Die Hyäne und der Mond

[267] Eine Hyäne fand einmal einen Knochen, hob ihn auf und nahm ihn in den Mund. Der Mond schien gerade mit hellem Scheine ins ruhige Wasser. Als die Hyäne den Mond im Wasser sah, ließ sie den Knochen fallen und haschte nach dem Monde, da sie ihn für fettes Fleisch hielt. Sie sank bis über die Ohren ins Wasser, bekam aber nichts. Dadurch war das Wasser getrübt. Sie kehrte daher ans Ufer zurück und verhielt sich still. Das Wasser wurde wieder klar. Da machte sie einen Satz und suchte ihn (den Mond) zu erhaschen, den sie für Fleisch hielt, sobald sie ihn im Wasser sah. Sie erfaßte aber nichts als Wasser, das ihr aus dem Munde lief.[267] Das Wasser war dadurch trübe geworden, und sie ging wieder ans Ufer.

Inzwischen kam eine andere Hyäne und nahm den Knochen. Die erste aber blieb dort, bis der Morgen kam und der Mond im Tageslicht erblich. So kam die Hyäne zu kurz. Aber am andern Tage kam sie wieder und so fort, bis der Platz, an dem sie doch nichts bekommen konnte, ganz kahl getreten war.

Daher wurde die Hyäne weidlich verspottet, wenn man sah, wie sie fortwährend ins Wasser lief, danach schnappte, und ohne Erfolg wieder herauskam, während ihr das Wasser um den Mund lief. Daher pflegt man zu jemandem, der sich lächerlich macht, zu sagen: »Du bist wie die Hyäne, die den Knochen wegwarf und nach einem Nichts haschte, weil sie den Mond im Wasser sah.«

Quelle:
Seidel, A. (Hg.): Geschichten und Lieder der Afrikaner. Berlin: Verein der Bücherfreunde, Schall & Grund, 1896, S. 267-268.
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