Hundertundneuntes Capitel.
Die der Teufel reich macht, die täuscht er und führt sie wegen ihrer Habsucht in's Thal Gehenna.

[199] Es lebte einst ein Schmied in einer am Meere gelegenen Stadt: der war sehr geitzig und schlecht. Er hatte aber viel Geld zusammengebracht und damit einen Stamm angefüllt, welchen er vor Aller Augen an's Feuer stellte, so daß Niemand Verdacht schöpfen konnte, daß derselbe Geld enthielte. Nun begab es sich aber einmal, daß während Alle im Schlafe lagen, das Meer[199] in's Haus trat, so daß der Stamm mit dem Gelde zum Schwimmen kam. Wie nun das Meer wieder zurück trat, nahm es den Stamm mit fort, und so schwamm derselbe auf dem Meere viele Meilen weit, bis er an eine Stadt kam, in welcher ein Mann wohnte, der eine geheime Herberge hielt. Dieser Mann sah, als er in der Frühe aufstand, den Stamm und zog ihn an's Land, weil er meinte, er sey nichts weiter als ein Stück Holz, welches von irgend Jemandem hineingeworfen oder zurück gelassen worden sey. Nun war aber dieser Mann sehr freigebig und wohlthätig gegen Arme und Fremde: es begab sich daher eines Tages, daß Reisende in seinem Hause einkehrten und es gerade sehr kalt war. Der Wirth zerhieb also mit seiner Axt das Holz, und vernahm nach zwei oder drei Hieben einen Klang, und als er darauf den Stamm gespalten hatte, fand er das Geld und freute sich sehr, legte es aber in Verwahrung, ob nicht vielleicht irgend wer käme, dem es gehörte, und welchem er es zurückgeben könnte. Der Schmied aber zog von Stadt zu Stadt um sein Geld zu suchen, und kam auch zu der Stadt und der Herberge jenes Wirthes, der den Stamm gefunden hatte. Wie er nun erwähnte, daß er einen Stamm verloren habe, und sein Wirth dieses hörte, so merkte er, daß diesem das Geld gehöre. Er dachte also bei sich: ich will jetzt eine Probe machen, ob es der Wille Gottes ist, daß ich ihm has Geld zurückgebe. Der Wirth ließ also drei Pasteten von Brodteig machen, hie eine füllte er mit Erde, hie zweite mit. Todtengebeinen, die dritte aber mit dem Gelde an, welches er in dem Stamm gefunden hatte. Wie er das gemacht hatte, sprach er zu dem Schmied: wir wollen drei gute Pasteten verzehren, die aus dem besten Fleische, welches ich habe,[200] bereitet sind: Du kannst nehmen, welche Du willst, immer wirst Du genug haben. Der Schmied aber hob eine nach der andern auf, fand daß die mit Erde angefüllte Pastete schwerer war und wählte sie, und sprach hierauf zu dem Wirthe: wenn ich mehr bedarf, werde ich mir noch jene zweite auslesen, und dabei legte er seine Hand auf die mit Todtengebeinen gefüllte Pastete. Die dritte magst Du für Dich behalten. Wie das der Wirth sah, sprach er in seinem Herzen: jetzt sehe ich deutlich, daß es der Wille Gottes nicht ist, daß dieser Elende sein Geld bekommt. Alsbald rief er Arme und Kranke, Blinde und Lahme zu sich herein, öffnete in Gegenwart des Schmiedes die Pasteten und sprach: siehe, Du elender Kerl, hier ist Dein Geld, welches ich Deinen Händen überlieferte: Du aber hast lieber die Pasteten Mit Erde und Todtengebeinen gewählt, und das ist gut, weil es Gott nicht gefällt, daß Du jenes Geld wieder bekommst. Sogleich vertheilte er vor seinen Augen das ganze Geld unter die Armen, und so ging der Schmied wieder mit großer Bestürzung seiner Wege.

Quelle:
Gesta Romanorum, das älteste Mährchen- und Legendenbuch des christlichen Mittelalters. 3. Auflage, Unveränderter Neudruck Leipzig: Löffler, Alicke 1905, S. 199-201.
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