Warum der Löwe und der Leopard vor dem Hyänenhunde fliehen

Warum der Löwe und der Leopard vor dem Hyänenhunde fliehen.
Naosage.

[136] Ein Hyänenhund bekam vier Junge, und ein Leopard warf drei Junge. Der Hyänenhund ging hin, suchte sich eine Höhle und legte seine Jungen darein. Da kam der Leopard und sprach:

»Komm' laß uns unsere Jungen zusammenlegen!«

Der Hyänenhund weigerte sich und sprach:

»Nein; denn du wirst meine Jungen dem Menschen verraten!«

Der Leopard entgegnete:

»Keineswegs! Sondern wenn ich ein Tier greifen werde, dann werde ich es im Maule heimtragen!«

Da gab der Hyänenhund seine Zustimmung. Sie legten ihre Jungen zusammen und gingen aus, um zu jagen. Der Hyänenhund fing ein Tier, trug es in die Höhle, gab es seinen Jungen und ging wieder fort. Der Leopard erbeutete eine Antilope; er versuchte sie zu tragen, vermochte es aber nicht und zog sie daher nur bis zur Höhle. Dann ging er wieder fort.

Als nun Menschen vorbeikamen und sahen, daß ein Leopard ein Tier bis zur Höhle geschleppt hatte, sprachen sie:[137]

»Kommt, wir wollen den Spuren nachgehen!«

Das taten sie denn auch, bis sie die vier jungen Hyänen und die drei Leoparden fanden. Sie schlugen die Jungen und töteten drei Hyänen und zwei Leoparden; darnach gingen sie fort.

Der Hyänenhund kam hinein und sah, daß drei seiner Jungen getötet waren. Danach kam auch der Leopard.

»Du hast Schuld daran,« schimpfte nun der Hyänenhund, »sieh', was du angestellt hast; meine Kinder hast du den Menschen verraten.«

»Keineswegs!« verteidigte sich der Leopard, »ich habe keine Schuld; ich habe ihnen nichts verraten.«

Da wurde der Hyänenhund zornig und rief alle Tiere zum Gerichte zusammen. Es erschienen dazu der Löwe, der Elefant, das Nashorn, der Büffel und viele andere Tiere.

»Seht an,« begann der Hyänenhund, »was der Leopard getan hat! Ich suchte mir einen Platz, um meine Jungen unterzubringen; da kam der Leopard, brachte seine Jungen und sprach: Komm', wir wollen sie zusammenlegen. Ich aber weigerte mich und sprach: Lege du deine Jungen wo anders hin, damit du die meinen nicht den Menschen verrätst. Er aber bat und sagte: Ich werde sie nicht verraten, sondern ihnen Essen zutragen. Aber er schleppte ein Tier vor die Höhle, und nun haben die Menschen meine Jungen gefunden und getötet. Er ist schuldig.«

Der Leopard leugnete und sprach:

»Ich bin nicht schuldig. Die Menschen sind zufällig zu der Höhle gekommen. Sagt nun eure Meinung, ihr Weisen!«

Der Löwe fürchtete den Leoparden, deshalb sprach er:

»Er ist nicht schuldig!«[138]

Auch die übrigen fürchteten ihn und schwiegen still.

Da stand die Schildkröte auf und sprach:

»Hyänenhund, du hast die Wahrheit gesprochen. Der Leopard ist schuldig. Aber die anderen haben Furcht vor ihm; darum ist ihr Urteil nicht gerecht. Wohlan, geh' deines Weges, Hyänenhund! Aber wenn ihr zusammenkommt, du oder der Löwe und der Hyänenhund, dann wird der Löwe fliehen, und wenn der Leopard mit dem Hyänenhund zusammenkommt, so wird er fliehen und auf die Bäume klettern, sobald er seine Stimme hört.«

Darauf ging die Versammlung auseinander.

Mit jenem Tage fliehen der Löwe und der Leopard vor dem Hyänenhunde.

Quelle:
Held, T. von: Märchen und Sagen der afrikanischen Neger. Jena: K.W. Schmidts Verlagsbuchhandlung, 1904, S. 136-139.
Lizenz:
Kategorien: