Erste Erzählung.
* (18).
Von Alexander und Diogenes.

[133] Saturnus, der Philosoph, schreibt uns, daß Diogenes freiwillig so arm war, daß er nichts besaß als eine Tonne: diese stand in einem Walde, er aber wohnte darin und hatte sie so gestellt, daß die Sonne den ganzen Tag hineinschien: darinnen saß er aber den ganzen Tag lang. Nun begab es sich eines Tages, daß der große Alexander mit seinem Gefolge zu ihm ging und sich mit ihm unterreden wollte, sich aber dabei so vor ihn hinstellte, daß ihn die Sonne nicht mehr bescheinen konnte,[133] und also zu ihm sagte, er möge von ihm bitten, was er nur wolle, es solle ihm gewährt seyn. Da antwortete ihm Diogenes und sprach: so bitte ich Dich um weiter nichts, als daß Du mir nicht nimmst, was Du mir doch nicht geben kannst. Da fragte ihn Alexander, was das sey, was er ihm nicht zu geben vermöge, und Diogenes sprach zu ihm: meine Bitte besteht darin, daß Du nicht zwischen mich und die Sonne trittst, so daß Du mir ihren Schein entziehst, den Du mir doch nicht zu geben im Stande bist. Und also schied Alexander von ihm.

Quelle:
Gesta Romanorum, das älteste Mährchen- und Legendenbuch des christlichen Mittelalters. 3. Auflage, Unveränderter Neudruck Leipzig: Löffler, Alicke 1905, S. 133-134.
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