, vor Angst ganz außer sich, ließ den Kübel gerade auf die Hexen niederfallen, welche glaubten, die Meisterin lasse heute regnen. Jackel glaubte nun, sie seien verraten, und warf ganze Handvoll Steine auf die Hexen; diese sagten: »Heute wirft's große Schloßen.« Plötzlich ließ Hansl die schwere Eisentür auf die Hexen fallen, die alle drei erschlug. Weil nun Hansl am niedrigsten saß, so war er mit einem Sprung auf der Erde, nahm alles Geld und lief heim zum Vater. Dieser übergab ihm das ganze Gut, und Hansl war glücklich und reich.


(mündlich aus dem Hinterpustertal)

Quelle:
Zingerle, Ignaz und Joseph: Kinder- und Hausmärchen aus Süddeutschland. (Regensburg 1854) Nachdruck München: Borowsky, 1980, S. 55-57.
Lizenz:
Kategorien: