Dreiundneunzigstes Capitel.
Von der Freude und der Erbschaft einer treuen Seele.

[171] Ein mächtiger Mann schickte seine zwei Söhne auf eine hohe Schule, daß sie die Wissenschaft erlernten und[171] ausgebildet würden und nachher eine Pfründe erhalten könnten. Wie aber die Zeit vorüber war, schickte er ihnen den schriftlichen Befehl, nach ihrer Heimath zurückzukehren, und die beiden Brüder eilten auch auf diese Sendung schnell in ihre Vaterstadt zurück. Der eine Bruder aber freute sich sehr seiner Rückkehr und wurde, als er zurückgekommen war, mit Freuden empfangen und in sein Erbe eingesetzt, der andere aber war sehr bekümmert, daß er wieder nach Hause mußte, und seine Mutter, welche ihm entgegenkam und küßte, riß ihm mit ihren Zähnen den Mund ab, seine Schwester aber, welche der Mutter folgte, und ihn ebenfalls küßte, riß ihm dabei die Nase ab, ihr folgte sein Bruder, welcher ihm die Augen ausschlug, und endlich kam sein Vater, packte ihn bei den Haaren und zog ihm die Haut ab.

Quelle:
Gesta Romanorum, das älteste Mährchen- und Legendenbuch des christlichen Mittelalters. 3. Auflage, Unveränderter Neudruck Leipzig: Löffler, Alicke 1905, S. 171-172.
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